70er Innenraum: Komposition folgt Inhalt

Auch wenn Design der Funktion folgt, muss Foto-Komposition nicht unbedingt dem Bildinhalt folgen. Bisweilen allerdings kann es das Bild überhaupt erst ausmachen.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© jessica ziegler).

Kommentar des Fotografen:

Scan einer analogen Aufnahme mit einer Hasselblad. Ich habe diese Aufnahme in einem Optikerladen in Leer/Ostfriesland gemacht. Die komplett erhaltene Einrichtung aus den 70ern hat mich fasziniert und schloss sich meinem Endexamensthema an. Für mein Endexamen an der Kunshochschule Minerva Groningen (NL) habe ich Räumlichkeiten festgelegt, in denen wir uns selber an jemand anderen überhandigen, was ein höchst persönlicher eingriff ist; diese Räumlichkeiten strahlen haäfig räumliche kälte und gleichzeitig menschliche Wärme aus.

Peter Sennhauser meint zum Bild von jessica ziegler:

Drei Kunstoff-Sessel in Reihe, im unverkennbaren Design der 70er Jahre und in Giftgrün, stehen etwas von der Kameraposition entfernt auf einem grünen, gemusterten Spanntepichboden vor einer Fensterfront.

Die grossflächige Scheibe ist von einem grobmaschigen Netzvorhang bedeckt, die Aussenwelt ist nur zu erahnen.

Das Bild im Quadratschnitt der Hasselblad folgt streng den rechten Winkeln in der Motivplatzierung. Der „Horizont“ der Fensterscheibe teilt es in der Mitte, die totale Symmetrie wird einzig durch einen Teil des Fensterrahmens am linken Bildrand gebrochen.

Dein Thema – Räumlichkeiten, denen wir uns sozusagen ausliefern – trifft dieses Bild sicherlich – vor allem nach heutigem Designempfinden. Man beachte, wie schnell hier wieviel Information fliesst, die sich zu einem Ganzen zusammenfügt: Wir erkennen sofort die Zeit, aus dem die Einrichtung stammt; es ist eindeutig, dass es sich um ein Ladengeschäft oder einen sonstigen Dienstleistungsbetrieb handelt und nicht um eine Amtsstube; die Andeutung der Aussenwelt lässt auf Kleinstadtcharakter schliessen und der saubere Teppich und die geometrisch exakte Anordnung der Wartesessel unterstriechen dfen Eindruck einer kleinbürgerlichen Welt.

Mit dem strengen Blickwinkel und der symmetrischen Perspektive ordnet sich die Komposition dem Inhalt des Bildes unter: Es mutet an wie eine zeitgenössische Photographie (aus den 70ern) und lehnt sich mit der Reduktion auf Objekte und Farbe an die Fotografie im Stil eines William Eggleston.

Zu bemerken ist dabei, dass die Blickhöhe nicht etwa die eines stehenden Menschen, sondern eher Aug` in Aug` mit den leeren Sesseln liegt: Ein Detail, das den Kunststoffschalenstühlen aber zu einer ebenbürtigen Position verhilft und sie zu erhabenen Protagonisten im Raum macht.

Der Bruch mit der Symmetrie durch den Fensterrahmen links ist ebenfalls ein wichtiges Mittel, um die Szene nicht ins absurd-abstrakte kippen zu lassen. Mich stört daran einzig die durch den leicht nach unten gerichteten Blick ebenfalls leicht stürzende Kante. Die Schräglage ist minimal, aber so nah am Bildrand fällt sie auf und lenkt ab. Ein winziger Eingriff mit der Photoshop-Perspektivenkorrektur wäre hier meiner Ansicht nach angemessen.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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