Abstraktion aus der Kamera: Bewegte Brücke

Mit minimalen Belichtungsverfehlungen lassen sich zeitweilig sehr spannende Fotos machen. Hier hat der Fotograf die Kamera bewegt – und ein paar andere Tricks angewandt.

Oberbaum-Brücke in Berlin in Bewegung

Oberbaum-Brücke in Berlin in Bewegung. © Martin Wolfert

Martin Wolfert aus Waldbronn: Das Foto habe ich in Berlin auf der Oberbaumbrücke mit einer längeren Belichtungszeit mit meiner [amazon B00NEBL18M]Fuji X100[/amazon] aufgenommen.
Während des Auslösens habe ich die Kamera ein wenig vertikal nach oben gezogen, um den Bewegungseffekt zu erreichen. Das Foto wurde in Photoshop unter Zuhilfenahme verschiedener Ebenen und zwei zusätzlichen Hintergrundbildern stark bearbeitet. Das Ziel meiner Bearbeitung war es, die Lichtstimmung in der Bildmitte vom dunklen Vordergrund zu separieren, und beides abstrakt zu „interpretieren“.

In diesem quadratisch geschnittenen Bild blickt der Betrachter durch den Innenraum einer gedeckten, stark abstrahierten (Holz-) Brücke in den hellen Teil. Dort sind mindestens vier Personen knapp erkennbar, die aus dem Bild heraus auf den Betrachter zuzugehen scheinen. Die Aufnahme wirkt in der Vertikalen stark bewegt, hat etwas von einem Aquarell, weist aber auch einen durchgehenden Schleier eines Marmor-Musters auf und zeigt in der Bildmitte einen seltsam glühenden roten Punkt.

Der Punkt: Er stört mich, muss ich sagen. Wie überhaupt die zweite Bildebene. Aber der Reihe nach:

Die Ansicht der Brücke hat durchaus etwas faszinierendes, was gedeckte Brücken eigentlich immer haben (und nicht [amazonna B00IDZLLA2]erst seit dem entsprechenden Film)[/amazonna]; die Unterschiede in der Lichtstimmung in Vorder- und Hintergrund ziehen einen direkt in das Zentrum des Bildes hinein.

Der Quadratschnitt ist für diese Fotografie mehr als angebracht, und die Idee der Verfremdung durch Bewegung finde ich sehr gelungen und gut umgesetzt.

[bildkritik]

Manchmal liegt der Reiz einer Szenerie eben nicht an den gegenständlichen Ansichten, die sie bietet, sondern ganz direkt nur in der Farbe, oder im Licht, oder in den Formen. Dann kann eine technische Verfremdung als Abstrahierung Wunder wirken, indem ablenkende Details verschwinden und die ganze Aufmerksamkeit auf das eigentlich wesentliche gelenkt wird. Ehrlicherweise ist anzumerken, dass schon der Einsatz von Schärfentiefe und Low- oder Highkey-Belichtung, aber auch Vignettierung, Umwandlung in Schwarz-Weiss und andere gängige Nachbearbeitungsschritte keinem anderen Zweck dienen.

Weshalb also nicht einmal so weit gehen, und mit einem beherzten Schwenker, einer absichtlichen Unschärfe-Einstellung oder einem Filter schon bei der Aufnahme abstrahiert wird? Bei einem Layover im Londoner Flughafen Heathrow habe ich beim Knipsen aus purer Langweile entdeckt, dass sich mit massiver Unschärfe grandiose Abstraktionen der zahlreichen farbigen Lichter in der gigantischen halle anfertigen lassen.

Du hast hier offensichtlich sehr bewusst gearbeitet. Deine Fotografie der Brücke an sich ist schon spannend. Die Menschen im Durchgang sind das I-Tüpfelchen auf der Komposition, die stark vom Blick aus dem Dunkel ins Hell hinaus geprägt wird. Die Belichtung hast Du grade so gewählt, dass der Schatten, in dem wir stehen, hart an der Grenze zum Absaufen ins Schwarz liegt und der sonnendurchflutete Durchgang zu einer Warmzone wird. Die Braun- und Goldtöne der Backsteinbrücke mit dem Sonnenlicht schaffen eine grosse Lichtstimmung. Diese hat eine klare Trennung zwischen hier und dort.

Ich verstehe deshalb eigentlich nicht, warum Du die Abgrenzung noch verstärken willst – und gar nicht, warum Du die beiden räumlichen Szenerien mit dem hinterlegten Marmormuster wieder verbindest. Auf den ersten flüchtigen Blick sieht es zwar aus, wie wenn der Boden in diesem Tunnelblick das Muster annähme, aber wenn man merkt, dass es über das ganze Bild gelegt wurde und nicht perspektivisch ist, wird es zum Fremdkörper.

Das gilt noch mehr für den glühenden roten Punkt ind er Bildmitte. Was [amazonna  B0019GZ9FK]HAL[/amazonna] in dieser Aufnahme verloren hat, erschliesst sich mir nicht, er konkurrenziert aber die Leuchtkraft des hellen Hintergrunds, und er lenkt mich von den Menschen ab. Die übernehmen in dieser Aufnahme eine wichtige Funktion: Sie schaffen die Verbindung zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, sie bestätigen die Vermutung, dass es sich um eine Brücke, mindestens aber um einen Durchgang handelt, und sie unterstützen ganz massiv den Räumlichen Eindruck dieser insgesamt bemerkenswerten Fotografie.

Weniger Nachbearbeitung wäre hier wahrscheinlich mehr. Aber schon so ist es ein gelungenes Experiment.

4 Kommentare
    • Tilman
      Tilman sagte:

      Hallo Martin, eigentlich nicht so gut, die Antwort auf Deinen Blog zu schreiben. Hat für mich einen seltsamen Beigeschmack. MfG, Tilman

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