Anton Corbijn: „Wir gehen unter in einer Flut sinnloser Bilder“

Im Interview mit Entertainment Weekly bezeichnet Anton Corbijn die Digitaltechnik als das Ende des Abenteuers Fotografie. Und er gesteht, dass für ikonenhafte Bilder keine tiefe Beziehung zwischen Fotograf und Modell bestehen muss.

ImageEr hat sie alle fotografiert: Von David Bowie über Curt Cobain, Johnny Cash bis hin zu Bon Jovi, Bruce Springsteen und James Last.

Trotzdem hält Anton Corbijn, dessen erster Film „Control“ grade anläuft, die Bezeichnung „Rockfotograf“ für eine Beleidigung: „Es ist so einfach, einem eine Ettikette zu verpassen.“

Aber er liebt Musik, und er liebt Vynil – nicht nur, weil die alten Schallplatten noch grossflächige Cover erlaubten, und die „kleinen Umschläge der CDs ganz einfach langweilig sind“.

Es ist die gleiche Geschichte wie digitale Fotografie im Vergleich zu Film. Film ist besser, aber alle denken, es sei hipper, digital zu fotografieren und halten sich gleich für Künstler. Das ist wie die Kameras in den Mobiltelefonen. Wir gehen unter in einer Flut sinnloser Bilder.

Corbijn erklärt auch, was er an Digitalfotografie nicht mag (eine Aussage, die ich von Profifotografen mehrfach gehört habe:)

Ich liebe das Abenteuer an der Fotografie: Du gehst irgendwohin und machst deine Aufnahmen, aber du siehst erst Tage später, was du tatsächlich geschaffen hast. Es gibt diese Spannung, weil Du nicht weisst, ob du erfolgreich warst oder versagt hast. Wenn Du digital fotografierst, verlierst Du das alles.

Neben dieser Kritik sagt Corbijn auch ein paar Dinge, die ganz ermutigend klingen, weil sie Teile des Mythos eines grossen Fotografen als Zufälle und Glück entlarven.

Angefangen hatte Corbijns Karriere mit der englischen Band „Joy Division“, die den gebürtigen Niederländer gemäss der Legende zur Übersiedelung nach England bewegt haben soll, was durchaus stimmt:

Ich wollte aus Holland wegziehen, und ich glaubte, dass die Bedingungen für meine Arbeit in England besser wären als in den Niederlanden. Aber als ich Joy Divisions „Unknown Pleasures“ hörte, war das der Anstoss, um die Pläne umzusetzen. Ich habe die Band binnen 12 Tagen nach meiner Ankunft in England getroffen.

Mit dem Film über Ian Curtis schliesse sich der Kreis nach 28 Jahren, sagt Corbijn:

Um ehrlich zu sein, ich bin grade dran, nach Holland zurückzukehren. Ich bin wegen Joy Division nach England gekommen, und jetzt, da ich den Film gemacht habe, kehre ich wieder heim. Es ist, als ob sich der Kreis schliesse, es ist die richtige Zeit.

Im Interview erklärt Corbijn jetzt, dass es für ikonenhafte Bilder gar keine enge Beziehung zwischen Fotograf und dem Portätierten braucht. Seine berühmten Fotos von Joy Division jedenfalls entstanden auf einer andern Basis:

Ich glaube, sie mochten es [ein Bild das die Band zeigt, wie sie in einen Eisenbahntunnel bei Manchester spaziert], weil es das erste konzeptuelle Foto war, das sie gemacht haben. Meine Idee bestand darin, sie zu zeigen, wie sie unbekannten Vergnügen (unknown Pleasures) entgegenwandeln. Das Bild zeigte also ihre Gesichter gar nicht. Sie gingen von der Kamera weg in die Dunkelheit, und ich denke, das hat irgendwie die Periode, in der sich die Band befand, ganz gut ausgedrückt.

Und über die ikonenhaften Bilder des Leadsängers Ian Curtis, denen immer wieder die Sichtbarkeit der tiefen Beziehung der beiden Männer angedichtet wird:

Mein Problem war mein schlechtes Englisch, und dass ich ziemlich scheu war. Ausserdem haben die Jungs mit einem schwer verständlichen Akzent gesprochen, deswegen war die Konversation ziemlich eingeschränkt. Ich konnte mich nicht wirklich als Ians Freund bezeichnen, denn ich verstand kaum zwei Sätze. Ich glaube, die Aufnahmen haben, weil sie so berühmt wurden, eine viel tiefere Beziehung zwischen mir und der Band suggeriert als effektiv bestand.

Bisweilen schaffen erst Zufälle und „widrige Umstände“ langfristige Beziehungen – etwa die zwischen U2 und Corbijn:

Ich mochte ihre Musik nicht besonders. Ich hörte sie mir erstmals auf einem Flug nach New Orleans an, wo ich sie fotografieren sollte. […] Sie sollten auf einem Boot auf dem Mississippi spielen, und ich dachte, ‚Ok, ich bleib für ein paar Lieder, und dann mache ich mich aus dem Staub.‘ Aber das Boot legte ab, was ich nicht gewust hatte, und ich konnte nicht mehr weg. Inzwischen liebe ich ihre Musik.
Das gleiche mit Depeche Mode: Die hatten mich seit 1981 bedrängt, mit ihnen zu arbeiten, aber ich wollte mit diesen poppy Bands nichts zu tun haben. 1986 habe ich nachgegeben und ein Video mit ihnen gemacht, nur weil es in Amerika gefilmt wurde und ich dort noch nie gefilmt hatte. Aber von da an wuchsen die Dinge heran. Es ist interessant, wie das abgeht. Du könntest das nie planen.

Das ganze Interview (englisch) bei EW.com

Anton Corbijns Website

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert