Architektur: Bisweilen überwältigend

Das Gebäude von Herzog & de Meuron erregt mit seiner speziellen Form grosses Aufsehen und sieht auf den ersten Blick auch sehr fotogen aus. Es ist aber schwierig, diese grosse Fülle an Formen fotografisch in den Griff zu bekommen.

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Roger Albani).

Kommentar des Fotografen:

Architekten: Herzog & de Meuron Firma: Actelion in Allschwil bei Basel Kamera

Profi Martin Zurmuehle meint zum Bild von Roger Albani:

Als Architekt kenne ich die Bauten von Herzog & de Meuron sehr gut. Schon als Entwurf erregte dieses Projekt in der Fachpresse grosses Aufsehen.

Die Gestaltung in Form eines Stapels von „Schachteln“ ist nicht nur bautechnisch und bauphysikalisch eine grosse Herausforderung (einige Verstrebungsstützen mussten noch während der Bauzeit zusätzlich eingezogen werden), sondern es ist auch für uns Fotografen sehr schwierig, so viele verschiedene Formen wirkungsvoll aufzunehmen:

Du willst mit deiner Aufnahme dem Betrachter deinen Eindruck vermitteln, den du vor Ort hattest. Aber gerade weil du so viel zeigen möchtest, hat der Betrachter Mühe, das Gebäude in seiner Schönheit auch zu erfassen.

Die zentrale Form wirkt klar und schön, auf beiden Seiten läuft das Bild aber sehr unbestimmt aus. Zudem stören dort die stürzenden Linien stark. Da du die Kamera nach oben kippen musstest, um das ganze Gebäude aufzunehmen, kippen auch die vertikalen Linien nach hinten.

Das ist wohl optisch absolut korrekt, entspricht aber nicht unsere „Seherwartung“. Wir wissen, dass Gebäude senkrecht stehen, und erwarten deshalb auch, dass die Linien vertikal im Bild verlaufen. Nach hinten kippende Linien lassen das Gebäude unstabil erscheinen. Durch einen höheren Kamerastandort oder den Einsatz eines Tilt-Shift-Objektivs könntest du dieses Problem lösen. Auch in der Bildbearbeitung lassen sich solche Linien gerade richten.

Da es sehr schwierig ist, dieses Gebäude als Ganzes aufzunehmen, möchte ich dir empfehlen, einzelne sehr schöne und grafisch wirkungsvolle Detailausschnitte zu suchen. Eine gute Detailaufnahme ist viel einfacher zu realisieren, und oft erkennen wir leicht ein bekanntes Gebäude nur an einem kleinen Ausschnitt.

Zudem hast du bei Detailaufnahmen eine viel grössere Gestaltungsfreiheit und kannst dein Bild frei komponieren und verschiedenen Gestaltungsregeln ausprobieren. Bei einer Gesamtansicht ist das aufgrund der Platzverhältnisse vor Ort nur sehr selten möglich. Ich habe mal versucht, einen engeren Ausschnitt zum Vergleich zu gestaltet.

Die Detailaufnahme durch Ausschnitt

Fazit: Eine überwältigende Architektur ist noch keine Garantie für eine tolle Aufnahme. Häufig sind gerade solche Motive besonders schwierig wirkungsvoll zu fotografieren. Es ist leichter und erfolgversprechender, sich auf Detailansichten zu konzentrieren.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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4 Kommentare
  1. Roland Horni
    Roland Horni sagte:

    Ich habe mich auch mit diesem eindrucksvollen Gebäude beschäftigt und soeben ein Foto davon zur Kritik eingereicht. Ich würde mich freuen, es hier diskutiert zu sehen, habe aber erst jetzt gesehen, dass es schon jemand getan hat.
    Ich habe genau diese Probleme gesehen: eine Ganzansicht des Gebäudes, die allen Bildkriterien gerecht wird, ist recht schwer und wohl nur mit einer Fachkamera und bei entsprechendem Licht zu realisieren. Somit habe ich mich, wie Martin es auch erwähnt hat, darauf beschränkt, eine Detailansicht zu zeigen. Sollte mein Bild für eine Kritik nicht berücksichtigt werden, auf meiner Website – http://www.hornifoto-kreativ.ch – habe ich Musterfotos eingestellt.

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  2. Uwe S.
    Uwe S. sagte:

    Spannende Frage: Was haben sich die Architekten gedacht?

    Einen Hinweis könnte die Visualisierung des Actelion Business Center vom Büro Herzog & de Meuron geben. Im Vergleich fällt mir auf, dass prinzipiell die Interpretation des Gebäudes ähnlich ist.

    Für eine Gesamtaufnahme des Gebäudes war das Licht recht ungünstig, jedoch für Detailaufnahmen im Streiflicht hätte man Gelegenheit gehabt.

    Antworten
  3. Christian Gruber
    Christian Gruber sagte:

    Nachdem ich das Gebäude nicht real kenne, stören mich grundsätzlich die Stürzenden Linien nicht sehr. Bei der Architektur würde es mich ja nicht wundern, wenn das Gebäude wirklich so gebaut wurde.
    Ich kenne die Platzverhältnisse nicht, aber der Linienbruch durch das Weitwinkelobjektiv stört mich mehr. Dadurch ragt naturgemäß die Hauskannte nach vorne. Was zwar grundsätzlich auch interessant sein kann. Alleine mein Auge ist mit den Schachteln beschäftigt. Und das wird zuviel.
    Für ein Architekturfoto dieses Objektes hätte ich einen leichter Telebereich beim Objektiv gewählt.
    Willst du stürzende Linien und erkennbare Fluchtpunkte, dann achte zumindest darauf, das die Kamera waagrecht gehalten (oder besser auf einem Stativ waagrecht befestigt) wird, hier war das nicht der Fall.
    Postiere die Hauskante bewusster, nicht fast genau in der Bildmitte, überlege in welche Richtung du das Betrachterauge führen willst. Beispielsweise hat nur die rechte Seite des Bildes alleine betrachtet, einen starken Fluchtpunkt. So verirrt sich mein Auge.
    Und wenn du wenig von einem breiten, hohen Gebäude zeigen willst, probier mal das Hochformat. Mit etwas Platz vor dem Gebäude – das Gebäude – und dem Himmel wären dann glatt drei Ebenen da.

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