Architekturbild: Spiel mit Gegensätzen

Als Fotograf schneiden wir aus unserer Umwelt Bereiche aus (die Fotografie rahmt ein). Dadurch geben wir den Dingen eine besondere Bedeutung und können mit Harmonien und Gegensätzen spielen.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Janos Balazs).

Kommentar des Fotografen:

Kochstraße in Berlin Kreuzberg. Das Motiv interessierte mich, weil die verschiedenen Fassaden, Formen und Farben einen meiner Meinung schönen Kontrast ergeben. Die vertikalen Linien habe ich leicht begradigt.

Profi Martin Zurmuehle meint zum Bild von Janos Balazs :

Aufnahmen von Gebäuden leben zum grossen Teil vom Spiel der Formen. Ob eine Architekturaufnahme auf den Betrachter interessant wirkt, hängt dann zu einem grossen Teil von diesen formalen Aspekten ab. Von zentraler Bedeutung ist deshalb, ob es uns gelingt, die am Gebäude erkennbaren Formen geschickt und kraftvoll auf dem Bild zu kombinieren. Janos ist das bei seiner Aufnahme gelungen. Er spielt mit den Gegensätzen der verschiedenen Baukörper:

Die eckigen Formen des verschindelten Hauses unten bildet einen klaren Gegensatz zum runden Gebäude mit der Wellblechfassade, die sich wiederum klar von der rasterartigen Fassade des hohen Hauses im Hintergrund abgrenzt.

Zusätzlich zu diesen Gegensätzen der Formen und der Strukturen wirken auch die Farben der verschiedenen Baukörper sehr interessant. Die gelben Farbtöne des runden Gebäudes wirken erst im Kontrast zu den zurückhaltenden dunklen Farben der anderen Gebäude so interessant.

Obwohl die verschiedenen Gebäude sehr unterschiedlich sind und so auch eine Unruhe ins Bild bringen, gelingt es dem Fotografen hier, durch ähnlich grosse Flächenbereiche der drei Teile wieder eine gewisse Ruhe zur erzeugen und das Bild so „auszubalancieren“.

Ein zentrales Problem für mich ist allerdings die Perspektive.

Auf der einen Seite sind wir gewohnt, Gebäude senkrecht zu sehen, obwohl das perspektivisch nicht korrekt ist. Sobald die Kamera nach oben gekippt wird, müssen die senkrechten Linien nach hinten zu einem Fluchtpunkt laufen. Da wir aber wissen, dass das Gebäude senkrecht ist, möchten wir diese Linien auch senkrecht sehen.

Deshalb hast Du die entsprechenden Korrekturen am Bild vorgenommen. Nun ist alles winklig – und trotzdem wirkt die Perspektive für uns unnatürlich, so wie wenn das Bild etwas verzerrt wäre und leicht nach vorne kippen würden.

Dieser Effekt hängt davon ab, wie stark die vertikalen Linien eingentlich nach hinten laufen müssten. Je stärker wir die Kamera kippen, desto stärker wird auch diese Verzerrung werden und desto stärker müssen wir das Bild in der Bildbearbeitung korrigieren. Wir können diesen Effekt vermeiden, wenn wir (durch einen höheren oder einen weiter entfernten Aufnahmestandort) die Kamera nicht zu stark nach oben kippen. Dann brauchen wir weniger zu korrigieren.

Oder aber wir korrigieren das Bild nicht zu 100 %, das heisst, wir lassen die vertikalen Linien noch leicht nach hinten kippen. Dann wirkt das Gebäude für uns „natürlicher“, obwohl auch diese Form natürlich nicht der optischen Realität entspricht.

Am besten macht man ein paar Varianten und lässt diese auf sich einwirken. Mit der Zeit erkennt man die Unterschiede und weiss, welches Bild am „natürlichsten“ wirkt.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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5 Kommentare
  1. Frank
    Frank sagte:

    Entzerren funktioniert dann besonders schlecht, wenn das Bild verschiedene Ebenen hat wie dieses. Die horizontalen Linien sind nicht paralell und fuer jede Haeuserbene verschieden stark gekippt.

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  2. Jens Richter
    Jens Richter sagte:

    Die Grundidee des Bildes finde ich sehr schön. Meiner Meinung nach ist hier aber bei der Objektivkorrektur etwas daneben gegangen. Man gewinnt den Eindruck, dass das hintere Gebäude nach rechts „fällt“, obwohl die Bildkante des Gebäudes etwas anderes sagt. Das vordere Gebäude hingegen scheint von der Gebäudekante nach rechts, nach hinten eingedellt zu sein..,
    aber ich bin an Pfingsten in Berlin und wenn die Zeit es erlaubt, werde ich mich mal an diesem Motiv versuchen, denn wie gesagt, ich finde es sehr fotogen ;-) Beste Grüße Jens

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  3. Martin Zurmühle
    Martin Zurmühle sagte:

    @Markus
    Color Key funktioniert eigentlich nur gut bei sehr kleinen, bunten Flächen.
    Der Kipp-Effekt kommt auch bei Shift-Objektiven vor, wenn sie stark geshiftet werden. Das Gleiche gilt auch für Fachkameras. Schon in den alten Lehrbüchern der analogen Zeit wurde auf dieses Wahrnehmungsproblem hingewiesen.
    LG Martin

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  4. Janos Balazs
    Janos Balazs sagte:

    Danke für diese Bildkritik. Dieses Motiv habe ich bestimmt nicht zum letzten Mal fotografiert, auch deshalb, weil ich via flickr Places noch andere interessante Bilder dieses Ortes gefunden habe und deshalb noch einmal andere Aufnahmestandorte ausprobieren möchte.

    PS: Lese regelmäßig die Bildkritiken. Macht bitte weiter so!

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  5. Markus Kohlhoff
    Markus Kohlhoff sagte:

    Ein interessantes Bild und eine lehrreiche Kritik. Würde eine „color key“-Bearbeitung den Kontrast zwischen Farbe und Form noch unterstreichen oder wäre das zuviel des Guten?
    Noch ´ne andere Frage:
    Würde dieser „Kipp-Effekt“ auch bei Verwendung eines Shift-Objektives auftreten oder wäre das Ergebnis natürlicher?

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