Architekturfoto: Reale Abstraktion

Architekturfotografie muss nicht unbedingt dokumentarische Zwecke erfüllen. Reizvoll sind Ansichten von Gebäuden, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind.

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Andre Kayser).

Kommentar des Fotografen:

Aufgenommen in der National Gallery in Washington.

Profi Peter Sennhauser meint zum Bild von Andre Kayser:

Ein Gang oder ein Tunnel ist in dieser Farbfotografie zu sehen, der sich in der Tiefe genau ins Bildzentrum hinein erstreckt. Die Wände links und rechts scheinen durch Spiegelunsgeffekte erleuchtet, die Decke ist eine Alustruktur. In der Ferne – oder am hellen Tunnelausgang im Bildzentrum – sind einige Menschen erkennbar.

Architekturfotografie hat wie kein anderes Genre die Möglichkeit, mit Geraden und Winkeln zu spielen, die man in der freien Natur so nicht findet. Sie bietet sich deswegen für Spiele mit Fluchtpunkten und Parallelen an.

Du hast hier eine geradezu brutal mittige Aufnahme von etwas gemacht, was erst auf den zweiten Blick als Fussgängerdurchgang in einem modernen Gebäude erkennbar ist. Auf den ersten dagegen ist es eine abstrakte Sammlung von Geraden, die genau im Bildzentrum in einen Fluchtpunkt verlaufen.

das Muster aus Linien und sich wiederholenden Punkten oder Flächen entwickelt durch die extrem gleichförmige Richtung eine regelrechte Sogwirkung. Die Mischung aus Spiegelungen in den Wänden und Beleuchtungskörpern schafft eine Horizontebene, die so nicht existiert.

Erst bei sehr genauer Untersuchung des Bildes versteht der Betrachter, dass die Aufnahme nicht auf Augenhöhe entstanden ist, sondern unterhalb der Handläufe eines Personenbeförderungsbandes.

Die verglasten Wände des Bandes und die verchromten Abdeckungen an den Rändern schaffen diesen Spiegelungseffekt, welcher grösstenteils die Wirkung erzeugt, die aus dem Bild sowas wie eine „realistische Abstraktion“ machen. In der Fotorealistischen Malerei ist dieser Effekt, namentlich mit Spiegelungen in Schaufenstern, die in der gemalten Version stark überhöht und damit auf die gleiche Ebene wie die Realität erhoben wurden, oft ausgenutzt worden.

Du hast hier etwas geschaffen, was ich zwar nicht unbedingt der klassischen Architekturfotografie zuordnen würde, zumal es nur am Rande um das Gebäude geht und eigentlich fast gar nicht darum, es zu dokumentieren (in einem Prospekt der Nationalgalerie würde das Bild eher nicht auftauchen).

Aber die Fotografie erhebt den eigentlich profanen Gang mit dem Förderband durch die Lichteffekte und die Geschickte Komposition in eine zweite inhaltliche Ebene. Das fordert den Betrachter heraus und bietet viele Reize oder auch Ansätze, sich mit dem eigentlich profanen Förderband auseinander zu setzen.

Und schliesslich schaffen die Linien und Farben ganz einfach ein faszinierendes Muster. Dinge, die auch einen Landschaftsfotografen als erstes in ihren Bann ziehen.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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1 Kommentar
  1. CorinneZS
    CorinneZS sagte:

    Wenn man nicht weiss, was das Foto zeigt, könnte man tatsächlich meinen, es sei nicht dokumentarisch.

    Das Bild zeigt zum Einen den unterirdischen Fahrsteig, der den älteren Westteil des Museums mit dem neueren Ostteil verbindet.

    Das Bild zeigt aber auch Multiverse (2008), die bisher grösste Skulptur Leo Villareals, eines Pioniers computergestützter LED-Kunst (Infos: http://www.nga.gov/exhibitions/villarealinfo.shtm).

    Das sehr gelungene Foto dokumentiert also auch Villareals geniale Kunst.

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