Aus neu mach alt: Velo Classico

Ein neues Foto alt wirken zu lassen, und das nicht nur technisch – das ist ein interessanter Ansatz, vor allem im Zusammenhang mit einem nostalgischen Fahrrad-Ausflug. Die Frage nach dem „Wozu“ stellt sich gar nicht. Oder etwa doch?

Berlin Mitte 2017 Sepia-Fotografie

Velo Classico Ausfahrt in Berlin, 2017 – Canon EOS 70D, 1/200s bei Blende 9 mit 26mm Brennweite und ISO 100. © Andreas Stenzel

Andreas Stenzel aus Berlin schreibt zu diesem Bild: Am 02. April fand in Berlin eine „Klassiker-Ausfahrt“ mit dem Verein Historische Fahrräder Berlin e.V. und dem Vintage-Radsport-Event Velo Classico statt. Teilgenommen haben viele Freunde alter Räder, zum Teil in originalgetreuen Kostümen und natürlich mit alten Fahrrädern aus unterschiedlichen Epochen.
Ich begleitete die Ausfahrt als einer von zwei Fotografen. Start war am wohl schönsten Platz Berlins, dem Gendarmenmarkt, an dem auch dieses Foto entstand.
Das Foto entstand fast spontan, da ich erst kurz zuvor von der genauen Route erfahren hatte. So hatte ich nicht viel Zeit, einen Standort auszuwählen und die Kamera einzustellen.
Bearbeitung in Lightroom: u.a. Aufhellen der Radfahrer im Vordergrund/Freistellen/Sepia-Ton/Körnung/leichte Retusche zu moderner Elemente (Satellitenschüsseln und Fahrbahnmarkierungen)/Vignette
Bearbeitung mit Photoshop: Retusche von zwei Passanten
Die asphaltierte Straße ist natürlich der größte Stilbruch. Da ich in Photoshop nicht genug Erfahrung habe und weil ich das Bild nicht komplett „faken“ wollte, kann ich damit leben.
Ich bin nicht sicher, ob die Kategorie „Event“ richtig gewählt ist, passt aber am besten. Es ist weder ein rein dokumentarisches/journalistisches Foto noch eins der Kategorie „Streetphotography“

Nostalgie fasziniert immer – und Du spiegelst das hier gleich zweimal, indem Du den Inhalt Deines Motivs mit einer entsprechenden Interpretation gleich ein zweites Mal in die Vergangenheit applizierst. Tolle Idee!

Wir sehen auf einer grobkörnigen Schwarz-Weiss-Fotografie in Sepia-Tönen eine Gruppe Radfahrer vor dem Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt. Auf den ersten und auch auf den zweiten Blick scheint es sich um eine historische Aufnahme zu handeln, die Menschen auf den altertümlichen Fahrrädern sind ebenso altmodisch gekleidet und frisiert. Sie fahren von rechts nach links vor dem Fotografenstandort durch.

Zunächst kann man Dich beglückwünschen, und zwar zu einer Idee der Interpretation eines Nostalgie-Events und zur sehr gut gelungenen technischen Umsetzung. Ausser den Mordenen Bauten hinter dem Dom und der Konzerthalle gibt es in dieser Aufnahme keine für den Laien erkennbaren Hinweise darauf, dass es ich um ein zeitgenössisches Bild handelt.

[premiumkritik]

Die Aufnahmetechnik ist, wie die Komposition, ohne Tadel, die Umwandlung in ein Sschwarzweiss-Bild mit dem groben Korn, der Vignettierung einer alten Linse und dadurch den spürbaren Wolken am Himmel ist ausserordentlich schön gelungen. Die Retuschen von nicht ins Bild passenden Passanten sind nicht bemerkbar. Alles in allem glaube ich, eine alte Fotografie vor mir zu haben.

Die Kategorisierung als Eventfotografie finde ich durchaus passend: Wenn Du weder Kunst noch Dokumentation machen wolltest, ist es doch der Erinnerungs- und Interpretationswert Deiner Bilder für Betrachter und Teilnehmer, also ein Teil des Events.  Dass Du die Strasse nicht auch noch gegen Mergel-Untergrund oder Kopfsteinpflaster ausgetauscht hast, finde ich begrüssenswert, weil die ganze Aufnahme mit solch grobflächigen Eingriffen zu etwas Neuem würde – Konzeptkunst oder Bildcollage, würde ich es dann schon bald nennen. „fake“ ist an diesem Bild insofern nichts, wenn Du es nicht als das ausgibst, was es nicht ist.

Dabei stellt sich dann aber doch eine Frage – was ist es denn, und was will es denn? Die alten Fahrräder, um die es bei dem Ausflug ging, sehe ich kaum oder kann sie nicht wirklich in Augenschein nehmen. Du referenzierst zwar ihr Alter durch die Nachbearbeitung der Fotografie, so wie das die Teilnehmer mit ihrer Kleidung und dem Haarstil tun. Aber während die mir doch wohl an einem Stop unterwegs ihr Fahrrad zeigen würden und das ins Zentrum stellten, passiert das in der Aufnahme nicht.

Damit wird aus der Fotografie eben doch wieder Kunst: Sie spielt mit der Erinnerung, dem „Alt Aussehen“ und der Nostalgie durch Äusserlichkeiten, macht aber nicht den Gegenstand des Events zum Thema. Der Sinn des Fotos wird zum Selbstzweck, zum Proof of Concept oder zur grafischen Aufarbeitung des Ausflugs – für ein Titelblatt, als Teaser. Oder als origineller Aufmacher einer ganzen Reportage in diesem Stil, die sich dann aber auch mit Details befassen dürfte.

 

3 Kommentare
  1. Richard
    Richard sagte:

    Ich glaube, dass wir hier auch oder sogar vor allem mit Mode zu tun haben. Mode „auf alt“, Mode „Shabby Chic“ oder so genannte „Vintage“. Auch wir Fotografen sind davon betroffen und versuchen dann manchmal mit diesem Trend zu schwimmen. Warum nicht. Auch ich „verunstalte“ manchmal meine Fotos. Es gibt sogar unzählige Filter die uns die Sache erleichtern.

    Das Foto finde ich gut. Es ist nicht einfach so zu fotografieren, dass alles passt und es scheint, dass die Aufnahme aus anderen Zeiten stammt.

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  2. fherb
    fherb sagte:

    Hallo!

    Das Licht ist gerade in der Ebene der Fahrräder reduziert. Es wirkt deshalb, wie alte Bilder oft ebenfalls: Nicht absolut perfekt. Also kein Kritikpunkt. Meine Frage: War das Absicht? Denn für die Abnehmer der Bilder ist das historische Fahrrad ja genau der Grund der Ausfahrt.

    Beste Grüße, Frank

    Antworten
    • Tilman
      Tilman sagte:

      Hallo, zunächst einmal: ein fantastisches Bild, Andreas. Super ! Aber ich empfinde das genauso wie Frank. Nachdem ich den Fahrradfahrer vorne angeguckt habe, gleitet mein Blick bereits zum Himmel und dann zu den Gebäuden im Hintergrund. Die Fahrradfahrer rechts spielen keine große Rolle. Irgendwie auch schade. Mit freundlichen Grüßen, Tilman

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