Babyporträt: Ein Wecker allein spannt nicht

Symbolhaftigkeit in der Studiofotografie darf nicht zu platt daher kommen – Experimente mit fremden Babys sollten dagegen letzteres nicht stressen. Diese Aufnahme ist wohl der Kompromiss aus beiden Grundsätzen. Allerdings müsste ihr deswegen nicht die Spannung fehlen.

Anna, das Baby im Korb

1 vor 18. © Christian Loose. Nikon D7000, 50mm, 1/160s bei 200 ISO und Blende f/5.6

Christian Loose aus Dortmund schreibt zu diesem Bild: Das Bild ist im Rahmen eines Babysittings für einen sehr guten Arbeitskollegen entstanden. Die Uhr zeigt die Geburtsuhrzeit und die Schnullerkette den Namen. Der Seeaufbau war recht simpel: Decke aufgespannt zur Hohlkehle unter Tageslicht – quasi günstiges Dauerlicht :-) Ich hatte es zuvor mit Gartenhintergrund versucht, aber das gefiel mir trotz Offenblende so gar nicht. Daher habe ich schnell zwei Stative mit Verbindungsstange aufgespannt und die Decke darauf fixiert. By the way: Die Halteklammern für den Hintergrund gibt’s für 1,50€/Stck im Baumarkt! Vielleicht nicht die hohe Schule der Fotokunst, aber ich denke, dass es sich für eine Bildkritik lohnt.

Ist das jetzt ein Stilleben mit Mensch? Ein Symbolfoto? Oder ein Situationsporträt? Es scheint auf jeden Fall die Zweckentfremdung eines Babysittings gewesen zu sein… Hoffen wir, Annas Eltern vertrauen Dir auch weiterhin. Zur Fotografie:

Wir sehen in dieser Schwarz-Weiss-Aufnahme ein Kleinkind in einem Korb, fotografiert in einem horizontlosen, weissen Setting. Das Baby ist von rechts oben seitlich zu sehen und hält in der rechten, über seinen Kopf ausgestreckten Hand eine Schnullerkette. Bei genauem Hinsehen erkennt man auf den Buchstaben-Kettensteinen den Namen „Anna“. Links vom Korb mit dem Baby steht ein überdimensioniert wirkender analoger Wecker, der sechs Uhr anzeigt. Die Fotografie wird stark geprägt von einer starken Vignettierung.

Babies sind wohl eins der am häufigsten fotografierten Motive überhaupt. Diese Fotografie tanzt aus mehreren Gründen aus der Reihe:

  • Sie stammt nicht von den Eltern.
  • Sie setzt nicht in erster Linie auf die Lieblichkeit des Babys.
  • Und sie versucht, eine Aussage zu inszenieren.
Anna mit Drittels- und Goldenschnitt-Linien

Anna mit Drittels- und Goldenschnitt-Linien

Leider klappt das nicht so richtig. Erstens ist die Aussage unklar: Der Wecker wird unwillkürlich mit dem Schlaf des Kindes in Verbindung gebracht und nicht mit seinem Geburtszeitpunkt. Die Bildaussage war für mich also eher: Gleich klingelt der Wecker und es gibt ein schreckliches Geschrei. Worauf ich mir allerdings keinen Reim machen konnte. Ganz scharfsinnige Beobachter kämen vielleicht darauf, dass die Verbindung des Kindes mit dem Wecker qua Schnullerkette eine Bedeutung hat. Das ist aber viel verlangt.

Schlimmer als die missverständliche Symbolik allerdings ist, dass die Fotografie keinerlei visuelle Spannung aufbaut. Du hast Dir zwar viel Mühe gegeben, einen Hintergrund zu finden oder zu konstruieren. Dann aber hast Du Kind und Wecker nebeneinander und in der Bildaufteilung an den uninteressantesten Orten platziert.  Die horizontale Gleichmässigkeit wird von der vertikalen Leere über den beiden Objekten noch verstärkt. Und letztlich ist der Versuch, mit der Vignettierung und Schwarz-Weiss etwas mehr Reiz ins Bild zu bringen, zu wenig intensiv, um das Motiv über die Runden zu bringen.

[bildkritik]

Ich habe deswegen versucht, wenigstens das Kind irgendwie in die Spannungsfelder der Flächenaufteilung zu bringen. Statt des Goldenen Schnitts bin ich auf die goldene Spirale gekommen, mit der wir den Wecker etwas weiter links unten und das Gesicht des Kindes in den spannendsten Bildpunkt bringen – wenn wir einen beherzten Schnitt wagen.

So wird dem Kind kein Körperteil abgeschnitten, denn Querschnitte gelten als neue Porträtkomposition und nicht als Amputierungen.  Das Gesicht und die Hand des Kindes werden gewichtiger, die Verbindung zum Wecker wird sicht- und erkennbar und der Wecker selbst rutscht in der Komposition in die Spirale der Blickrichtung von links nach rechts.

High Key, Beschnitt für eine Lage in der goldenen Spirale

Beschnitt für eine Lage in der goldenen Spirale

Ein klein wenig Federkraft gewinnt die Aufnahme damit, meine ich, auch wenn sie noch nicht wirklich platzt vor Spannung.

Ich bin schliesslich noch darauf gekommen, das Kind im weissen Raum schweben zu lassen. Sprich, statt der Vignettierung, die einen Röhrenblick insinuiert und praktisch ist, um in dunkleren Bildern helle Ablenkungen am Bildrand auszublenden, das Gegenteil zu tun und mit einer generellen Aufhellung der Tiefen eine High-Key-Aufnahme aus der Fotografie zu machen.

Das Resultat ist noch immer nicht hohe Schule der Fotokunst, aber es holt meiner Ansicht nach noch etwas mehr aus Deinen Experimenten heraus.

Deine Meinung zum Bild (und die der Eltern zu deiner Fotosession) würde uns interessieren.

Baby Anna Im Highkey-Foto

Anna, das Baby – angeschnitten und mit High-Key-Effekt

2 Kommentare
  1. Christian Loose
    Christian Loose sagte:

    Hallo Peter und Redaktion,
    vielen Dank für Eure sachliche Kritik. Ich freue mich immer wieder, wenn es eins meiner Bilder in Eure Auswahl schafft.
    Zu dem Foto muss ich erwähnen, dass es nur 1 aus einer ganzen Reihe unterschiedlicher Szenen ist. Der Wecker ist im eigentlichen Sinne kein Wecker, sondern ein Standuhr, auf der die Geburtszeit steht. Den Eltern hat die Fotoreihe übrigens sehr gut gefallen. Allerdings haben sie das nicht an einem einzelnen Bild festgemacht, sondern an der ganzen Fotoreihe, die übrigens mangels Zeit sich noch nicht auf meiner Homepage wieder findet. Dabei sind halt auch Detailaufnehmen mit schönem weichem Bokeh etc. (siehe Anlage), die den Betrachter vielleicht nicht so verwirren. Aber ich wollte ja auch kein Postkartenmotiv zeigen ;-)
    Ich find’s aber toll, dass Du Dich so kritisch damit auseinander gesetzt hast, weil ich mir bei diesem Bild auch nicht so sicher war, was mir noch fehlt, oder was man hätte ggf. besser machen können, oder ob es mehrheitlich ansprechend ist.
    Also nochmal ein dickes Danke ! Denn manchmal ist man ja betriebsblind für die eigenen Werke, obwohl ich mich schon immer bemühe mich selbst auch kritisch zu hinterfragen. In anderen großen Foren erhält man leider nur selten, ernste, sachliche Kritik. Ich finde auch, es ist ein ganz schwieriger Prozess seine eigenen Bilder hochnüchtern zu betrachten und bei der Bewertung so zu tun, als seien es fremde Bilder. In letzter Zeit gelingt mir das aber zunehmend besser, so dass sich die Nettoauswahl nach einem Fototag deutlich reduziert.

    Viele Grüße,

    Christian Loose

    Antworten
  2. Sofie Dittmann
    Sofie Dittmann sagte:

    Ich persönlich hätte den Wecker komplett weggelassen. Er trägt für mich absolut nichts zum Foto bei. Auch die Vignette finde ich störend. Das könnte dann im Ergebnis alles etwa so aussehen.

    Antworten

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