Baum mit Aussicht: Mehr Überlappung

Landschaftsfotografie simuliert im Idealfall Tiefe durch Perspektive. Wenn man die Räume zu sehr trennt, kann das nicht gelingen.

Baum-mit-Aussicht

Baum mit Aussicht Fuji X-Pro2 1/210s bei Blende 9 mit 16mm Brennweite und ISO 200

Sven Koesling aus Untervaz schreibt: Dieser einsame Baum auf seinem Felsen fasziniert mich seit Jahren. Der Wind hat ihn so gebeugt, dass er einen rechten Winkel im Stamm hat. Für die Aufnahme habe ich mir einen Tag ausgesucht, an dem der Sonnenuntergang ein schönes Licht auf Stamm und Krone gibt.

Meinen Glückwunsch zu Deiner Beharrlichkeit, ein Motiv in der Landschaft über lange Zeit im Auge zu behalten und schliesslich zu fotografieren. Ich würde raten: Weiter machen, ausreizen, [amazon B01KSW4UFA]alle Varianten testen![/amazon]

Dies ist eine Farbfotografie eines Baums in den Bergen. Die alleinstehende Arve  (ich kenne mich nicht so aus mit den Baumarten….), die dem grasbewachsenen Berghang entlang nach unten geneigt ist, füllt das obere linke Viertel des Rahmens. Darunter sehen wir Teile des Hangs im Vordergrund mit Felsen, die rechte Bildhälfte macht der grasbewachsene Abhang unten und die fernen Bergwipfel rechts. Die Aufnahme wurde offenbar am frühen Abend aufgenommen, ein fast völlig blauer Himmel weist nur einige Thermikwolken über den fernen Berggipfeln auf. Das Licht ist verhältnismässig harsch, der Kontrast zu den Schatten hart.

Du hast etwas gesehen, das dich fasziniert, und einen Weg gesucht, es mit der richtigen Perspektive zu fotografieren: Landschaftsfotografie mit einem Plan. Du hast Dir einiges überlegt, das Licht mit Bedacht gewählt und die „Aussicht“ des Baums auszudrücken versucht. Das ist schon sehr viel Agenda für ein Landschaftsbild.

Technisch betrachtet, ist an dieser Aufnahme mit der [amazonna B01AP7S4GE]Fuji Systemkamera XPro 2[/amazonna] alles soweit richtig: Weitwinkel, mittlere Blende, früher Abend. Die Schärfe ist durchgehend, was bei Landschaftsaufnahmen die Regel ist, um den Betrachtern ein Gesamtbild zu geben.

Ich frage dennoch, ob der Zweck der Aufnahme erfüllt wird. Dazu stellen wir einige grundlegende Parameter in Frage.

baumaussichtgolden Die Komposition folgt keiner eindeutigen Regel

Angefangen mit der Komposition: Wie im Bildbeschrieb dargestellt, ist die Aufnahme im Wesentlichen in drei Elemente auf vier Flächen aufgeteilt: Vordergrund unten durchgehend (Felsen links, Grasabhang rechts),  Hauptmotiv oben links, Szenerie unten rechts. Du hast alle Elemente im Bild drin, die es brauchen würde, um das umzusetzen, was du wolltest: Einen Raum zu schaffen, den Ausblick des Baums erfühlbar zu machen (Landschaftsfotografie braucht Vorder-, Mittel- und Hintergrund und überlässt dem Betrachter die freie Erkundung).

Die Räume sind zu strikt getrennt

Die Räume sind zu strikt getrennt

Aber die Räume sind dermassen klar getrennt und aufgeteilt, dass sie wie separate Elemente wirken und kein Zusammenspiel entwickeln. Der Baum, freigestellt vor dem zeichnungsfreien blauen Himmel, wird flach, die Berge im Hintergrund entwickeln keine Beziehung zu ihm. Der Vordergrund scheint da zu sein, weil man ihn nicht weglassen konnte. Die drei Tiefen haben keine Wechselwirkung, sie sind separiert.

[premiumkritik]

Was hättest Du tun können? Ich denke, Du hättest einen Vordergrund direkter wählen oder sogar den Baum zum Vordergrund machen können, und ihn dann mit einer Position weiter links hinten, wenn möglich erhöht, vor die Berge stellen können.

Die beiden unten stehenden Aufnahmen, die ich vor zehn Jahren im Münstertal gemacht habe, zeigen das Problem: Die erste Fotografie stellt den einen Baum vor dem Himmel frei, wodurch sich die Räume alle klar abgrenzen. Die zweite Aufnahme lässt den klar als Motiv dominierenden Baum vorne rechts Vorder-, Mittel- und Hintergrund überlappen und damit verbinden.

Der Baum steht isoliert in der Landschaft, es entsteht keine Verbindung.

Der Baum steht isoliert in der Landschaft, es entsteht keine Verbindung.

Der Baum ist Motiv und Klammer zwischen Hintergrund und Vordergrund. Er schafft Tiefe.

Der Baum ist Motiv und Klammer zwischen Hintergrund und Vordergrund. Er schafft Tiefe.

Weiter wäre zu überlegen, ob hier, auch wenn der „Ausblick“ und damit die Weite das Thema sind, der Weitwinkel nicht zu viel Distanz zwischen Baum und Umwelt schafft. Mit dem Weitwinkel schiebt man in der Regel die Vorder-, Mittel- und Hintergründe auseinander, schafft den Eindruck von Distanz und Abstand. Der besteht aber schon zwischen den  fernen Bergen und dem Baum, und vielleicht wäre deshalb eine deutlich kürzere längere Brennweite eher angetan, den Baum in Beziehung zu den Bergen zu setzen. Dazu brauchst Du natürlich den Platz, um etwas weiter weg vom Baum die Berge und das Motiv zusammen zu ziehen – das ist gar nicht so einfach.

Auch die Wahl des Lichts finde ich problematisch, jedenfalls, wenn Du den Vordergrund mit einbeziehen wolltest, in dem wir Schatten sehen, die schwarz absaufen und auf die man sich kaum einen Reim machen kann, woher sie rühren.

Meine Erfahrung ist, dass in der Landschaft die schönste Lichtstimmung entsteht, wenn der Vordergrund im weichen Schatten einer leichten Bewölkung liegt oder unmittelbar nach dem Untergang der Sonne die Farben der blauen Stunde ihre Wirkung entfalten.

6 Kommentare
  1. Mark Piontek
    Mark Piontek sagte:

    Wenn der Baum das Motiv ist, und daran gibt es keinen Zweifel, dann ist er zu klein geraten. Das ist auch in Peter’s Beispielbildern gut zu sehen, neben der in der Bildkritik schon erwähnten Überlappung trägt auch die Größe des Baums zu einem deutlichen Unterschied in der Bildwirkung bei.

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    • Sven
      Sven sagte:

      Ich werde es nochmal versuchen und dichter ran gehen. Dazu noch den Hinweis von Dierk (Schnitt am Schatten), so dass ich das Bild auf Baum und Schatten konzentriere – bin gespannt.

      Danke Euch allen für die Diskussion!

  2. Sven
    Sven sagte:

    Vielen Dank für diese hilfreiche Kritik! Ich habe nicht herausgefunden, was an dem Bild nicht stimmt. „Aber die Räume sind dermassen klar getrennt und aufgeteilt, dass sie wie separate Elemente wirken und kein Zusammenspiel entwickeln. “ Genau das ist es.

    Ausserdem ist mir aus der Situation klar, dass der Schatten vom Baum selber kommt – das ist dem Betrachter des Bildes aber nicht bewusst.

    Das Bild enthält irgendwie alles, aber ohne rechten Zusammenhang.

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    • dierk
      dierk sagte:

      mach es nicht schlechter!
      Ich habe es lange angesehen und denke, wenn du rechts bis fast zu dem Schatten von dem Baum schneidest, konzentrierst du das Bild mehr auf dem Baum und der Hang fällt nicht so sehr bis unten ins Bild ab (oder aus dem Bild heraus). Oben den Himmel hätte ich vielleicht auch noch etwas weg genommen.

      Peter die beiden Bilder sehen sehr nach Pol-Filter aus?

      oder du wartest dramatische Wolken ab, dann vielleicht mit Pol-Filter :-)
      https://c1.staticflickr.com/9/8594/16327092421_de880d795f_b.jpg

    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Ja, die beiden Aufnahmen stammen aus der Phase „Ich weiss jetzt, was ein Polfilter ist, und ich mache jeden Himmel schwarz und jede Wasserspiegelung ganz weg!“

    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Ehrlich, bisweilen staune ich selber, was man sieht, wenn man jemand anderes Bild analysiert, was man in den eigenen einfach nicht sehen kann. Ich habe hier sofort an meine Aufnahmen von vor zehn Jahren gedacht, ohne zu verstehen, weshalb – erst als ich sie ausgegraben hatte, wurde es mir klar.

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