Bildjournalismus: Mehr von der Geschichte

Bildjournalismus im Sport soll vor allem eines: Emotionen transportieren und Geschichten erzählen. Das verlangt mehr als Nähe zum Akteur.

Tejay van Garderen

Canon EOS-1D Mark III 1/500s F/7.1 mit 120mm Brennweite und ISO 800 © Ben Kaufmann

Ben Kaufmann aus Köln : Tejay van Garderen, UCI WM Limburg, 2012.
Das Foto habe ich im Zieleinlauf des Einzel Zeitfahrens der UCI WM in Limburg im Jahr 2012 aufgenommen. Es zeigt den US Radfahrer Tejay van Garderen, der für das BMC Team fährt. Gerade im aktuellen USA Diskurses erfährt das Bild meiner Meinung nach eine außersportliche Relevanz und Sinn im Jahr 2017. Interessant ist auch jene fast demütige Haltung des Sportlers im Angesicht seiner völligen Verausgabung und Übermensch/Captain America. Gewonnen hat damals übrigens Tony Martin.

Nahe dran ist schon mal sehr gut in der Dokumentation wichtiger Ereignisse. Beim Sport möchten wir dann aber auch noch spüren, was passiert ist.

Wir sehen in dieser Farbfotografie einen Sportler mit Helm, der mit gesenktem Kopf auf die Kamera zugeht. Er trägt eineng anliegendes Oberteil, das so durchsichtig ist, dass wir die therapeutischen Tapes auf der Brust sehen. An der Nase des Mannes hängt ein Schweisstropfen oder eine Träne.

Einen Fehler wolltest Du Dir hier ganz bestimmt nicht leisten: Den, nicht genug nah dran zu sein. Du bist Dem Mann mit dem 120er Objektiv und auch physisch auf den Leib gerückt, und das ist grundsätzlich schon mal eine gute Voraussetzung für eine starke [amazon  3645604235]Sport-Fotografie.[/amazon]

Technisch hast Du Dich auch abgesichert, indem Du mit einer hohen Empfindlichkeit von 800 ISO sichergestellt hast, dass nicht im Getümmel der Schlacht im Zielraum plötzlich so düstere Verhältnisse herrschen, dass Du unscharfe Fotos einfängst, weil die Kamera lange Zeiten einstellt – diese Panne habe ich schon mehrfach erlebt und vielleicht endlich etwas daraus gelernt. Die lange Brennweite und die mittlere Blende sorgen hier für eine recht gute Freistellung mit der Schärfentiefe.

[bildkritik]

Dennoch setze ich genau hier an: Mich irritiert in diesem Bild zunächst der Arm in der Unschärfe, der unter der rechten Achsel von Tejay zu sehen ist: Erst auf den zweiten Blick erkenne ich, dass dieses auffällige orange Stück Körper nicht zum Akteur im Bild gehört.

19.09.2012, Limburg, NED, UCI Road World Championships 2012, Individual Time trail, Elite Men Foto © nph / Kaufmann 19.09.2012, Limburg, Valkenburg, NED, #6 Tejay van Garderen #6 Tejay van Garderen erschoepft im Ziel, Sonnenbrille, Helm, USA Trikot, Hochformat Text was auf dem Foto ist Foto © nph / Kaufmann

Dieser Arm irritiert enorm.

Und damit sind wir schon mitten drin in der Diskussion über die Komposition dieses Bildes, so man denn bei einem dokumentarischen Foto davon sprechen kann. Auf den Punkt gebracht, ist der individuelle Informationsgehalt des Fotos beschränkt auf das Gesicht des Sportlers. Will heissen, alles andere ist hier entweder nicht wichtig (Zuschauer in der Unschärfe) oder allgemein gleichbleibend (Dress des Sportlers, Beschriftungen, Werbeaufschriften). Als Betrachter ohne den Hintergrund in deinem Sport, den Du insinuierst (ich habe leider keine Ahnung, was sich in dieser Sportart derzeit an aktuellen Debatten entfaltet– und bin auch nicht der Ansicht, dass das zum Verständnis des Bildes beitragen würde), interessieren mich grade mal zwei Dinge, in dieser Reihenfolge: Das Gesicht dieses abgekämpften Mannes als Ausdruck seiner Stimmung, und sein Outfit sowie der Grund dafür.

Tejay van Garderen

Das ist der eigentliche Hotspot des Fotos, das, was einen Betrachter als erstes und grundsätzlich interessiert.

Also ist das wesentlichste Element des Fotos eigentlich das Gesicht und von Tejay und sein Blick – und den sehen wir hier just nicht, weil er in den Augen zu erkennen ist, und die sind von seinem getönten Helmvisier verdeckt. Nun ist es nicht so, dass jede Sportfotografie (im Gegensatz zu einem Porträt-Foto!) unbedingt die [amazonna 3645604464]Augen des fotografierten Sportlers[/amazonna] zeigen muss. Man kann auch die Körperhaltung und andere Indizien für den aussagestärksten Teil des Fotos heranziehen – aber hier suche ich unwillkürlich nach dem Teil in dem ohnehin kleinen informativen Teil des Bildes, wo die Emotionen zu erkennen wären, und das sind nun mal die Augen. Ich habe mit einer Bildersuche bei Google auf den ersten Seiten kein Foto von Tejay gefunden, das bei ähnlicher Nähe der Fotografin ähnlich wenig vom Gesicht zeigt.

Ich glaube, dieses Bild zeigt den Grund dafür, weshalb Pressefotografen heute bei nicht wiederkehrenden Gelegenheiten wie Staatsbesuchen etc. das Seriefeuer der Kamera einsetzen und knallhart draufhalten: Ich kann mir vorstellen, dass Tejay in der nächsten halben Sekunde den Kopf hebt und Du die Augen, den Gesichtsausdruck und den an der Nase hängenden Schweisstropf voll ins Bild gebracht hättest. In dieser Haltung aber ist es vor allem ein mehr oder weniger anonymer Captain America, den ich als Laie nicht wieder erkennen würde, wenn man mir ein Porträt neben Dein Foto legen würde.

 

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert