Bildkritik Architektur in Abstraktion: Form-(fast)-Vollendet

Manchmal kann man noch einen Schritt weitergehen, und ein fast perfektes Foto durch (zugegebenermaßen) drastische Nachbearbeitung zu einem hervorragenden machen.

Panasonic DMC-FT5 - 1/500 s - ISO 200 - f/10 - 4.9 mm - © Wiebke-Susanne Homann

Panasonic DMC-FT5 – 1/500 s – ISO 200 – f/10 – 4.9 mm – © Wiebke-Susanne Homann

Wiebke-Susanne hat uns diese Aufnahme der Universität Bielefeld unter dem Titel „Form-vollendet“ in der Kategorie „Architektur“ eingereicht. Sie  schreibt dazu:

«Der Schatten der Feuerleiter an der Wand hat mich fasziniert, und ich habe versucht, sowohl die triste Architektur, als auch den interessanten Schattenwurf abzubilden. Seit 10 Jahren arbeite ich in diesem Gebäude der Universität Bielefeld, und immer wieder springen mir neue Fotomotive ins Auge.»

Auf der Website von Wiebke-Susanne Homann sind noch mehr Bilder dieses Motivs zu sehen, aber dieses sticht für mich heraus, wenn auch der Titel etwas krankt (nicht ganz vollendet für mich – siehe unten). Aber zunächst zum Bild:

Technisches: Du fotografierst mit einer Panasonic Lumix DMC-FT5. Ich habe selbst eine kleine Kamera dieser Marke, allerdings keine so robuste wie Deine. Diese scheint Dein steter Begleiter zu sein, was ich sehr gut finde – man sollte als Fotografin immer eine Kamera zur Hand haben, denn man weiß ja nie, welche Motive einem wann über den Weg laufen. Meine DMC ist meine „Reisekamera“, da sie sehr vielseitig ist, trotz ihrer geringen Größe.

Du hast laut EXIF-Daten im „Landscape-Modus“ fotografiert. Soweit ich weiß, wählt dieser Modus automatisch die größte Schärfentiefe für Dich, alles andere wird angeglichen. Den Schatten nach zu urteilen ist das Foto um die Mittagszeit entstanden.

Komposition: Alles, inklusive der für Dich maßgeblichen Feuerleiter, ist aus dem Goldenen Schnitt (rosa) bzw. der Drittelregel heraus verschoben (grün).

Vergleichsfoto/Komposition

Das paßt hier für mich, denn das Foto hat etwas Surreales nicht nur durch seinen Bildgegenstand, sondern auch, wie es fotografiert ist. Man erwartet irgendwie Zombies oder Aliens, die zwischen den Strukturen rechts ins Bild treten.

Alle bestimmenden Linien laufen auf den Fluchtpunkt (gelb) zu, der zwischen den beiden Gebäuden liegt:

Vergleichsfoto/Fluchtpunkt

Wenn auch Dein Hauptaugenmerk der Feuerleiter galt, hast Du sie doch auf eine Art hier eingefangen, die ein gutes Auge verrät. Viele hätten das Ding voll in den Hauptmittelpunkt gerückt, und es wäre wohl auch ein gutes Foto dabei heraus gekommen. Du hast Dich jedoch entschlossen, sie an den linken Bildrand zu stellen und den Rest der sie umgebenden Architektur mit ihr kontrastieren zu lassen. Hut ab, daß Du das so gesehen und umgesetzt hast.

Nachbearbeitung: Du hast hier ein kontrastreiches Schwarzweiß gewählt, und im Sinne völliger Offenheit: ich bevorzuge grundsätzlich Schwarzweißfotos. Aber nur, wenn sie gut gemacht sind, und das ist hier meines Erachtens der Fall. Ich hätte zwar wohl eine weniger starke dunkle Vignette gewählt, aber das ist eine persönliche Entscheidung.

Fazit: Der einzige Verbesserungsvorschlag meinerseits ist betrifft die stark kippenden Linien im Foto (zum Vergleich rot die vertikalen Linien, wie sie sein sollten):

Vergleichsfoto/Kippende Linien

Man kann natürlich argumentieren, das Kippende im Bild, das der Verzerrung durch die Kameraeinstellungen geschuldet ist, unterstreiche den experimentellen Charakter dieser Aufnahme. In diesem Fall läßt man das Foto dann eben so, wie es ist. Oder man geht noch einen Schritt weiter, und korrigiert diese, was dann aber wiederum zur Folge hat, daß die interessanten Fenster im Gebäude rechts wegfallen. Diese kann man jedoch leicht in einem Programm wie Photoshop (ich habe gesehen, Du hast Picasa benutzt) zurückholen und so in die Aufnahme integrieren, daß es kaum auffällt. In einem Architekturfoto wäre das unter Umständen problematisch, doch Du hast dieses Motiv durch die Art der Aufnahme und die folgende Nachbearbeitung zu einem Kunstfoto gemacht, und in einem solchen wäre es für mich ohne weiteres OK.

Das ist natürlich eine ganze Menge Bildbearbeitung, die für manche Leser wahrscheinlich des Guten etwas zuviel ist. Unser Autor Carsten Schröder hat in diesem Artikel über das Erkennen von Motiven  bereits eine ähnliche „Angleichung“ seiner künstlerischen Vision an die fotografischen Gegebenheiten vorgestellt (Haus am Strand).

Das hier wäre jedenfalls das Ergebnis:

Vergleichsfoto/Korrigierte Linien

Stürzende Linien korrigiert

 

Abgesehen davon finde ich Dein Foto rundherum gelungen, und ich würde anregen, Deine Umgebung mehr in diesem Stil zu fotografieren.

Was ist Eure Meinung? So lassen, oder Linien angleichen?

4 Kommentare
  1. doree richtown
    doree richtown sagte:

    Ich kann den Kommentar von „Bernstein“ nur zu 100% unterstreichen.
    Der begradigten Fassung ist ein Großteil der Spannung und Dynamik des Originals genommen. Was bei einer klassischen Architekturaufnahme sicher richtig gewesen wäre, finde ich bei diesem Foto (zer)störend.

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  2. Bernstein
    Bernstein sagte:

    Mir gefällt das unbearbeitete Bild besser. Natürlich ist die korrigierte Fassung ohne stürzende Linien korrekter im Sinne der klassischen Architekturfotografie. Doch die Tatsache, dass der rechte Bildteil außerhalb des Fokus liegt und Unschärfe hat, fällt dann unangenehm auf. Durch die stürzenden Linien und die Unschärfe wird daraus aber ein Gestaltungsmittel, das den bedrohlichen Ausdruck unterstreicht

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  3. Chilled Cat
    Chilled Cat sagte:

    Da stimme ich voll zu: Wenn das Gebäude im Hintergrund umfällt, stört das erheblich. Und auch ja, die Fenster müssen wieder ins Bild. Auch wenn es durch Fotoshoppen ist.

    Damit die Fenster beim Entzerren nicht abgeschnitten werden, könnte man den Ausschnitt bei der Aufnahme größer wählen, um genügend Platz zum Geraderücken in der Nacharbeit zu haben.

    Dieser Tipp ersetzt zwar fast ein Shiftobjektiv, er ist leider in der Praxis gar nicht einfach umzusetzen, Ich finde es sehr schwierig während der Aufnahme abzuschätzen, wieviel Rand zum Entzerren gebraucht wird. Zumal diese Randbetrachtung natürlich total bei der Aufnahme vom Motiv ablenkt.

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  4. Carsten Schröder
    Carsten Schröder sagte:

    Sehr gut gesehenes Motiv.
    Das schwarzweiße unterstützt die eh grafische Bildwirkung. Dass Sofie das Gebäude gerade gerückt hast, ist ein Muß, da meiner Meinung nach die stürzende Linie zu sehr vom eigentlichen Motivinhalt ablenkt.

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