Blumenbild: Verborgener Blick

Noch eine raffinierte Art, Blumenbilder zu machen: Der Blick ins Unsichtbare, das Subjekt als Entdeckung, macht Banales spannend.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Michael Becker).

Kommentar des Fotografen:

…blühen, im Verborgenen. Die ersten Frühlingsboten unter einer blühenden Azalee

Peter Sennhauser meint zum Bild von Michael Becker:

Ein Paar Osterglocken sind in dieser Farbfotografie im Halblicht der Sonnenstrahlen zu sehen, welche zwischen dem Bewuchs eines Gartens hindurch scheint. In der unmittelbaren Vordergrund-Unschärfe sind die violetten Blütenblätter einer Azalee mehr zu erahnen als zu sehen. Sie bildenen einen Rahmen um die gelben Osterglocken, die deutlich ausserhalb des Bildzentrums oben links angeordnet sind.

Es gibt unzählige Arten, wie man Blumen spannend fotografieren kann. Leider ist ihre natürliche Anmut meistens so vereinnahmend, dass die wenigsten Fotografinnen und Fotografen auf die Idee kommen, die Umgebung einzubeziehen oder einen frischen Blickwinkel zu wagen.

Du hast hier eine besonders raffinierte Methode gewählt, welche aus der hinlänglich bekannten Osterglocke eine Entdeckung macht:

– als wäre sie ein scheues, wildes Tier, dem man sich vorsichtig und aus der Deckung heraus annähern muss. Durch den grossflächigen Vordergrund und die nur teilweise Beleuchtung im Schatten wirken die beiden Osterglocken schon fast fluchtbereit, der Betrachter erhält den Eindruck, den Atem anhalten zu müssen, um sie nicht zu verscheuchen.

Du baust damit eine Spannung auf, die auf der subjektiven Position des Fotografen oder eben des Betrachters basiert und noch nicht einmal viel mit der Blume zu tun hat. Sie wird dadurch aber zum zwingenden Objekt des Bildes, an dem niemand vorbeikommt.

Mit dem 300er Objektiv und einer Blende von 6.3 hast Du exakt das richtige Mass an Schärfentiefe hergestellt. Die Azalee ist noch als Blume im Vordergrund erkennbar, die Osterglocken sind dennoch sauber freigestellt, und in der grossen Auflösung (die wir hier nicht bieten können) ist zu sehen, dass der Fokuspunkt knackscharf auf der vorderen Glocke liegt, die hintere aber in der leichten Unschärfe bereits zur Sekundantin wird.

Beschnitten, erhöhter KontrastSo perfekt das alles herausgearbeitet wird, und trotz deines offensichtlichen Bestrebens, von jeder Form der Symmetrie weg zu bleiben, würde ich das Bild leicht beschneiden und den Negativraum rechts der Azalee kappen. Ich habe dabei immer die Tendenz, einen proportionalen Schnitt anzuwenden, würde auch hier gleichzeitig unten schneiden und damit die Osterglocken ganz leicht mehr ins Zentrum rücken.

Ich habe ausserdem den störenden Ast im Hintergrund rechts grob wegretuschiert, den Kontrast und die Sättigung etwas angehoben und dem Bild eine leichte Vignettierung verpasst, um die Azalee noch stärker zum blossen Rahmen zu machen.

Das sind aber Finessen. Der wichtigste Punkt an dem Bild ist die Verführung in der Perspektive. Statt dem Zwang, eine Blume, die uns direkt ins Gesicht gestreckt wird, schön finden zu müssen, erhalten wir eine fast verschwörerische Einladung, sie in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten. Die Manipulation ist subtil, und sie funktioniert.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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