Blumenfoto: Die vielen Unterschiede

Was hebt diese Fotografie einer wilden Orchidee von den üblichen Blumenbildern ab? Eine ganze Liste beachtenswerter Punkte.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Stephan Amm).

Kommentar des Fotografen:

Das Holunderknabenkraut, früher eine weit verbreitete Orchidee, ist heute außerhalb der Alpen nur noch an wenigen Fundorten anzutreffen. Bei uns im Frankenwald gibt es noch einige Stellen mit teilweise über 100 Exemplaren. Besonderes Glück hatte ich dieses Jahr bei einer kleineren Population, die in ihrer Lage für mich einmalig ist, am Hang, mit der Chance, daß die Frühjahrssonne mit ihren letzten Strahlen die Orchideen, von denen es auch eine rote Variante gibt, illuminiert. Ein Makro mit langer Brennweite (200mm) bei offener Blende sorgte für die Vignettierung und die „Auflösung“ der Umgebung.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Stephan Amm:

Eine wilde Orchidee im letzten Licht des Tages, fotografiert mit extremer Brennweite, steht in einer Wiese mit hohen Grashalmen, die im Vorder- und Hintergrund ind er Unschärfe verschwinden.

Diese Aufnahme könnte als Schulbeispiel für gut gemachte Blumenaufnahmen dienen:

Sie hebt sich in vielen Punkten von den üblichen Blumenfotos ab, die wir fast täglich erhalten, und die meist von oben formatfüllend die Blüte zeigen. Ich versuche aufzuzeigen, was Stephan anders gemacht hat und damit eine Aufnahme geschaffen hat, die wohl auch den Ansprüchen für Hochglanz-Publikationen oder Werbung genügen dürfte.

Die Perspektive: Nur weil wir Blumen – ausser wenn sie in einer Vase auf dem Tisch stehen – meistens von oben sehen, müssen wir sie nicht so fotografieren – schon gar nicht in ihrem angestammten Lebensraum. Stephan hat sich hier auf die Knie oder den Bauch herabgelassen und macht die Orchidee damit zu etwas aufragend-erhabenem.

Das Licht: Blumen sind bunt, und Buntes muss man möglichst hell anleuchten, um die Farben hervorzubringen? Falsch. Das weiche Licht am Abend kurz vor oder nach Sonnenuntergang dient nicht nur Landschaftsfotografen, um weiche Konturen und Kontraste zu kriegen, sondern kann auch bei solchen Detailaufnahmen für einen einzigartigen warmen Ton sorgen.

Die Komposition: Zumindest wilde Blumen oder solche, die in einem Umfeld stehen, das sich einzubeziehen lohnt, sollte man in ihre Umgebung integriert zeigen. Diese Orchidee wird durch ihren Standort im hohen, faden Gras emotional zum Fundstück, indem sie – im klassischen Drittelsschnitt – eingebettet gezeigt wird und uns nicht mit voller Tele-Wucht ins Gesicht gestreckt wird. Sie steht stolz in den Wogen der Grashalme, und wir haben etwas zu entdecken in diesem Bild.

Die Brennweite: Das Tele hier für eine Makro-Aufnahme in der Waagerechten zu verwenden sorgt erst für den Tiefeneindruck des Bildes. Die Orchidee wird aus dem Vorder- und Hintergrund isoliert – aber der Kniff besteht eben darin, dass es einen Vorder- und einen Hintergrund gibt! Die geringe Schärfentiefe verleiht der Blüte so die dritte Dimension, die es in einem zweidimensionalen Bild umzusetzen gilt.

Die Technik: Die sogenannte Vignettierung – die Randabdunkelung in der Fotografie, die bei weniger perfekt geschliffenen Linsen oder auch schon mal durch eine in den Bildausschnitt hineinragende Sonnenblende auftreten kann – hebt das Motiv fast unmerklich weiter heraus und lässt es erstrahlen. Wer ein „zu hochwertiges“ Objektiv benützt, kann die Vignettierung heute mit den meisten Bearbeitungsprogrammen wie Aperture, Lightroom oder Photoshop nachträglich einfügen – und derzeit liegt das sehr im Trend, weshalb ich speziell zur Zurückhaltung aufrufen möchte. Hier ist der Effekt zweifellos gut angewandt.

Planung und Vorbereitung: Dieser Fotografie ist deutlich anzusehen, wie viel Zeit und Planung Stephan hineingesteckt hat. Darauf deutet auch seine Beschreibung hin und die Tatsache, dass er weiss, wie selten diese Pflanze inzwischen ist. Also hat er sie im richtigen Licht sehr sorgfältig in ein Bild komponiert, das allen Umstänmden Rechnung trägt, aber über eine schöne Dokumentation hinaus auch künstlerische Aspekte berücksichtigt – etwa die Verteilung der Schattierungen (links der dunkle Horizont oben und der dunkle Vordergrund, rechts der Bogen der Grashalme im Vordergrund und der Kranz der grünen Blätter der Orchidee selber).

Müsste ich ein Haar in dieser Suppe finden, ich würde behaupten, dass die Schärfentiefe einen Tick zu gering oder zu weit im Vordergrund gewählt ist, weil bereits der hintere Teil der Blüte in starker Unschärfe verschwindet. Möglicherweise handelt es sich dabei aber um einen zweiten Blütenstand, der in etwas grösserem Abstand vom vorderen steht. Und ausreissen geht ja wohl nicht…

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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7 Kommentare
  1. Stephan Amm
    Stephan Amm sagte:

    Hallo,

    danke, danke :) Zuviel der Ehr! Was die Schärfentiefe anbelangt ist man hier natürlich etwas in einem Zwiespalt, einerseits weiß ich, daß das Objektiv bei Offenblende alles außerhalb des fokusierten Bereichs in wunderschöne Unschärfe hüllt und dabei auch noch eine gute Schärfe aufweist, andererseits wäre etwas mehr Schärfentiefe auf der Blüte wünschenswert. Da diesem Problem nur mit einer Doppelbelichtung, einmal abgeblendet, das andere mal offenblendig, beizukommen ist (was dann natürlich zusätzlichen Photoshopeinsatz bedeutet), habe ich die in meinen Augen attraktivste Teilblüte fokusiert.

    LG
    Stevie

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  2. dierk
    dierk sagte:

    traumhaft schönes Blumenbild, Stephan.
    Leider ist deine Seite noch im Aufbau, mehr davon:-)
    Irgendwann kaufe ich mir auch noch der 200er Micro:-))

    Peter, sehr übersichtlicher Aufbau deiner „Kritik“. So gefällt es mir sehr.
    Inhaltlich bin ich ganz deiner Meinung.
    dierk

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