Blumenfotografie: Absichtlich unscharf

Erst wer weiß, wie technisch gelungene Fotos entstehen, kann sich an die Grenzen rantasten und versuchen, auch den fotografischen Fehlern eine Ästhetik zu entlocken.

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Gisela Diederichs).

Kommentar des Fotografen:

Titel: Rosen für Vincent II – Versuche mich in der Wischtechnik und bin über die Ergebnisse oftmals überrascht. Würde mich über eine Beurteilung, ob dies wirklich ein interessantes Foto ist, sehr freuen.

Profi Robert Kneschke meint zum Bild von Gisela Diederichs:

Wie meine letzten Fotokritiken gezeigt haben, bin ich kein Freund von missglückten Fotoaufnahmen, die der Fotograf nachträglich als „Kunst“ zu deklarieren versucht, in der Hoffnung, sein technisches Unvermögen würde nicht bemerkt werden. Manchmal, aber nur manchmal, kommen durch fehlerhafte Fotos jedoch Bilder zustande, die es doch wert sind, genauer betrachtet zu werden. Und bisweilen entsteht daraus eine neue Technik.

Nach technischen Gesichtspunkten ist das hier gezeigte Foto eindeutig unscharf und somit misslungen:

Da Unschärfe aber viele Ursachen haben kann, wollen wir genauer sein: Das Foto ist „verwischt“, weil die Kamera während der Belichtungszeit von 1/50 Sekunde schnell in eine Richtung gezogen wurde.

Entstanden ist so ein abstraktes Blumenbild, was an Pointillisten wie Monet mit seinen Seerosen erinnert, wo sich das Bild genau genommen erst im Kopf aus vielen einzelnen Farbpunkten zusammensetzt. Auf ähnliche Weise wirkt das Foto von Gisela Diederichs. Wir erkennen, dass es ein Rosenbusch war, der abgelichtet wurde, aber ganz sicher sein können wir nicht, da es wirkt, als würde wir das Motiv durch halbseidenen Stoff betrachten, oder durch strömendem Regen. Außerdem wirkt die Verteilung der Farben sehr harmonisch, bei der die rosa und roten Tupfer nach oben hin immer größer und farbintensiver werden.

Aber warum hat dieses Foto etwas, was viele andere verwackelte Fotos nicht haben? Zum einen ist die Verwacklung kein Fehler, sondern Teil einer gezielten „Versuchsreihe“, bei der die Fotografin mit der „Wischtechnik“ experimentiert hat. Streng genommen war die Unschärfe also kein Zufall, sondern Absicht. Natürlich kann man als Fotograf viel weniger beeinflussen, wie das Bild wird, wenn man die Kamera wild durch die Gegend schwenkt. Wer es aber mit Vorsatz macht und darauf achtet, worauf er seine Kamera richtet, verbessert seine Chancen deutlich. Seien wir ehrlich: Ich habe noch andere Fotos der Fotografin aus dieser „Testreihe“ gesehen, die bei weitem nicht so gelungen waren. Aber ich bin sicher, dass dieses gelungene Foto nicht dabei gewesen wäre, wenn sie nicht absichtlich versucht hätte, diese fotografischen Fehler zu erzeugen.

In der Rubrik „Bildkritik“ analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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8 Kommentare
  1. Uwe S.
    Uwe S. sagte:

    Ich mag die Idee, ein „impressionistisches“ Bild zu schaffen. Der Wischeffekt, der durch gezieltes Verwackeln bei längeren Belichtungszeiten entstand, lässt sich nur schlecht steuern. Es bleibt nur, aus einer Reihe von Versuchen das beste Bild auszusuchen.

    Bei nächster Gelegenheit – vermutlich erst im Frühling – werde ich es mal mit Mehrfachbelichtungen versuchen, wobei ich einzelne Aufnahmen bei der Bildbearbeitung überlagern möchte. Das gibt mir die Möglichkeit, den Eindruck des unscharfen Sehens gezielter zu steuern. Ob ich bei der Aufnahme hartes oder weiches Licht benötige, wird sich herausstellen.

    Hat einer der Leser schon Erfahrungen gemacht mit Mehrfachbelichtungen zur Herstellung eines „Impressionistischen Bildeindrucks“?

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  2. Luciana
    Luciana sagte:

    Harmonisch, die Verteilung der Farben und Muster. Trotzdem: Ich weiss nicht, wie es wäre, wenn ich dieses Foto echt vor mir hätte als Abzug. Doch hier am Bildschirm wird mir fast schwindlig, wenn ich das Bild betrachte, obwohl es mir gefällt. Ich muss wegschauen. Trotz den wohltuenden Farben, wird mir wegen dem Wischeffekt fast unwohl. Vielleicht ist das nur bei mir so?

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  3. Gerd Dörfler
    Gerd Dörfler sagte:

    Mich würde mal interessieren, wer hinter CorinneZS steckt. Ehrlich! Du schreibst hier permanent so ausführliche Kommentare, aber bleibst leider anonym. Gibt es von dir irgendetwas im Netz? Website? flickr? etc.? Würde mich wirklich interessieren :-)

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    • CorinneZS
      CorinneZS sagte:

      @Gerd Dörfler: Ich schätze die Möglichkeit, nicht mit vollem Namen im Netz zu erscheinen. Mein Vorname lässt sich allerdings direkt aus dem Nicknamen ablesen; ich trage ihn schon bald ein halbes Jahrhundert. Meine grundsätzlich kaputen Kompaktkameras nehme ich vor allem in der Schweiz auf diverse Spielplätze mit, die ich berufsbedingt – Hausfrau, Nebenjob Mutter – aufsuche. Ich habe weder eine Homepage, noch ein Konto bei Flickr, Twitter oder Facebook, nicht einmal unter anderem Namen.

      Heute gabs übrigens Kommentar-bedingt Tiefkühlpizza, worunter das Mutterherz weit mehr litt als mein Jüngster.

  4. CorinneZS
    CorinneZS sagte:

    Achtung, sagt die Hausfrau, es folgt ein kleiner Ausflug in die Kunstgeschichte:

    Namengebend für den Impressionismus ist das 1872 von Monet gemalte Bild „Impression, soleil levant“, das 1874 in einer Ausstellung im Atelier des Fotografen Nadar erstmals gezeigt wurde. Die Bilder wurden von den Kritikern verrissen. Man warf Monet und seinen Freunden vor, was sie malten, sei gar nicht zu erkennen – und nannte sie Impressionisten. Monet nahms locker, schliesslich soll er gesagt haben:

    Das Motiv ist für mich ohne Bedeutung. Was ich wiedergeben möchte, ist das, was sich zwischen dem Motiv und mir abspielt.

    Es geht im Impressionismus also um die Impression, den Eindruck, den der Maler hat und den er einzufangen sucht. Folgerichtig verliessen die Impressionisten ihre Ateliers und malten skizzenhaft in freier Natur, hielten flüchtig Szenen alltäglichen Inhalts fest, wählten spontan neue Blickrichtungen. Das alles hatte es vorher nicht gegeben.

    In Monets „Femme a l’ombrelle“ etwa blickt man zwischen Blumen hoch auf eine Frau im Gegenlicht – ihr Gesicht liegt im Schatten. Es ist ein Bild wie ein fotografischer Schnappschuss, damals eine Revolution, bis heute einmalig schön, erfrischend, lebendig.

    (Bekanntlich hat Monet den Horizont später ganz über den oberen Bildrand hinaus geschoben, was die zeitgenössischen Kritiker weiterhin Sturm laufen liess. – Die Seerosenbilder zeugen davon.)

    Wegbereiter des Impressionismus (und Förderer der vom Kunstmarkt ignorierten Impressionisten; er kaufte ab und zu ein Bild von Monet oder versuchte, ihn beliebter zu machen, in dem er ihn malte) war übrigens Manet, von dem der nette Satz stammt:

    Je peins ce que je vois, et non ce qu’il plaît aux autres de voir. Ich male was ich sehe, nicht was die anderen sehen wollen.

    Pointillismus kam später. Er lotete zuerst einmal die wissenschaftlichen Grundlagen des Sehens aus. Es war die Zeit medizinischer Entdeckungen zum Aufbau von Auge und Gehirn. In der Folge experimentierten die Pointillisten mit neuen Arten des Bildaufbaus, das Ziel war, eine höhere Brillanz zu erreichen, indem alle Bildpunkte in ihre Einzelfarben aufgeteilt wurden (da es im Auge für blau, rot, grün sowie hell/dunkel unterschiedliche Sensoren gibt). Ursprünglich hiess die Richtung den auch Chromoluminarismus (später versuchte man sie auch als Neoimpressionismus zu bezeichnen, damit ein wenig vom Glanz der Impressionisten auf die Pointillisten überging – zumindest sprachlich; wenn man sie nicht mochte, nannte man sie allerdings lieber Konfettisten). Meiner Meinung nach ist die Absicht der Pointillisten tatsächlich öfter fehlgeschlagen, ihre Bilder flimmern bloss, leuchten aber nicht; das Verrechnen der einzelnen Farbpunkte zu einem brillanten Punkt in Auge und Gehirn findet nicht statt. Aber einen Versuch wars immerhin wert …

    Danach kam Kandinsky, der die Abstraktion auch auf den Gegenstand ausdehnte. (Kandinsky: Der Gegenstand ist zweitrangig, ja unnötig; was zählt ist die Malerei.)

    Die früheren Epochen, in denen der Gegenstand und seine Wiedergabe im Zentrum standen, waren vorbei, von nun an zählten Abstraktion und Konstruktion.

    Und jetzt ist Schluss, weil ich Mittagessen kochen und Wäsche aufhängen muss – ganz, ganz konkret.

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  5. Markus
    Markus sagte:

    Tolles Bild! Hat mich auch sofort – wie Robert schreibt – an die Seerosen von Monet erinnert. Ich musste noch mal nachschauen, aber soweit ich das verstanden habe, war Monet kein Pointilist, sondern Impressionist, was dem Charakter des Fotos auch näher kommt. Als Pointilist würde man vielleicht eine 400%-Vergrößerung als Kunst verkaufen ;-)
    Frage an die Fotografin: Die Hommage an Vincent (van Gogh?) resultiert aufgrund des „starken Striches“ der Wischtechnik ? Aufgrund der weichen Farben wäre auch „Claude“ eine Überlegung wert.

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    • Gisela
      Gisela sagte:

      Bin ganz high davon, daß mein Bild in die Kritik gekommen ist, zumal das meine erste Einreichung war, Robert, ganz ganz herzlichen Dank dafür. Daß es an Monet erinnert habe ich gar nicht zu denken gewagt. Allerdings hatte mich besonders ein anderes Bild aus dieser Serie an Vincent von Gogh`s Pinselführung erinnert; deshalb der Bildtitel (um Deine Frage, Marcus, zu beantworten). Seit ich im Mai „fokussiert“ entdeckt habe, bin ich mit absoluter Begeisterung regelmäßige Leserin. Das Resultat: Ich fotografiere jetzt häufiger; und vor allem zielgerichteter, um etwas mehr Schliff in meine eher intuitive Vorgehensweise zu bekommen.
      Viele Grüße von Gisela
      Corinne, wollte auch was zum Thema schreiben, Du hast mir das aber abgenommen!

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