Buchrezension «Surfing»: Vom Zeitvertreib zum Kulturphänomen

Kein Sport hat sich in den letzten fünf Jahrzehnten so rapide und nachhaltig verändert wie das Wellenreiten, oder „Surfing“. Was als Freizeitvergnügen von polynesischen Ureinwohnern begann, hat sich nicht nur zu einem Markt entwickelt, der jedes Jahr Milliarden für Surfboards und Gear umsetzt, sondern es ist für viele Leute nach wie vor ein Lebensstil. Jim Heimann hat die Geschichte des Sports informativ und großzügig bebildert zusammengefaßt.

Cover - (c) Jim Heimann

Cover – (c) Jim Heimann

«Catch a wave, and you’re sitting on the top of the world. » (Beach Boys, “Catch a Wave”)

Surfer sind cool, sexy, trendy – jeder will mit ihnen abhängen, oder mehr noch: er will sein wie sie. Besonders in Hawaii, wo modernes Surfen entstanden ist, und in Australien – das Land, das den Surf-Sport mittlerweile in einer feindlichen Rivalität mit Hawaii dominiert – aber auch darüber hinaus hat sich Surfing zum Kulturphänomen, Mythos, Kult verklärt.

Makaha, Hawaii, 1966 - (c) LeRoy Grannis Collection / Courtesy TASCHEN

Makaha, Hawaii, 1966 – (c) LeRoy Grannis Collection / Courtesy TASCHEN

Die Beach Boys besangen den Archetyp des braungebrannten, gutaussehenden jungen Mannes am Strand, neben sich ein Surfbrett, eine ebenso gutaussehende junge Frau an seiner Seite. Ewige Party vor der Kulisse von Megawellen und romantischen Sonnenuntergängen über dem Meer. Firmen wie Billabong prägen zwischenzeitlich auch den Kleidermarkt weltweit, und ein professioneller Surfer kann durchaus im Jahr bei den Medienspektakeln, die Surfing Competitions heute sind, durch Sponsoren und Preisgelder genug Geld verdienen, um sich ohne einen Nebenjob über Wasser zu halten.

Das war nicht immer so, denn in seinen Anfängen war Wellenreiten nicht jedem zugänglich: man brauchte Zeit, Geld für eine kostspielige Ausrüstung, und Zugang zum Meer. Mit der technischen Verbesserung der Bretter und guten Massenvermarktung insbesondere ab den Siebziger Jahren wurde Surfen ein so weit verbreiteter Sport, daß man heute kaum einen Strand in der Welt, wo sich halbwegs vernünftige Wellen finden lassen, besuchen kann, ohne über ein Surfbrett zu stolpern.

Waikiki, ca. 1890 - Courtesy Jim Heimann Collection/ TASCHEN

Waikiki, ca. 1890 – Courtesy Jim Heimann Collection/ TASCHEN

Garrett McNamara; Nazaré, Portugal; 2013 - (c) Tó Mané / Courtesy TASCHEN

Garrett McNamara; Nazaré, Portugal; 2013 – (c) Tó Mané / Courtesy TASCHEN

Jim Heimann hat sich der gewaltigen Aufgabe, den Mythos Surfing in einem Buch zusammenzufassen, gestellt, aber er erkennt nach seinen eigenen Worten die Unmöglichkeit an, die Geschichte des Wellenreitens von den frühen kruden Versuchen, auf einem schwimmenden Stück Holz mit einer Welle mitzuhalten, bis zu den modernen Brettern mit Stabilisierungsflosse und Leash vollständig zwischen zwei Buchdeckel zu pressen, ohne etwas auszulassen. Allein dazu gezwungen zu sein, aus 7.000 Bildern die besten herauszusuchen, die er schließlich mit einbezogen hat, hätte auch mir Magendrücken verursacht.

Photo: Mark Seelen

Photo: Mark Seelen

Er läßt dennoch nichts aus; die dunklen Seiten des Wellenreitens – Zugang zum Strand wird besonders in Hawaii von lokalen „Surf Gangs“ kontrolliert, und Surfen kann der Sucht nach immer höheren Wellen wegen hochgradig gefährlich sein – beleuchtet „Surfing“ ebenso wie die berühmten Namen (Duke Kahanamoku, Greg Noll und all die anderen), die mit dem Sport untrennbar verbunden sind. Das besondere Highlight ist eine ausklappbare Doppelseite in der Mitte des Buches, auf der in chronologischer Reihenfolge die Entwicklung des Surfboards dargestellt wird.

 Photo: Mark Seelen

Photo: Mark Seelen

 Photo: Mark Seelen

Photo: Mark Seelen

Fazit:

Der Überblick, den mir „Surfing“ über die Entwicklung des Sports und das Seelenleben seiner Anhänger mittels zahlreicher Abbildungen (Titelseiten von Magazinen, Tuschezeichnungen und Aquarelle sind ebenfalls vertreten) und Fotografien gibt, ist so umfassend, daß ich das Buch nicht aus der Hand legen konnte. Es verbindet eben zwei meiner Lieblingsthemen, Geschichte und Fotografie. Der Begleittext ist gekonnt eingestreut und so gehalten, daß die grafischen Elemente dadurch zwar erläutert werden, aber dennoch für sich sprechen können.

Ich kann es jedem Fan von Sammelbänden dieser Art nur ans Herz legen.

PS. „Surfing“ wird in seiner eigenen Box geliefert und ist seinem Format nach dermaßen beeindruckend („XL“ eben), daß es Peter Sennhauser einen extra Schnappschuß wert war:

"What a book!"

„What a book!“

Anmerkung: „Surfing“ ist der Preis für den ersten Platz in unserem jurierten Leserfoto-Projekt „Doppelt Gesehen“. Hier geht es zur Anmeldung.

Level: Alle
Genre: Fotobuch
Benutzbarkeit*: 10
Preislevel**: €€€
Eine ausführliche und großzügig bebilderte Geschichte des Surf-Sportes als kulturelles Phänomen.
* 1 – eher nicht, 5 – geht so, 10 – super
** € (sehr billig) bis €€€€€ (überteuert)

 

Buchtitel: Surfing

Autor: Heimann, Jim

Verlag: Taschen

Erscheinungsjahr: 2016

ISBN: 978-3836547505

Listenpreis: [amazon 3836547503] Hardcover, gebunden (150,00)[/amazon]

Genre: Fotobuch

Seitenanzahl: 644

Level: Alle

Über den Autor: Kulturanthropologe und Grafikdesign-Experte Jim Heimann ist Executive Editor bei TASCHEN in Los Angeles. Er ist Autor zahlreicher Bücher über Architektur, Popkultur und die Geschichte der amerikanischen Westküste, insbesondere Los Angeles und Hollywood. Seine einzigartige Privatsammlung von Kuriositäten war schon in Museen der ganzen Welt und in vielen seiner Bücher zu bewundern.

[buchrezension]

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  1. […] nicht allzu langer Zeit habe ich hier das Buch „Surfing“ von Jim Heimann rezensiert, das auch der Hauptpreis für das beste Foto ist, das uns zu unserem Leser-Fotobuch-Projekt […]

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