Christian Lutz: Öl-Business im Niger-Delta

„Im Niger-Delta ist eine Öl-Mafia am Werk“, sagt Nnimmo Bassey, neuer Träger des Alternativen Nobelpreises. Christian Lutz hat das Öl-Business fotografiert.

[textad]Christian Lutz - aus: Tropical Gift

Im Busch lodern Feuer, im Niger schwappt das Öl, die Angestellten der Öl-Konzerne – Schwarze wie Weiße – zeigen Wohlstand. „Tropical Gift“ – Geschenk der Tropen – nennt der Genfer Fotograf Christian Lutz seine Arbeit.

Die Bilder aus Nigeria sind ganz frisch. Zwischen November 2009 und Mai 2010 sind sie entstanden, schreibt Christian Lutz in seinem Buch – ebenfalls mit dem Titel [amazon 3037782269]“Tropical Gift“[/amazon]. Der Bildband (Lars Müller Publishers, 2010) gewann den Deutschen Fotobuchpreis 2011 in Gold. Im Original sind die Arbeiten aktuell in der Coalmine Fotogalerie in Winterthur zu sehen.

Christian Lutz - aus: Tropical Gift

Laut der Organisation der Erdöl-Staaten Opec war Nigeria im Jahr 2009 mit 2.2 Millionen Fass pro Tag der sechstgrößte Rohöl-Exporteur der Welt. Das Land verfüge zudem über 2.8 Prozent der weltweit geschätzten Erdgasreserven. Für Deutschland ist Nigeria der achtgrößte Importeur, die USA beziehen vierzig Prozent ihres Erdöls von dort.

Umweltorganisationen und Aktivisten wie Nnimmo Bassey gehen davon aus, dass in den letzten fünfzig Jahren fast neun Millionen Fass Rohöl in die Gewässer des Niger-Deltas gelangt sind. Lecke Anlagen – rund 7000 sind offiziell verzeichnet – verseuchen Böden und Trinkwasser. Fisch- und Krabbenbestände werden reduziert, und die Existenzgrundlage der lokalen Bevölkerung ist bedroht. Mehr als neunzig Prozent der nigerianischen Bevölkerung lebt von weniger als zwei US-Dollars am Tag. Die Lebenserwartung der Einheimischen im Niger-Delta liegt bei etwa vierzig Jahren. Die Bedeutung des englischen Worts „Gift“ wendet sich zum deutschen Wortsinn.

Was ist der Grund für diese menschliche und ökologische Katastrophe? Alte und schlecht gewartete Pipelines? Die Sabotageakte der Rebellen? Sicher wird mit dem genügend Geld verdient, um Menschen eine bessere Lebensgrundlage zu geben und die Umwelt zu schützen. Derer nigerianische Staat bezieht rund drei Viertel seiner Einkünfte aus der Ausbeutung der Ölfelder.

Christian Lutz - aus: Tropical Gift

Aber die Gewinne aus den reichen Bodenschätzen des Nigerdeltas bringen nur einer Seite große Vorteile. Diese Welt hat Christian Lutz mit der Kamera erforscht. Es ist ihm gelungen, Zugang zur abgeschirmten Welt der internationalen Energiekonzerne zu finden. Die Fotos zeigen den Arbeitsalltag und Freizeit von Mitarbeitern westlicher Unternehmen und ihrer einheimischen Geschäftspartner. Er zeigt also schwarze wie die weiße Profiteure. Der Welt der Mächtigen im Erdöl- und Erdgasgeschäft stellt er den Alltag der einheimischen Nigerianer gegenüber und die geschädigten Landschaften unter dunklen Himmeln.

Die Jury des Deutschen Fotobuchpreises schrieb über „Tropical Gift“: „Christian Lutz hat die Farben etwas kühler und fahler gemacht als sie in Wirklichkeit sind, ungefähr so, wie es in Autoreklamen gerne gemacht wird. Alles sieht künstlich aus, inszeniert, fast wie Dreharbeiten zu einem Film – und damit paradoxerweise echt.“

Am Ende des Buches lesen wir Aufzeichnungen von Christian Lutz aus Gesprächen mit Konzernmitarbeitern. „Alles hier ist Rollenspiel“, sagt der Franzose Guillaume, „ein Rollenspiel, das du unbedingt gewinnen musst. Wenn ich nicht der erste bin, der alles wegschnappt, was das Land zu geben hat, dann schlägt mich der nächste Konkurrent.“

Sein Kollege Martin sagt: „Es gibt produktive und kontraproduktive Korruption. Am besten gibt man regelmäßig was, ohne Verbindung zu einer bestimmten Aktivität. So vermeidet man direkte Entlohnung und entwickelt statt dessen eine Art Freundschaft. Die Bevölkerung interessiert mich nicht die Bohne. Ich könnte ebenso gut in Waffen machen, nur Frauenhandel nicht.“

Christian Lutz - aus: Tropical Gift

Die Ehefrau eines Beschäftigten aus Belgien, Corinne, sagt: „Es ist nicht das Geld, das Bertrand hier in Nigeria verdient, das mich froh macht, hier zu leben. Es ist vielmehr der tägliche Komfort, den wir hier genießen: In Europa könnten wir uns nie ein Kindermädchen für die Wochentage und eines für die Sonntage leisten, ein Hausmädchen, einen Koch und je einen Chauffeur für Bertrand und für mich.“

Mohamed, ein Nachtwächter, sagte Christian Lutz an einem frühen Morgen: „Warum gehen Sie wieder fort? Sie sind weiß, Sie könnten es hier machen, Sie sollten bleiben und wie mein Boss ins Ölgeschäft gehen. Sie könnten eine Menge Geld verdienen, ein großes Haus besitzen und Leute wie mich haben, die für Sie arbeiten.“

Peter, britischer Manager, hätte gerne Fotos von Christian Lutz bekommen: „Wenn Sie etwas nette Landschaft haben oder liebliche Szenen der Landbevölkerung in den Fördergebieten, dann würde meine Firma Ihnen gern ein paar Vergrößerungen abkaufen. Die würden als Deko gut in die Londoner Zentrale passen.“

Christian Lutz - aus: Tropical Gift, Titelblatt des Bildbands

Christian Lutz, 1973 in Genf geboren, besuchte die Kunstschule Le 75 in Brüssel. Als Fotograf war er im Balkan, in Südamerika, Westafrika und in den USA unterwegs. Sein Thema ist die fotografische Untersuchung von Machtstrukturen. Seine Arbeit „Protokoll“ wurde 2007 unter anderem mit dem dem Deutschen Fotobuch-Preis und dem ewz.selection-award ausgezeichnet. Der Grand Prix International de Photographie de Vevey 2010 ermöglichte ihm die Realisierung von „Tropical Gift“. Christian Lutz lebt in Genf und ist Mitglied der Bildagentur Strates (Lausanne) und der Agence VU (Paris).

[amazon 3037782269]Christian Lutz: Tropical Gift – Oil and Gas in Nigeria[/amazon] Lars Müller Publishers, Baden/Schweiz, zweisprachig englisch-französisch, ISBN 978-3037782262, 35 Euro.

Christian Lutz: Tropical Gift – Oil and Gas in Nigeria

bis 23. Dezember
Coalmine Fotogalerie Winterthur, Turnerstraße 1, CH-8400 Winterthur, +41-(0)52 268 68 68, e-mail@coalmine.ch
Geöffnet Montag bis Freitag 8 – 19 Uhr, Samstag 11 – 16 Uhr

Coalmine Fotogalerie
Lars Müller Publishers

6 Kommentare
  1. anonym
    anonym sagte:

    Ich bin nicht ganz sicher, was mich mehr beeindruckt…die Abhandlungen über Nnimmo Bassey (von dem ich, wie ich auf Grundlage dieses Berichtes recheriert habe, jetzt weiss, dass er in 2009 vom Time mgazine als „Heroe of the Environment“ ausgezeichnet wurde, oder die faszinierten Fotografien. Wahrscheinlich beides.

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  2. @schichtarbeiter
    @schichtarbeiter sagte:

    Liebe fokussiert.com-MacherInnen,
    Danke dass ihr mich wieder auf die brilliante Arbeit von Christian Lutz aufmerksam gemacht habt. Habe mir das Buch gleich als mein eigenes weihnachtsgeschenk gekauft. Leider nicht über Amazon, da ich noch bei buch.ch einen Gutschein hatte… Dafür wird jetzt noch geflattert…

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    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Vielen Dank, Markus – gerne würde ich diesen Kommentar als leuchtendes Beispiel und Vorbild für andere Leserinnen und Leser fett drucken und oben ins Blog stellen… ;-)

  3. anonym
    anonym sagte:

    Ich kann leider nicht beurteilen, ob in dem Bildband die Meinung der Jury wirklich zutrifft, dass „die Farben etwas kühler und fahler gemacht sind, als sie es in Wirklichkeit sind“, da ich die farbliche Realität in Nigeria nicht kenne. Aber für mich bekommt durch das Werk von Christian Lutz (mein Kompliment!!!) die Streetfotografie“ einen ganz neuen Sinn.

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  4. kuekenstall
    kuekenstall sagte:

    Ich kann nur hoffen, das die Bilder im Bildband dazu beitragen, dass auch in Deutschland das Bewußtsein für die fürchterlichen Zustände in Nigeria erwecken. Ohne jetzt eine Reklame zu machen – schon alleine die Fotografien sind absolut bewundernswert für jeden Fotografen, ob Amateur oder Profi – das Kaufen jedes einzelnen Bildbands unterstützt wahrscheinlich Christian Lutz und seine Arbeit.

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  5. solmecke1
    solmecke1 sagte:

    Sowohl der Bericht als auch der kleine Einblick in die Fotos des Bildbandes sind für mich hochinteressant, da ich mich schon seit längerem mit dem Thema beschäftige.Ich würde mir gerne einmal die Ausstellung anschauen, schaffe es aber leider nicht, die Coalmine Fotogalerie in Winterthur zu besuchen. Weiss jemand, ob es die Ausstellung in absehbarer Zeit auch in Deutschland gibt?

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