Das Auge umgewöhnen: In anderen Bildern denken

Sobald man von seiner gewohnten Kamera auf eine andere umsteigt, muß man diese nicht nur lernen, man muß auch sein Auge (und Gehirn) umschulen, es an die neuen bildlichen Ergebnisse gewöhnen. Das gilt umso mehr, wenn die Umgewöhnung auf ein analoges Medium geschieht, mit dem man davor nicht gearbeitet hat.

Lake View Cemetery in Cleveland/Ohio - (c) Sofie Dittmann

Lake View Cemetery in Cleveland/Ohio – (c) Sofie Dittmann

Diese Umgewöhnung geht über die bloße Beherrschung der Kamera hinaus – es ist irgendwo der psychologische Effekt, die erste Reaktion aus dem Bauch, wenn man zum ersten Mal sieht, was man da fotografiert hat. Man muß lernen, mit ihr nicht nur technisch, sondern auch kreativ umzugehen.

Als ich anfing, mich mehr mit Sofortbildfotografie zu beschäftigen, war es zumindest so. Ich hatte ein bestimmtes, zugegebenermaßen digital beeinflußtes Bild im Kopf, und mußte mich erst einmal daran gewöhnen, was ich schlußendlich zu sehen bekam.

Das hier ist das, woran ich gewöhnt war:

Lake View Cemetery in Cleveland/Ohio - (c) Sofie Dittmann

Lake View Cemetery in Cleveland/Ohio – (c) Sofie Dittmann

Und das ist das, was ich tatsächlich fotografiert habe:

Lake View Cemetery in Cleveland/Ohio - (c) Sofie Dittmann

Lake View Cemetery in Cleveland/Ohio – (c) Sofie Dittmann

Ein vollkommen anderes Ergebnis, natürlich ist das irgendwo absehbar, und eines, das ich mittlerweile absichtlich erzielen kann. Trotzdem jedoch irgendwo nicht vollständig kontrollierbar. Als Emulsionstransfer sieht es dann so aus (spiegelverkehrt, weil die Emulsion eine Tendenz dazu hat, sich aufzurollen; es ist also wichtiger, sie glatt aufs Papier zu bekommen):

Lake View Cemetery in Cleveland/Ohio - (c) Sofie Dittmann

Lake View Cemetery in Cleveland/Ohio – (c) Sofie Dittmann

Diese Effekte bekommt man so in Photoshop einfach nicht hin. Außerdem wird jedes Sofortbild, jeder Transfer anders, und das macht es überaus spannend. Man muß nur lernen, in diesen Kategorien kreativ zu „denken“.

Sofortbildfotografie ist ja im Prinzip Filmfotografie „light“, also Analogfotografie ohne die ganze Arbeit (und Möglichkeiten) in der Dunkelkammer. Im Gegenzug hat man entsprechend wenig Spielraum bei der Aufnahme; dafür waren Polaroidkameras ja auch nie gemacht. Sie waren Massenware, sollten von jedem überall bedient werden können, und mit Sofortgratifikation. Man hält drauf, drückt einen Knopf, und das ist es.

Meine Polaroid 600 hat eine „Close-up“ Einstellung. Man sollte also bis auf 0,6 Meter an etwas herankönnen, wenn man die entsprechende Plastiklinse vor das Kameraobjektiv schiebt. Hat man sich aber in der Entfernung verschätzt, wer nimmt schon immer ein Maßband mit, kommen natürlich verschwommene Ergebnisse dabei heraus. Desgleichen, wenn man seine Kamerawalzen nicht gut gereinigt hat, den Abzug zu kalt entwickelt hat, oder die Kamera hätte herunter- oder heraufregeln sollen: das Foto wird nichts, oder nicht so, wie man sich das vorgestellt hat. Bei anderen analogen Aufnahmetechniken ist es entsprechend komplizierter.

Hat man sich einmal an die Unzulänglichkeiten (verglichen mit seiner DSLR) gewöhnt – und deshalb unternimmt man doch diese Ausflüge in analoge Medien, weil man gelangweilt ist von der Perfektion, die einem geboten wird – wird man anfangen, auch vor seinem geistigen Auge entsprechende Bilder zu sehen. Eine Bekannte, die mittlerweile ausschließlich mit Kollodium-Naßplatten arbeitet, hat mir das bestätigt. Es ging nicht nur darum, den Ablauf unter Kontrolle zu bekommen, sondern schließlich darum, aus technisch guten, aber langweiligen Aufnahmen solche mit ihrer persönlichen Note zu machen, also eine neue Bildersprache zu entwickeln.

Für diejenigen von Euch, die analog arbeiten, und auch oder vorher (ausschließlich) digital fotografiert haben: habt Ihr diesen Effekt bei Euch auch beobachtet, oder war der Übergang nahtlos? Wie seid Ihr damit umgegangen?

4 Kommentare
  1. Alexander Sprinz
    Alexander Sprinz sagte:

    Hallo Sofie,

    das ist ein sehr interessantes Thema welches Du ansprichst. Seit ein paar Jahren habe ich wieder angefangen mitunter Analog zu „arbeiten“. Arbeiten kann ich fast nicht sagen, denn für mich ist es ja eine Beschäftigung abseits des Broterwerbs. Meist verwende ich eine Minox 35 oder Rollei 35 SE und gelegentlich eine Polaroid Image oder SX70 mit den Impossible Filmen. Seit ein paar Wochen ist eine ca. 70 Jahre alte Zeiss Ikon Nettar 515/2 mit 6×9 Format hinzugekommen.

    Was für mich die größte Umstellung war oder ist, dass man sich mit allen Parametern zwingend auseinandersetzen muss. Kein Autofocus, eine Zeitautomatik bei der Minox, die sehr gerne auch mal satt daneben liegt bzw. alles manuell bei der Nettar mit der „Sunny Sixteen Rule“ als Belichtungsmesser. Alles das sorgt für Entschleunigung, man muss sich mit dem Motiv vorab wesentlich mehr auseinandersetzen als bei den vollautomatischen Digitalen. Und ja, ich denke, letztendlich verändert sich auch die Sichtweise für die Motive. Bei mir, denke ich, ein langsamer Übergang. Am Anfang war ich dann doch noch oft enttäuscht, wenn die Ergebnisse nicht so waren wie ich sie mir vorgestellt hatte. Mittlerweile denke ich dass das schon etwas besser klappt, bereits bei der Auswahl des Motivs muss man sich Gedanken machen, ob sich das überhaupt für Analog eignet.

    Bei meinem letzten Flohmarktfund, der Nettar, ist mir das richtig aufgefallen. In der Kamera war noch ein Film eingelegt, vermutlich, und wie sich später auch herausgestellt hatte, komplett überlagert. Trotzdem habe ich die verbleibenden vier Aufnahmen noch am gleichen Tag gemacht von denen sich letztendlich drei retten ließen. Eines davon ist ein Portrait meines Vaters in der U-Bahn und ich bin überrascht, dass es meiner Vorstellung, welche ich von der Aufnahme hatte, wirklich weitgehend entspricht. Nur leider habe ich den Schärfepunkt nicht ganz erwischt. Vielleicht ist es ja auch eine Bildbesprechung wert ;)

    Antworten
  2. Alexander Sprinz
    Alexander Sprinz sagte:

    Hallo Sofie,

    das ist ein sehr interessantes Thema welches Du ansprichst. Seit ein paar Jahren habe ich wieder angefangen mitunter Analog zu „arbeiten“. Arbeiten kann ich fast nicht sagen, denn für mich ist es ja eine Beschäftigung abseits des Broterwerbs. Meist verwende ich eine Minox 35 oder Rollei 35 SE und gelegentlich eine Polaroid Image oder SX70 mit den Impossible Filmen. Seit ein paar Wochen ist eine ca. 70 Jahre alte Zeiss Ikon Nettar 515/2 mit 6×9 Format hinzugekommen.

    Was für mich die größte Umstellung war oder ist, dass man sich mit allen Parametern zwingend auseinandersetzen muss. Kein Autofocus, eine Zeitautomatik bei der Minox, die sehr gerne auch mal satt daneben liegt bzw. alles manuell bei der Nettar mit der „Sunny Sixteen Rule“ als Belichtungsmesser. Alles das sorgt für Entschleunigung, man muss sich mit dem Motiv vorab wesentlich mehr auseinandersetzen als bei den vollautomatischen Digitalen. Und ja, ich denke, letztendlich verändert sich auch die Sichtweise für die Motive. Bei mir, denke ich, ein langsamer Übergang. Am Anfang war ich dann doch noch oft enttäuscht, wenn die Ergebnisse nicht so waren wie ich sie mir vorgestellt hatte. Mittlerweile denke ich dass das schon etwas besser klappt, bereits bei der Auswahl des Motivs muss man sich Gedanken machen, ob sich das überhaupt für Analog eignet.

    Bei meinem letzten Flohmarktfund, der Nettar, ist mir das richtig aufgefallen. In der Kamera war noch ein Film eingelegt, vermutlich, und wie sich später auch herausgestellt hatte, komplett überlagert. Trotzdem habe ich die verbleibenden vier Aufnahmen noch am gleichen Tag gemacht von denen sich letzendlich drei retten ließen. Eines davon ist ein Portrait meines Vaters in der U-Bahn und ich bin überrascht, dass es meiner Vorstellung, welche ich von der Aufnahme hatte, wirklich weitgehend entspricht. Nur leider habe ich den Schärfepunkt nich ganz erwischt. Vielleicht ist es ja auch eine Bildbesprechung wert ;)

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