Nostalgie-Postkarte: Fotografie braucht Absicht

Man kann Fotografien objektiv beurteilen – nach ihren technischen Daten und der Ausführung der Belichtung. Eine Wertung und Tipps zu Verbesserungen kann eine solche Einschätzung aber nur aufweisen, wenn der Zweck der Fotografie bekannt ist.

Ruinen von Meroe

Das Königreich von Kusch.

Maria-Elisabeth Brusdeylins aus Celle schreibt zu diesem Bild: Für eine objektive Kritik wäre ich Ihnen sehr dankbar.

In dieser Farbfotografie sind in einer Sandwüste hinter schwarzen Felsen im Vordergrund die Ruinen von Pyramiden zu sehen, die sich vom rechten Bildrand  mit der am nächsten stehenden Pyramide in der horizontalen Bildmitte nach links aneinander reihen. Die Aufnahme weist einen Sepiaton für die Ruinen und den Sand der Wüste auf. Hinter dem Objekt der Aufnahme spannt sich ein dunkelblauer, körniger Himmel ohne weitere Fixpunkte auf. Am Horizont in der linken Bildhälfte hinter den Ruinen sind eine Reihe Masten zu erkennen, die von einer Hochspannungsleitung rühren könnten.

Diese Aufnahme erinnert mich stark an die Postkarten, welche meine Grosseltern aus aller Herren Länder heimgebracht hatten: Aus Süditalien, Nordafrika und dem nahen Osten. Es waren Bilder von Pyramiden, von Ruinenstädten und von deutlich erkennbarem fernem einstigem Reichtum und Pracht. Und sie waren nachträglich eingefärbt und typischerweise höchstens zweifarbig. Häufig waren die beiden Farben ein Sepiaton für die Bodenobjekte und ein Blauton für den Himmel. Der wirkte durch Kolorierung der Schwarz-Weiss-Aufnahme meistens auch noch irgendwie schmutzig.

Meroe, die Einstige Hauptstadt des Königreichs Kusch, war mir ehrlich gesagt kein Begriff. Aber als Kind waren mir auch die Pyramiden von Gizeh, der rauchende Ätna oder die Schneeberge des Atlas kein Begriff – bis ich sie auf den mit Bildlegenden oder umseitig aufgedruckten Erklärungen versehenen Postkarten meiner Grosseltern antraf.

Dir hier eine objektive Kritik Deines Bildes abzugeben, ist mir nur sehr begrenzt möglich. Denn wenn es Deine Absicht war, den Zauber der alten Postkarten, die meistens auch noch menschenleer waren, aufzugreifen, dann ist Dir das hervorragend gelungen. Wenn es eine andere Absicht war, müsste ich sie kennen, um Dir etwas dazu sagen zu können.

histogram Köigreich kuschVon der Belichtung wage ich zu sagen, dass sie trotz eines ausgewogenen Histogramms und späten nachmittags oder erster Hälfte des Morgens etwas zu dunkel ist: Der Kontrast zwischen Licht und Schatten ist im Verhältnis zur allgemeinen Ausleuchtung zu hart.

Die Komposition ist sehr einfach, und dabei ist der mittige Horizont störend, zumal der Himmel keinerlei informationswert hat und auch die Komposition in der unteren Bildhälfte nicht aktiv unterstützt oder betont: Das könnte durchaus der Fall sein.

Du hast  mit den schwarzen Felsen im Vordergrund eine gute Kontrastkomponente zu den Pyramiden gefunden und in Szene gesetzt. Aber auch sie sind mittig angeordnet und verlieren dadurch die Spannung gleich wieder, die sie aufbauen könnten.

Eine Blende von 3.5 ist für Landschafts- oder Architekturaufnahmen, die nicht einen klaren Fokus mittels Schärfentiefe auf einer ganz bestimmten Bildschicht setzen sollen, viel zu weit offen – die Belichtungszeit von 1/2600s ist dieser offenen Blende geschuldet. Du hast immerhin die Schärfe auf den Vordergrund gesetzt, und anders als in den meisten Landschaftsaufnahmen schadet hier eine Unschärfe in der Ferne nicht zu sehr. Trotzdem wäre eine Blende bei 9 oder 11 hier die typische Wahl, um ein durchgängig scharfes Bild zu erreichen.

Schliesslich ist die Vignettierung des Himmels zwar passend, falls Du das weite Himmelszelt beschreiben willst, aber hier in der Stärke übertrieben und zu deutlich sichtbar, für meinen Geschmack.

Und damit sind wir aber bereits bei den subjektiven Beurteilungen oder jenen, die mit einer Absicht der Fotografin zu tun haben. Und ohne diese Absicht zu kennen, ergeben sich zahllose Interpretationen, gemäss denen die Aufnahme sehr gelungen oder aber missraten ist.

Wir sind deshalb dankbar, wenn Ihr uns sagt, was die Bildidee, die Absicht und die Bearbeitung war, damit wir entsprechende Hinweise geben können.

Ich hoffe, wir haben Dir trotzdem helfen können, Marie-Elisabeth. Mich hat das Bild jedenfalls zurückgeschickt in meine Kindheit und ins Haus meiner Grosseltern – zu den Pyramiden von Gizeh und auf den Ätna.

3 Kommentare
  1. dierk
    dierk sagte:

    ich wünsche mir bei dem Bild etwas mehr „Drama“. Wie schon geschrieben wurde, hätte mehr Kontrast das vielleicht schon gebracht. Für den Himmel wäre natürlich ein Polfilter bei dem Sonnenstand sehr hilfreich.
    Der Standpunkt der Aufnahme sieht aus wie aus dem Stand gemacht. Ich hätte wahrscheinlich das Bauwerk vorne als dominierenden Vordergrund genommen.
    Da ich S/W liebe, wäre es mit Sicherheit ein S/W Bild geworden.
    VG
    dierk

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  2. Tilman
    Tilman sagte:

    Hallo, ein immer wieder kehrende Frage… gibt es „objektive Beurteilung“ ? :->
    Ein schönes Bild, Maria-Elisabeth. Mir gefällt besonders die Farbe des Sonnen gebadeten Sandes. Bei der Komposition fällt mir auf, dass eigentlich nicht die Ruinen im Vordergrund stehen, mein Blick schweift eigentlich eher diagonal von dem Sand geformten Tal entlang. Die Farbe des Himmels ist „schrecklich“ (vielleicht auch durch die Vignettierung), und der Hintergrund, zu dem mein Blick schweift, langweilig. Das Bild scheint mir auch etwas nach links gekippt zu sein. Mein Fazit: ein fantastisches, atmosphärisches Bild. Aber es fehlt mir irgendwie ein Motiv. MfG, Tilman

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  3. Jürgen
    Jürgen sagte:

    Gibt es überhaupt eine „objektive Beurteilung“? Ich zweifle daran. Fotografie ist etwas, das sich im Wahrnehmungsraum der Betrachter jeweils mit dessen Erinnerungen, Erwartungen und nicht zuletzt mit der aktuellen emotionalen (Wut, Trauer, Freude) oder auch körperlichen (Schmerzen, Hunger, …) Befindlichkeit zusammen seine spezifische Wirkung entfaltet. So eine ganze Vielfalt von Bedeutungen und
    damit auch Beurteilungsstandpunkte erlangt. Das tut es durchaus auch jenseit aller technischen und gestalterischen Elemente der Fotografie. Für mich braucht’s dabei nicht unbedingt das Anliegen der Fotografin. Wichtig ist, dass es eine Wirkung hat. Das es zu berühren vermag. Wenn es das tut, dann ist’s – für mich zumindest – eine gute Fotografie.

    Der entscheidende Satz in der Bildbesprechung dafür ist der letzte: „Mich hat das Bild jedenfalls zurückgeschickt in meine Kindheit und ins Haus meiner Grosseltern – zu den Pyramiden von Gizeh und auf den Ätna.“ Es ist wirksam. Und das zeichnet es aus.

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