Die Galette: Licht von allen Seiten

Mit dem richtigen Licht oder etwas Nachbearbeitung wird aus dem  Schnappschuss eines Alltagsvorganges plötzlich eine poetische Szene. Kleine Brüche schaffen einen besonderen Reiz.

Eine Galette wird vor der dampfenden Creperie an den Kunden gereicht. Fotografie mit Nachbelichtung

1/800s, 270mm, f/6.3 bei 200 ISO und Blendenautomatik. © Ulrich Berens

Ulrich Berens aus Donauwörth: Das Foto entstand auf einem Hafenfest in Frankreich, das ich zufällig besuchte. Dort gab es einen Stand, an dem herzhafte Galettes (bretonische Buchweizenpfannkuchen) frisch gebacken wurden. Durch den dunklen Hintergrund und den Lichteinfall dampfte die heiße Crêpière sehr, sehr plastisch und der leckere Geruch der Galettes trug meterweit. Wegen des Andrangs am Stand kam ich aber nicht richtig nah ran und musste mein Reisetele voll ausfahren. In der Menschenmenge (ich wurde ständig angerempelt) machte ich freihändig schnell zwei Fotos, als ich auf die Crêpière kurz mal freie Sicht hatte. Ein Foto wurde leider etwas unscharf. Dieses Foto finde ich eigentlich sehr schön, bin mir aber unsicher über die Bildkomposition, weil sie doch sehr „mittig“ geraten ist. Das Bild habe ich ein wenig nachgeschärft.

Eine dampfende Galette (nicht zu verwechseln mit der dünneren Crêpe) wird in dieser Farbaufnahme auf dem Spachtel des Bäckers dem Kunden, der einen weissen Plastikteller hinstreckt, überreicht. Der Ausschnitt der Fotografie deckt nur die Arme und Hände über der Crêpière, die sehr deutlich sichtbar vor sich hin dampft. Kunde wie Bäcker tragen dunkle T-Shirts, was dem Bild links und rechts einen dunklen Abschluss verleiht. Im untersten Bildstreifen sind der obere Teil eines Nutella-Glases und zwei Zuckerpackungen mit lesbarer Aufschrift zu erkennen.

In jeder Hinsicht im Zentrum Deiner Aufnahme stehen die Galette und die Hand des Bäckers, die sie schon fast zärtlich in den nächsten Sekundenbruchteilen vom Spachtel auf des Kunden Teller schieben wird: Die feine Modellierung der Finger und die haarigen Arme des Mannes werden durch die Lichtsituation plastisch in einem Ausmass, das überrascht. Im nächsten Die Räumlichkeit der ganzen Fotografie ergänzt ausserdem der Dampf der Crêpière und der Galette selber: Diese feinen Strukturen, die dank der perfekten Kombination von Rücken- und Gegenlicht deutlich sichtbar werden, macht das Bild aus.

[bildkritik]

Aus technischer Sicht ist zu der Aufnahme anzumerken, dass mit dem plastischen Effekt auch der leichte Eindruck einer zu stark forcierten HDR-Kombination einhergeht. Ich unterstelle eine Anhebung der Tiefen in der Aufnahme, denn bei genauem Hinsehen sind die Arme der beiden Menschen im Schatten nur wenig dunkler als im seitlich von links einfallenden Gegenlicht. Du hast mit Blendenpriorität und Matrix-Messung fotografiert, was in solch schnelllebigen Situation völlig richtig ist, aber grade bei Gegenlichtsituationen rasch zu Fehlbelichtungen führt, weil die Kamera eine gleichmässige Ausleuchtung annimmt. Und genau deswegen lohnt es sich, RAW zu fotografieren, denn aus diesen Daten lassen sich in den Tiefen meistens noch sehr viel mehr Bilddaten herausholen als bei einem JPG.

Beziehung und Verhältnis in der Komposition

Beziehung und Verhältnis in der Komposition

Die Komposition finde ich völlig in Ordnung, zumal Du ja offensichtlich nicht viele Möglichkeiten hattest, etwas zu arrangieren – an einem Tag ohne Kundenschlange hätte es sich vielleicht gelohnt, mit der Situation herumzuspielen und den Bäcker ein paar Minuten in die Suche nach einer noch besseren Komposition einzubeziehen.

Aber Dir ist der Schnappschuss hier gelungen, weil der schwarze Hintergrund den weissen Dampf im Gegenlicht perfekt abhebt, und eine leichte Verschiebung Deines Standorts hätte das vielleicht zunichte gemacht.

Da die Galette und der Dampf im Zentrum stehen, stört mich die mittige Komposition nicht, und die Beziehung der Arme des Bäckers zu denen des Kunden schaffen eine perfekte Spannung. Die Längenverhältnisse dort liegen auch bei einem und zwei Dritteln und damit in einer der ästhetischen Regeln. Vielleicht hätte man mit einem etwas weiteren Bildausschnitt noch mehr vom linken Arm des Bäckers mitnehmen können, aber das ist Spitzfindigkeit. Zwar sollte man Körperteile nicht abschneiden, aber hier ist die Anonymität der beiden Personen Teil der Gewichtung und die aus dem Bildrand ins Zentrum ragenden Arme wirken nicht verstümmelnd.

Das einzige, was mich stört, weil es mich immer wieder anzieht und ablenkt, ist der Schriftzug auf der gelben Zuckerpackung. Der lässt sich aber nicht wegschneiden, sonst wird der Bildausschnitt zu beengend für die Crêpière. Andererseits bildet er auch einen Anker in die Gegenwart. Das ganze Bild hat nämlich etwas Gemäldehaftes und Nostalgisches. Ein Abdriften in den Kitsch verhindern Nutella-Glas, Zuckerpackung und Plastikteller: Die harten Fakten, die eine Zuordnung zulassen – unmittelbar nachdem man sich als Betrachter durch die erdigen Farbtöne, den Dampf und die herzhafte Galette hat in «bessere alte Zeiten» verführen lassen.

Fazit: Schöner Ferienschnappschuss, der unter den gegebenen Umständen wohl das Maximalresultat darstellt. Ich würde versuchen, den HDR-Effekt mit einem ganz sachten Absenken der Schatten etwas zu mildern – zur Kontrolle hilft es, das Bild in Verkleinerungen als Vorschau anzusehen.

 

4 Kommentare
  1. Chilled Cat
    Chilled Cat sagte:

    Ich finde das Bild sehr gelungen.

    Es ist schon richtig, dass die gelben Schachteln am Bildrand etwas Aufmerksamkeit auf sich ziehen und das Auge vom Hauptmotiv weglocken. Sie tragen aber auch zum Bildinhalt bei, denn man sieht, dass die Kochzutaten direkt neben der Crêpière stehen. Das finde ich für die Atmosphäre im Bild wichtig.

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  2. Ulrich Berens
    Ulrich Berens sagte:

    Danke, lieber Peter Sennhauser, für Deinen ausführlichen Kommentar zu meinem Foto. Ich habe es jetzt beim Lesen Deiner Gedanken noch einmal „ganz neu“ gesehen und konnte Deinen Gedanken gut folgen. Überrascht hat mich noch einmal das bewusste Wahrnehmen der führenden Linien – die ich mehr intuitiv als bewusst genutzt habe.
    Übrigens stimmt es: ich habe anfangs versucht, die gelben Schachteln und das Nutella-Glas aus dem Bild wegzuschneiden, aber damit war – wie Du richtig schreibst – der Gesamteindruck verschwunden. Ich habe noch mal das Original-JPEG herausgesucht. Einen irritierenden hellen Lichtstreifen habe ich aus den gleichen Gründen am oberen Rand weggenommen.
    Ich glaube, der HDR-Eindruck, den Du erwähnst, entstand dadurch, weil in der Szene unter den Armen viel reflektierende Alufolie ausgebreitet war, die die Arme dann von unten auch noch gut ausgeleuchtet haben. Ein bisschen davon sieht man im Bild.
    Danke nochmal!

    Uli

    Antworten
    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Der Hinweis betreffend die Alufolie, die das Licht von unten und von vorne reflektiert, ist genau der Schlüssel zu dem Phänomen, das ich nicht richtig erklären konnte, aber in den Titel geschrieben habe: Licht von allen Seiten!

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