Es geht auch ohne: Fotografisch entschleunigen

Manchmal lohnt es sich zu warten, oder GARNICHT auf den Auslöser zu drücken. Man kann sogar den Fotoapparat ganz zuhause zu lassen. Auch, oder besser: gerade dann, wenn man nicht fotografiert, entstehen Bilder – vor dem geistigen Auge.

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Ein Leser auf Twitter hat vor kurzem angeregt, doch einen kurzen Artikel über die Entscheidung zu schreiben, ein Foto nicht zu machen. Im Sinne von: nicht auf den Auslöser drücken, wenn man hätte können. Das erschien mir als ein interessantes Konzept, und so entstand dieser Beitrag. Denn hat man einmal Fotografie für sich entdeckt, läuft man irgendwann Gefahr, schon fast zwanghaft zu agieren. Fußballtraining des Sohnes? Karatewettbewerb der Tochter? Klar, Kamera kommt mit. Urlaub? Sowieso. Essen im Restaurant – Moment, das muß ich erst einmal ablichten. Das führt nicht nur zu einem digitalen Bilderstapel, sondern auch schnell dazu, daß man irgendwo ausbrennt. Man kann sich nicht mehr daran erinnern, wie man sich an seinem Urlaubsort eigentlich gefühlt hat, weil man so mit Fotografieren beschäftigt war, und hinterher lagern die Trophäen dann häufig neben anderen auf der Festplatte, ohne je noch einmal angeschaut zu werden. Das muß nicht sein.

Ich habe meine besten Einfälle, wenn ich irgendetwas mache, wobei ich nicht denken muß. Für mich ist das Bahnenschwimmen oder Autofahren (auf dem Land in den USA geht das, weil die Strecken lang und der Verkehr nicht so dicht ist), für andere Duschen oder Rennen. Auf diese Weise habe ich bei mehreren Projekten eine kreative Blockade durchbrechen können, oder es sind mir Ideen zu anderen gekommen. Einfach den Fotoapparat zuhause zu lassen, muß also nicht der allgemeinen Weisheit zuwider laufen, daß man immer eine Kamera dabeihaben sollte. Manchmal lohnt es sich, einfach nur irgendwo zu sein.

Irgendwo läuft das auf bewußteres Fotografieren hinaus, was wir auf fokussiert bereits mehrmals beleuchtet haben.

Ich rede hier nicht von den Aufnahmen, die vor und nach den Fotos entstehen, die dann vielleicht sogar berühmt werden. Vor Jahren war ich einmal in einer Ausstellung, die die Aufnahmen vor und nach denen zeigte, die der National Geographic schlußendlich zur Publikation auswählte. Das war zwar enorm interessant, aber ich beziehe mich auf das Bild, das man hätte machen können, aber nicht aufgenommen hat. Und zwar ganz bewußt. Das Motiv bleibt weiter ihm visuellen Gedächtnis, aber vollkommen unangetastet. Wenn nur der geringste Zweifel besteht, daß man hätte ein Foto machen sollen, ist das natürlich alles hinfällig. Ich plädiere trotzdem dafür, daß man manchmal die Kamera einfach zuhause lassen sollte – um die kreativen Batterien neu aufzuladen. Mein Handy habe ich sowieso immer dabei, das kann dann im Notfall doch noch herhalten.

Wie seht Ihr das? Nehmt Ihr Eure Kamera manchmal absichtlich nicht mit, oder ist sie immer dabei?

PS. Ja, das Beitragsbild ist nicht schwarz, es ist fehlbelichtet worden. Irgendetwas Bildliches wollte ich trotzdem einbeziehen. :)

12 Kommentare
  1. Jürgen
    Jürgen sagte:

    Ich nehme die Kamera mit, wenn ich weiß, was ich fotografieren will. Das nebenbei-fotografieren funktioniert bei mir nicht. Zwar stelle ich fest, dass es dann häufig *viele* Bilder gibt, aber keine, die mich berühren und/oder die nicht den digitalen Tod sterben.
    Ich habe vorhin mal durch mein LR-Archiv gekuckt und festgestellt, dass die Anzahl der Bilder in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist. Dafür sind Bücher, Drucke und Serien entstanden, die mir etwas bedeuten. Und das thematische hat dabei auch mein Auge geschärft. Wenn ich ein Anliegen habe, dann ist die Kamera bei mir, wenn nicht, genieße ich das Abbilden auf „Neurochrome“ ;-)
    Und was das Entschleunigen anbelangt, da denke ich immer noch (und immer mehr): gute Bilder brauchen Zeit.

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  2. Chilled Cat
    Chilled Cat sagte:

    Bei mir ist es ähnlich wie bei Tilman.

    Entweder gehe ich fotografieren, dann habe ich die Kamera natürlich dabei, oder eben nicht, dann bleibt die Kamera zu Hause. Meistens gehe ich ohne Kamera aus dem Haus. Wenn mir ein schönes Motiv begegnet und ich die Kamera nicht dabei habe, dann gibt’s halt kein Bild. Eine Bildidee, die sich vielleicht später verwirklichen lässt, aber schon.

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    • Chilled Cat
      Chilled Cat sagte:

      Warum sollte ich Fotografieregeln anwenden, wenn ich nicht fotografieren will?

      Ein Fotoreporter hat immer eine Kamera dabei. Ihm entsteht ein finanzieller Schaden, wenn er ein Bild verpasst.
      Ein Ingenieur, der zum Spaß fotografiert, braucht dann nur eine Kamera mitnehmen, wenn er fotografieren will.

    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Ich meinte die ungeschriebene „Regel“, daß man immer eine Kamera dabeihaben sollte. Und genau das gleiche sagte ich ja auch: wenn es kein Bild gibt, dann eine Bildidee, und das ist oft sogar mehr wert.

    • Chilled Cat
      Chilled Cat sagte:

      Ich habe mir schon gedacht, dass du so eine Regel meinst.

      Wenn man Kamera immer mitnimmt, um auf gar keinen Fall eine Gelegenheit zu verpassen, das muss ja verkrampfte Bilder geben. Aber wer weiß, vielleicht ist das schon eine eigene Stilrichtung.

  3. Tilman
    Tilman sagte:

    Hallo Sofie,
    « Nehmt Ihr Eure Kamera manchmal absichtlich nicht mit ? »
    Das ist eine komische Frage… das ist entweder Masochismus… oder für Dich stellt das Mittragen einer Kamera ein zwanghaftes Verhalten da… LOL
    Ich nehme die Kamera eigentlich immer absichtlich mit, wenn ich halt fotografieren will. Ansonsten bleibt sie zu Hause, und ein Foto-Handy habe ich glücklicherweise auch nicht (solltest Du auch drüber nachdenken :->).
    Vielen Dank für den interessanten und anregenden Artikel!
    MfG, Tilman

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    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Für MICH ist es kein zwanghaftes Verhalten, aber ich kenne genügend Leute, auf die das zutrifft. Und ich habe zugegebenermaßen schon bessere Instagrams geschossen, als ich mit einer normalen Kamera gemacht habe. Irgendwie komisch, oder. Dann aber auch wieder nicht. Ich weiß, daß ich mit dem Handy bestimmte Möglichkeiten nicht habe, und daher nehme ich es zum Fotografieren nur raus, wenn ich eine wirkliche Absicht verfolge. Ich hoffe, daß das Sinn macht.

  4. Patricia
    Patricia sagte:

    Ich nehme meine Kamera manchmal bewusst nicht mit, bin aber auch schon mit vielen verpassten Motiven bestraft worden und hab mich dann geärgert. Aber es stimmt schon es ist auch schön einfach irgendwo zu sein, besonders einfach ganz entspannt am Meer spazieren, da kommen mir meine besten Ideen.
    Lieben Gruß, Patricia

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