Experimentelles Schwarzweiss-Porträt: Verfolgt

In einer Zeit, in der alles bereits irgendwie schon einmal irgendwo von irgendwem fotografiert wurde, ist es schwierig, etwas vollkommen Neues zu schaffen. Was zählt, sind letztlich Ideen und deren Umsetzung.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Daniel Haeker).

Kommentar des Fotografen:

„Verfolgt“ Das Bild entstand, als Teil einer inszenierten Serie, im Avenida Palace Hotel in Lissabon. Es handelt sich um eine Einzelbelichtung. Die Idee war, ein Gefühl von Bedrohung und Verfolgtsein in noblem Ambiente zu vermitteln und dabei die Atmosphäre alter, leicht flimmeriger Schwarzweiß-Kinofilme zu erwecken. Vignettierung und Körnung sollen diese Atmosphäre verstärken.

Profi Sofie Dittmann meint zum Bild von Daniel Haeker:

Daniel Haekers Foto ist eines von denen, die mir sofort ins Auge stechen, weil es so vollkommen experimentell ist. So, wie es aufgenommen ist, macht es nicht viel Sinn, sich etwa auf rein Technisches zu beschränken (wie „es wurde Blende XY verwendet, und das führte dann zu YZ“), sondern man muß das Foto als Ganzes beurteilen, weil hier bewußt technische etc. Regeln gebrochen wurden, um einen bestimmten Effekt zu erzielen.

 

Die Komposition ist sehr minimalistisch, und das ist auch die Herausforderung – sowohl für den Betrachter als auch für den Fotografen. Die Absicht des Fotografen ist bei der Interpretation ein Hilfmittel, aber ein gutes Foto fesselt auf mehreren Ebenen. Es spricht aus sich selbst heraus, es hält einen länger fest als man beabsichtigt hat. Es provoziert eine Diskussion. So wie das vorliegende Porträt von Daniel Haeker.

Dieser wollte seiner Aussage nach „Bedrohung und Verfolgtsein in noblem Ambiente“ vermitteln. Das Modell trägt ein „Kleines Schwarzes“ und sieht geschminkt aus, die Haare sind hochgesteckt. Die Frau läuft eine Treppe herunter, deren Geländer u.a. mit (wahrscheinlich) Gold verziert ist. Irgendwie könnte die junge Frau auch im Treppenhaus eines Mietshauses irgendwo sein, wenn nicht das Gold auf dem Metall wäre. Schließlich kam ich zu dem Schluß, daß es für das Foto selbst als Wirkung und Kontext genügt, denn etwa ein Gemälde links an der Wand hätte die minimalistische Wirkung des Fotos zerstört.

Fotograf Haeker hat die Frau durch seinen Einsatz von Blitz, ISO etc. verwischt. Ihr Gesichtsausdruck ist gerade noch erkennbar, sie schaut mit weit aufgerissenen Augen nach hinten, während sie sich die Treppe herunterbewegt. Der Betrachter sieht nicht, wer oder was sich hinter ihr befindet. Für mich ist ihr Gesichtsausdruck ambivalent, aber man kann durchaus Angst hineinlesen. Die Tatsache, daß sie sich im Hinuntergehen gezwungen sieht, nach hinten zu schauen, heißt für mich, daß sie das Gefühl hat, ihr folge jemand oder etwas.

Das Verwischte des Bildes, zurückzuführen wie gesagt auf die Art, wie das Foto aufgenommen wurde, verstärkt nicht unbedingt das Gefühl, in einem „leicht flimmerigen Schwarzweiß-Kinofilm“ zu sein. Und hätte ich diese Absicht nicht in der Beschreibung gelesen, sie wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Das Foto wird durch die Körnung etc. in seiner Wirkung verstärkt, aber in einem Kinofilm fühle ich mich nicht. Das hätte allein durch die Körnung und Vignettierung erreicht werden können, durch die Wahl der Beleuchtung. Dieses Foto ist nicht nur „leicht flimmerig“, es ist verschwommen. Wenn ich einen so verschwommenen Film ansehen müßte, wäre mir wohl am Schluß schwindelig.

Fotograf Haeker fotografiert gerne mit experimentellen Blitzeffekten, wie ich auf seiner Webseite sehen konnte. Manchmal haben wir die Tendenz, bestimmte Effekte bevorzugt einzusetzen (manche Leute fotografieren gerne mit extrem offener Blende etwa, so wie eine Bekannte von mir, oder sie vignettieren generell), und darauf führe ich den Blitz zurück. Es gab zwar auch noch anders aufgenommene Porträts auf seiner Seite, aber diese Art des Blitzeinsatzes ist Daniel Haekers persönlicher Stil.

Insgesamt ist dieses Foto ein gelungenes, wenn auch sehr experimentelles, Porträt, das sich dem Betrachter erst durch längere Diskussion und Überlegung erschließt.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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