Feen-Pilz: Bokeh mit Leuchthintergrund

Eine weit geöffnete Blende und ein kurzer Abstand vom Motiv schaffen einen unscharfen Hintergrund und die typischen Blenden-Lichtkreise, Bokeh genannt.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Annemarie Berlin).

Kommentar des Fotografen:

Dieses Bild habe ich Anfang November 09 in den Baumbergen aufgenommen. Durch die Einbeziehung der bunten Reflektionen von Sonnenstrahlen auf dem nassen Herbstlaub, wollte ich dem Pilz eine etwas irreale, märchenhafte Umgebung schaffen.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Annemarie Berlin:

Ein sehr fragil wirkender, bleicher, hochstämmiger Pilz mit beinahe schon transparenter Kappe im Vordergrund, versammelt dieses pastellfarbene Hochkant-Bild weitere Waldboden-Elemente in seiner Tiefe. Rechts im Hintergrund ist nur noch schemenhaft ein weiterer Pilz erkennbar, der Hintergrund löst sich in sehr weichen, vor allem in Gelb- und Orangetönen und etwas grün verlaufenden Bokeh-Ringen auf.

Auf dem Pilz im Vordergrund ist knapp noch eine kleine Ameise oder eine Spinne erkennbar, die von der Kamera weg über den Schirm davon eilt. Am Stamm des Pilzes ist ein trockenes Laubblatt im typischen starken Braun erkennbar.

Dein Vorhaben ist zweifellos geglückt:

Der Pilz erhält durch das Gegenlicht (erkennbar am Schatten am Laubblatt unten) eine leicht Transparenz, die ihn in ein elfenhaftes Wesen zu verwandeln scheint. Sein makelloser Schirm ist das einzige, was in diesem Bild im Fokus liegt, die kleine, schwarze Ameise macht aus dem beinahe schon künstlich anmutenden Objekt ein Stück Natur.

Auffallend und reizend an dem Bild ist, neben der simplen, aber wirksamen Komposition mit den beiden Pilzen, die je im Drittelschnitt das Bild vertikal aufteilen, dank der ungleichen Höhe im goldenen Schnitt und in der Bildmitte auch für einen horizontalen Rhythmus sorgen, der helle Hintergrund.

Die meisten Theoretiker würden sagen, dass man ein helles Objekt möglichst vor einem dunklen, unscharfen Hintergrund fotografieren sollte, um es plastisch aus dem Bild herausragen zu lassen.

Du machst hier das genaue Gegenteil, was allein schon deswegen Aufmerksamkeit gewinnt; darüber hinaus aber ist der Hintergrund mit seinen weichen Bokeh-Kreisen eine perfekt passende Ergänzung für die filigran-transparente Erscheinung im Vordergrund.

Auf den ersten Blick scheint hier etwas falsch zu sein, was sich auf den zweiten als wunderbar richtig herausstellt.

Der Schirm des Pilzes im Vordergrund ist noch dazu perfekt auf den Hintergrund ausgerichtet: Seine dunkle rechte Seite liegt vor einem hellen weissen Bokeh-Ring, die etwas heller linke vor einem grünen, und der untere Schirm-Rand liegt vor einem fast gleichfarbigen Bokeh-Ring, hebt sich aber dank einer Beleuchtung von unten über den offenbar hellen Waldboden mit einer weissen Kontrastlinie bestens ab.

All das ist sehr schön, um nicht zu sagen perfekt komponiert, und die mit Blendenzahl 4 gar nicht mal so extrem geöffnete Blende schafft just das richtige Mass an Unschärfe.

Oder, darf man anfügen, vielleicht ein gar klein wenig zu viel. Während nämlich der Schirm des Pilzes in der Schärfe liegt (auf den Du fokussiert haben dürftest), liegt sein Stammbereits in der Unschärfe, was bei längerem Hinsehen irritierend wirkt und unnötig ist.

Mit einer Fokussierung etwas hinter der der Kamera zugeneigten Schirmseite hättest du wahrscheinlich dafür sorgen können, dass der Pilzschirm im Vordergrund-Drittel der Schärfe und der Stamm grade noch in den zwei Hintergrunds-Dritteln (gemessen von der Fokusdistanz) zu liegen gekommen wären.

Ferner stört mich das Laubblatt am Boden, das hier nicht nur ein Fremdkörper, sondern auch noch unscharf und abgeschnitten ist; Wenn Du es bewusst einbeziehen wolltest, hättest Du mehr davon (oder überhaupt vom Boden) zeigen müssen – aber ich enke, dass es die Weichheit des Bildes eher stört.

Das gilt weniger für die Ameise, die mir anfangs auf die Nerven ging. Inzwischen frage ich mich, ob Du nicht sogar hättest versuchen sollen, sie in Deine Richtung zu bugsieren und ihr einen noch etwas prominenteren, aber immer noch einen Nebendarsteller-Auftritt zu verschaffen.

Ich würde das Bild unten deutlich bis über den Blattrand und zugleich ganz leicht an der rechten Hälfte beschneiden, um die etwas gar exakte Drittelsproportionierung der beiden Pilze aufzulösen.

Aber insgesamt ist dies ein geglücktes Bild, das durch eine Regelumkehrung und raffinierte Details in seiner Einfachheit besticht und durch die wunderbare Lichtstimmung bezaubert.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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1 Kommentar
  1. Annemarie Berlin
    Annemarie Berlin sagte:

    Hallo

    Danke für die Kritik zu meinem Bild!
    Es freut mich natürlich sehr, dass Ihr mein Bild dafür ausgewählt habt. Gerade bei diesem Bild war ich mir nicht sicher, wie andere es sehen würden, und ob meine Intention wohl gelungen war.

    Die kleine Ameise sollte eigentlich auch etwas weiter vorne sitzen, aber gerade als ich so weit war, machte sie sich von dannen ;-).

    Da ich erst seit einem Jahr fotografiere, bin ich in Punkto Technik noch nicht so ganz firm. Mit dem Thema Schärfe muss ich mich dann wohl noch einmal intensiver beschäftigen.

    Das Laubblatt hatte ich nicht entfernt, da ich den Pilz nicht aus dem Bildrand wachsen lassen wollte.
    Aber du hast schon recht. Ich habe es mir noch einmal ohne angesehen. Es wirkt dann besser. Allerdings weiß ich nicht, wie es aussähe, wenn dann der Stiel scharf wäre.

    Ich finde es prima, dass man hier die Möglichkeit bekommt, von kompetenter Seite Kritiken und Tipps zu bekommen. Als Anfänger ist man in manchen Dingen häufig doch unsicher.

    Viele Grüße
    Anne

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