Fischerboot in Dublin: Raum zum Spielen

Landschaftsbilder – auch von Industrielandschaften – sollen dem Auge Raum zum „spielen“ geben. Toter, karger Raum ist dazu schlecht geeignet. Hier wird der Raum durch schwarz/weiss getötet.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Christoph Kernstock).

Kommentar des Fotografen:

Zurückgelassen, sogar vom Meer… Bei einem Urlaub in Dublin sah ich dieses alte Schiffswrack an einem (fast) trockenen Kai lehnen. Die teilweise noch sehr bunten Farben des Bootes haben mich in Natura gefangen, beim herumprobieren am PC fand ich aber diesen Farbton passender zur Stimmung des Bildes. Aufgenommen mit einer Kompakten, am PC noch ein bisschen beschnitten. Als Farbeffekt in iPhoto Schwarzweiß, danach noch eine stufe „Boost Color“. Diese Kombination erzeugt einen ganz leichen sepia-artigen Farbstich (zumindest hier auf meinem Monitor), der für mich unaufdringlicher ist als Sepia, aber nicht so kalt wie reines Graustufen.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Christoph Kernstock:

Ich würde behaupten, der Dubliner Fischer und Besitzer dieses „alten Schiffswracks“ würde sich nur nach ein paar Guiness im Hafenpub wieder beruhigen, wenn er wüsste, wie Du seinen geliebten Kahn bezeichnet hast…*

Nachdem Du das Farbbild nachgeliefert hast, bin ich geneigt, die Entscheidung, es in Schwarz/Weiss umzuwandeln, als Fehler zu bezeichnen. Es geht in diesem Bild ja nicht um Flächen und Lichtspiel, sondern um ein konkretes Motiv.

Dieses – das Boot – wirkt in Farbe mit dem knallroten Rumpf im Kontrast zu den Blautönen im Himmel deutlich stärker als Blickfang. Mit ganz seltenen Ausnahmen würde ich behaupten, dass es falsch ist, den Impulsgeber für eine Aufnahme später „anpassen“ zu wollen. Dir sind die Farben aufgefallen, und deshalb hast Du das Bild gemacht. Es ist deshalb von der ganzen Konzeption her ein Farbbild. Etwas anderes wäre es, wenn Dir Flächen in verschiedenen Tonwerten ins Auge gesprungen wären, oder die markanten Linien.

Stichwort Kontrast: Die S/W-Version lässt viele Details, das Auge im Bild herumführen könnten, verblassen oder ganz verschwinden. Die Lichtstimmung ist kaum mehr zu erahnen: Dass die Sonne scheint, ist erst auf den zweiten Blick auf die Schlagschatten am Boot zu erkennen. Die linke Seite des Bootsrumpfs übrigens verschwindet in der S/W-Version ganz einfach im Schatten – in der Farbversion bietet sie eine weitere Rotstufe und lässt einen der Kaimauer entlang blicken.

Das Urspringsbild.

Wenn wir uns ausserdem die linken beiden Bilddrittel ansehen, ist dort – in der schwarz/weiss-Version – nichts von Interesse zu finden. Der Schlick ist eine langweilige, dunkle Masse ohne Details. Selbst das Lichthaus, das einen Akzent setzen könnte, hat kaum eine Wirkung und ist noch dazu unscharf.

Das ist frustrierend, denn grundsätzlich ist die Bildaufteilung spannend – aber nur, wenn in den Sekundärräumen neben dem Hauptmotiv etwas zu sehen ist, der Blick schweifen kann und dabei Details entdeckt.

In der Farbversion ist dies der Fall: Der Hafengrund bietet blaue Spiegelungen des Himmels in den Wasserpfützen, vor dem knallroten Boot liegt ein Stück grüner Dachpappe; der Rumpf spiegelt sich ganz vorne leicht im Wasser; der Leuchtturm ganz links wird zum Begrenzer, der Hügel im Hintergrund hebt sich durch das Grün ab und ergänzt das Blau und das Rot.

Neben den Details im Schlick, wo ich in der Farbversion auch die Fremdkörper ausmachen kann, bietet auch das Boot plötzlich einen buchstäblich tieferen Einblick, auf dem Deck sind verschiedene Gegenstände erkennbar. All diese Details verlieren sich in schwarz/weiss und lassen mich fragen, warum ich mir die langweilige Schlickfläche anschauen soll und was Du mir damit zeigen wolltest.

PerspektivwechselSchließlich hast Du uns auch noch die zweite Ansicht des Bootes geschickt. Es geht hier nicht darum, dieses Bild auch noch zu kritisieren, aber ich meine, für Deine Aussage: einsames Boot, sogar vom Meer im Hafen verlassen, wäre dieser Blickwinkel passender – vor allem, wenn Du darauf geachtet hättest, die Kaimauer rechts im Bild nicht abzuschneiden und das Boot damit in die Hafenecke zu legen. Auch hier wirken die Farbelemente Rot, Blau und Grün, die Spiegelungen des blauen Himmels im Schlick, und am Boot gibt es einiges mehr zu entdecken.

*Angesichts der der brandneuen Taue würde ich behaupten, das Boot ist weit davon entfernt, aus dem Verkehr gezogen zu werden. Als Binnenlandbewohner und „Mittelmeerurlauber“ war ich auf meiner ersten Reise nach England beeindruckt von den Fischerhäfen, in denen die Ebbe die Flotte regelmäßig sanft in den Schlamm bettet. Und was wir Festlandeuropäer schnell mal als „Wrack“ zu bezeichnen geneigt sind, ist in Tat und Wahrheit nichts anderes als ein vom Meerwasser und täglichem Gebrauch gezeichnetes Werkzeug.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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5 Kommentare
  1. christoph
    christoph sagte:

    Dass ich den armen Dubliner Fischer derart gekränkt habe tut mir leid – ich hoffe als Einwohner eines Staates ohne Zugang zum Meer verzeit er mir. Wie ich die Szene aufgefasst habe (auch wenn es nicht den Tatsachen entspricht) ist vermutlich einer der Gründe, warum ich das SW-Bild mit düsterer Stimmung machen wollte…

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  2. christoph
    christoph sagte:

    stimmt, als allererstes haben mich die farben gefangen :-)
    allerdings vor allem in der seit-ansicht, mit dem intensiven grün an der kai-mauer. in dem eingeschickten bild wollte ich die weite und einsamkeit ausdrücken – deshalb hab ich zB. die angeschnittenen anderen boote am linken rand weggeschnitten, und schwarzweiss gewählt, wodurch für mich der leuchtturm im hintergrund auch besser zur geltung kommt als in farbe (dass er unscharf ist, naja, pech gehabt beim aufnehmen, hab ich am kameradisplay nicht gesehn, und stört mich eigentlich gar nicht so). die seit-ansicht in farbe gefiel mir so wie sie ist gut (abgesehn vom abgeschnittenen eck der kaimauer). nur fehlt mir dort etwas wie der leuchtturm im hintergrund, zu dem die kaimauer mit der kurve den blick so schön hinführt. deshalb hab ich das andere bild eingereicht um zu sehn ob ich das was ich wollte erreichen konnte, oder es nur verschlimmbessert habe ;-)

    was ich erst durch die kritik bemerkt habe, ist dass der halbe schiffsrumpf wirklich im schwarz versinkt. das find ich jetzt, wo ich es seh, nicht gut gelungen. mal sehn ob ich das besser hinbekomme.
    die spiegelung ist leider dem geänderten bildausschnitt zum opfer gefallen.
    die lichtstimmung entspricht zwar in keinster weise mehr der damaligen in natura (strahlender sonnenschein, nur ganz weit weg hat sich der regen, der am abend kam, schon angedeutet mit einer wolkenfront, die aber hier im bild nicht zu sehen ist), aber das war ja auch ein ziel von mir :-)

    danke jedenfalls für die kritik!

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  3. Peter Sennhauser
    Peter Sennhauser sagte:

    Manfred, das ist doch genau der Punkt. Das Schiff ist weder zurückgelassen, noch vermodert es, noch ist das eine traurige Szene – sie wird es nur scheinbar durch s/w. Christoph hat es wegen der Farben fotografiert, nicht wegen der morbiden Stimmung – denn in Farbe ist keine morbide Stimmung auszumachen (ok, Landratten wie ich finden Hafenschlick morbide).

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  4. Manfred Geck
    Manfred Geck sagte:

    Ein zurückgelassenes Schiff: vergessen,vermodert,morbid. Eine im Grunde eher traurige Szene.Das ganze unter einem,wie ich finde, dramatischen Himmel.Hier ist meiner Meinung nach schwarz-weiss fast Pflicht.

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  5. Hendrik
    Hendrik sagte:

    Stimme Peter zu, die zweite Perspektive mit einem etwas nach rechts verschobenen Ausschnitt wäre es gewesen.. aber so was sieht man leider oft erst, wenn man zuhause am Bildschirm sitzt.

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