Fluchtpunkt-Landschaft: Linien, betont

In der Landschaftsfotografie können Linien und Flächen vom Gestaltungselement zum eigentlichen Motiv werden. Dazu brauchen sie aber besondere Ausprägung.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Henning Welslau).

Kommentar des Fotografen:

Diese Aufnahme ist im Freilichtmuseum Detmold entstanden. Als Objektiv wählte ich das Sigma 10-20 bei 10mm und Blende 13. Bei sehr gutem Wetter habe ich besonderes Augenmerk auf die Gestaltung, Perspektive und Linienführung gelegt.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Henning Welslau:

Du zeigst hier, dass Linien in einem Landschaftsbild zum dominanten Element gemacht werden können: Die Aufnahme lebt von der grafischen Aufteilung in Teilflächen und von den starken Linien, die das Bild vertikal, horizontal und in Fluchtpunkt-Diagonalen sehr schön aufteilen.

Als Studie zur Bildeinteilung ist die Aufnahme denn auch ein Beispiel dafür, was sich draussen mit dem „vorhandenen Material“ machen lässt. Sehr klassisch ist die Einteilung des Bildes durch den Horizont im Drittel (naja, fast Viertel) und die im Goldenen Schnitt fast gerade in die Bildtiefe verlaufende rechte Radspur des Naturwegs. Attraktiv ist ausserdem der Fächer der ebenfalls von allen Seiten in den Fluchtpunkt verlaufenden Linien des Zauns, die durch die senkrechten Zaunpfähle durchbrochen werden – ein Rythmus, der eleganterweise in der rechten Bildseite durch den fast am Horizont quer verlaufenden Zaun und am linken Bildrand durch die vier Bäume aufgegriffen wird.

All das schmeichelt dem geometrisch erzogenen Auge und erfüllt die Regeln der Bildeinteilung. Und trotzdem vermag das Bild nicht zu fesseln. Die Elemente sind am richtigen Platz und stimmig arrangiert, aber sie ergeben zusammen keine Komposition, die über die „Stimmigkeit“ hinaus auch noch einen emotionalen Eindruck vermittelt: Ich suche in dieser Aufnahme zuerst nach dem eigentlichen Motiv. Die (vom Weitwinkel windschief gestellte) Hütte im Feld kann es nicht sein; die Windmühle im Hintergrund ist zu weit weg und eher zufällig ins Bild gerückt.

Es ist richtig, dass ein Landschaftsbild Tiefe haben muss, um zu wirken – und die wird am ehesten aus einer Kombination von spannenden Linien und Vorder- und Hintergrund geschaffen. Aber in der Regel liegt dazwischen ein eigentlicher Blickfang, ein Schwerpunkt, von dem aus das Bild erkundet werden kann und der durch die Tiefenwirkung herausgearbeitet, betont und in den geschaffenen Raum gestellt wird. Diese Landschaftsaufnahme wirkt dagegen wie eine gut eingerichtete Bühne, die aber noch verwaist ist.

Das soll nicht heissen, dass in jeder Steppe ein Elefant und in jedem Feld mit Waldrandbegrenzung ein malerischer Bauernhof stehen muss: Raum, Flächen und Linien können durchaus ganz allein ein Bild ausmachen. Aber dann müssen sie zusammen eine Spannung schaffen, die den Betrachter den Raum erkunden lässt. Gerade Linien wie hier bieten das Problem, dass sie als „stützende Elemente“ für die Tiefenwirkung gut geignet sind, aber als „Handläufe ins Bild“ zu wenig Spannung bieten.

Das gilt jedenfalls dann, wenn alle andern Elemente – Farbe, Belichtung, Perspektive, Vorder- und Hintergrund – eine bestimmte Gattung des Bildes betonen, wie hier eben die einer klassischen Landschaftsaufnahme, die etwas besonderes in diesem Ausschnitt der Welt hervorzuheben verspricht.

Wenn aber die Linien und der Raum selber eher zum grafischen Inhalt des Bildes werden sollen, müssen sie entweder so ausgeprägt und stark sein, dass kein Zweifel mehr möglich ist. Oder aber sie werden mit zusätzlichen kompositorischen Mitteln im Bildausschnitt so dramatisch komponiert, dass sie alle andern Aufgaben auch gleich übernehmen: Indem beispielsweise der Blick dicht über der Strasse in den Fluchtpunkt führt und die Kiesspur dank kleiner Blende zum Vordergrund wird, der als eigenes Element erkundet werden kann (oder die Holzstruktur des Zauns, oder etwas anderes), so dass sich beispielsweise das Bild in eine Mikrowelt im Vordergrund und die in die Ferne laufenden Linien im Hintergrund entwickelt (geschlossene Blende, extreme Perspektive).

Knallharter Kontrast in Schwarz-Weiss holt die Linien hervor.Oder aber Du könntest, wenn es denn wirklich ausschliesslich um die Linien und die Flächenaufteilung geht und noch dazu das wie hier, am frühen Nachmittag oder späten Morgen ohnehin nicht ideal einfallende harte Licht für starke Kontraste sorgt, diesen für eine Landschaftsaufnahme als Nachteil wirkenden Umstand zum Vorteil ummünzen und das Bild in eine Schwarz-Weiss-version Reduzieren, in der die Kontraste die Linien unterstützen.

Ich habe im Beispielbild genau das versucht, indem ich es zuerst in Photoshop in Graustufen umgewandelt und danach eine relativ starke S-Kurve in der Gradationskurve angewandt (absenkung der dunkeln, Anhebung der hellen Bildteile) angewandt und das Histogramm auf der hellen Seite beschnitten habe.

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8 Kommentare
  1. Henning Welslau
    Henning Welslau sagte:

    @ Blue – hatte mit Lightroom noch nie Probleme beim Verlauf. Im Einzelfall wenn ich mit dem Pinsel arbeite sah das schon anders aus.

    @ Robert – quadratisch und sw habe ich probiert -> Idee gut aber im Ergebnis nicht ansprechend. Werde das Foto am selben Ort nochmal anders machen und mehr probieren. Für quadratisch finde ich eine Symmetrie zur oberen Bildmitte interessant.

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  2. Blue
    Blue sagte:

    ah..danke für die schnelle antwort. und das hat nicht zur treppchenbildung geführt? das ist bei mir eigentlich der klassiker: verlauf reinziehen und zack: wundervolle treppchen..also tonwertabrisse oder sprünge…

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  3. Henning Welslau
    Henning Welslau sagte:

    Das Foto habe ich ohne Polfilter gemacht. In Lightroom habe ich über den Himmel einen Verlauf mit Belichtung -1,5 gelegt.

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  4. Blue
    Blue sagte:

    Mal eine ganz andere Frage: ist bekannt, ob das Foto mit Polfilter gemacht wurde? Der Himmel ist so schön dunkel…

    Grüße!

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  5. Henning Welslau
    Henning Welslau sagte:

    Vielen Dank für die Kritik.
    Schwarz-weiß war auch einer meiner Gedanken – aber mein Ergebnis mit Lightroom dann nicht wirklich überzeugend. Primär ging es mir um die Linien und den Bildaufbau – das Bild (Motiv) habe ich auf den ersten Blick nicht so gesehen und erst nach 2-3 Bildern den Weg und den Zaun richtig wahrgenommen…

    Auch mit dem harten Licht liegst du richtig. Es gilt auf vieles zu achten um ein gutes Foto zu machen. Als DSLR-Anfänger ist das eine Herausforderung das Licht, das Motiv, die Gestaltung und die Technik unter einen Hut zu bringen. Danke für die wertvollen Tipps.

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  6. Sofie Dittmann
    Sofie Dittmann sagte:

    @Peter: right on. Schwarz-weiß war auch das erste, was ich dachte. Es ist eines dieser Beispiele, wo ich ein ähnliches Bild schon mal woanders gesehen habe. Schön fotografiert, aber nichts Neues. Eine generelle Herausforderung dieser Tage.

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  1. […] Hier die Meinung von Peter Sennhauser zu meinem Bild auf FOKUSSIERT.COM: […]

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