Fluchtpunkt: Rhein (fast) ohne Wasser

Ungewöhnliche Situationen schaffen ungewöhnliche Bilder, wenn man nicht einfach drauflosfotografiert. Dieses Bild zeigt, wieso.

(c) Jürgen Huber

(c) Jürgen Huber

Jürgen Huber aus Kelkheim schreibt zu diesem Bild:

das Bild zeigt den Rhein bei Nackenheim (Rhld.-Pfalz) im November 2011, als nach einer längeren Trockenperiode weite Teile des Flussbetts ausgetrocknet und begehbar waren. Der Schifffahrt blieb nur eine schmale Fahrrinne, die wegen fehlender Wassertiefe auch nur mit geringerer Ladung befahren werden konnte (ganz links im Bild). Wie wir haben auch Andere die Gelegenheit genutzt, im ausgetrockneten Teil des Flussbetts spazieren zu gehen. Der freigelegte Flussboden ist nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, mit Kieseln, sondern mit Tausenden Schalen von Flussmuscheln bedeckt. Die Sonne stand jahreszeitlich bedingt sehr tief. Das Motiv ist nur nach Süden aufzunehmen, so dass zu dieser Tageszeit Gegenlicht nicht vermeidbar war. Daraus resultieren auch die sichtbaren Sonnenstrahlen (die zu meinem Erstaunen nicht parallel zu den ebenfalls von der Sonne erzeugten Schatten laufen). Bezüglich der Personen ist das Bild nicht „arrangiert“.

Das Bild wurde im Format 4:3 aufgenommen, aber durch Beschneiden oben und unten auf Format von ca. 2:1 gebracht. Ansonsten habe ich in der Nachbearbeitung nur den Kontrast etwas angehoben. Aufnahmedaten: Blende 8,4; 1/350 Belichtungszeit und WW 6,3 mm Brennweite (entspr. 36 mm bei KB); Kompaktkamera (Samsung ES 55; 6,3-18,9 mm).

 

Ich bin in Karlsruhe, also am Rhein, aufgewachsen, habe den Fluß jedoch nie ohne Wasser gesehen. Man sieht auch nicht unbedingt, um welchen Fluß es sich handelt. Das ist bei diesem meines Erachtens gelungenen Schnappschuß aber auch egal. Du zeigst, wie man eine ungewöhnliche Situation – Fluß ohne Wasser – einfangen kann, ohne einfach draufloszufotografieren. Ganz klar hast Du Dir hier Gedanken gemacht, auf den richtigen Moment gewartet, anstatt willkürlich irgendwelche Bilder aufzunehmen.

Analysiert man das Foto kompositionell, stellt man sehr schnell fest, daß Du nicht einfach so auf den Auslöser gedrückt hast, sondern gewartet haben mußt, bis die Spaziergänger dort waren, wo sie sich jetzt befinden. Die Leute ganz hinten (grün) befinden sich genau im natürlichen Fluchtpunkt, und die anderen mitsamt ihren Schatten (rot) bilden eine Linie, die zu ihm hinführt (blau):

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Die Leute in der Mitte der führenden Linie befinden sich auch in der Bildmitte (hellblau), genau wie der natürliche Horizont (gelb):

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Dominiert wird das Bild allerdings vom negativen Raum, und der verleiht dem ganzen hier nicht nur Kontext, sondern auch Stimmung.

[bildkritik]

Die Bäume rechts finden in der Pfütze ein visuelles Echo, das Flußbett scheint ewig nach hinten weiterzugehen. Die Leere suggeriert Nachdenken, Einsamkeit, und die Gegenlichtstimmung Abend; das ganze lädt zur Reflexion ein, und das scheinen die Leute im Foto zu tun, denn sie schauen, soweit erkennbar, nach unten. Wahrscheinlich haben sie nur versucht, innerhalb der Muschelmenge etwas Brauchbares zum Mitnehmen zu finden, aber das ist ja egal.

Ich habe ein bischen mit Deinem Bild gespielt und kam zu dem Schluß, daß man die Frau vorne etwas aufhellen sollte. Außerdem habe ich die Farbsättigung angehoben:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Das fällt kaum auf, bietet aber dem Betrachter vorne links einen zusätzlichen Halt im Foto. Wie eine Schwarzweißumwandlung, die ich mir hier vorstellen könnte, ist das aber zu diskutieren:

Vergleichsfoto

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Du schreibst, Du habest das Foto unten und oben beschnitten. Dadurch wurde es zu einem Panoramaformat. Du hast also richtigerweise daran gedacht, die Komposition zu verdichten, und das ist Deine Lösung. Ich persönlich hätte das Bild so beschnitten, daß rechts und links noch etwas gekappt wird. Das Schifffragment links fällt dann zwar weg, aber erstens ist es kaum im Foto und man versteht nicht gleich, worum es sich handelt; außerdem trägt es – eben WEIL es kaum sichtbar ist – zur Bildaussage eigentlich nichts bei. Dadurch wird die Komposition nochmals verdichtet und meines Erachtens tut es dem Charakter des Fotos keinen Abbruch. Aber das wäre, wie gesagt, MEINE Nachbearbeitungsentscheidung gewesen.

Hier noch einmal beide Versionen mit entsprechendem Beschnitt. Erst die Farbvariante mit Helligkeits- und Farbanpassung:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Und dann noch das gleiche in Schwarzweiß:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

3 Kommentare
  1. Jürgen Huber
    Jürgen Huber sagte:

    Hallo Sofie, vielen Dank für die ausführliche Besprechung meines Bilds. Es war zwar meine Absicht, die Personen als Vorder-, Mittel- und Hintergrund in der Gegenlicht-Stimmung aufs Bild zu bringen; aber daß sich dabei ein so markanter Fluchtpunkt ergibt habe ich erst zu Hause am Bildschirm realisiert, es war deshalb auch ein stückweit Glück dabei, daß sich alle drei Personen/Gruppen in die gewünschte Position bewegten. Formatmässig habe ich das Bild bewusst stärker als Panorama angelegt, um die Gesamtausrichtung, die sich nicht nur aus den Personen, sondern auch dem Flußverlauf und den Bäumen auf der anderen Flußseite ergibt, zu unterstreichen (ich persönlich neige bei solchen Bildern eher zu klaren horizontalen Bildformaten). Das Schiff links wollte ich schon im Bild lassen, um den Bezug zum Fluß zu unterstreichen. Deine Beschnitte rechts und links sind natürlich auch möglich, ohne dass die Bildaussage spürbar leidet; es richtet sich halt nach den persönlichen Vorlieben. Vier Jahre später im letzten November erneut Niedrigwasser (Bild: „Rheingoldsucher“).

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    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Ja, das mit dem Beschnitt war mir klar. Wenn Du ein und das selbe Foto fünf verschiedenen Leuten gibst, kommen sowieso sieben verschiedene Versionen dabei heraus. Jeder sieht das Bild anders, oder im Bild etwas anderes. Das angehängte ist auch klasse; allerdings sieht man da stärker den Flußbezug.

  2. Tilman
    Tilman sagte:

    Hallo, ein tolles, atmosphärisches Bild, das ich sehr mag. Herzlichen Glückwunsch, Jürgen. Danke für die interessante Besprechung, Sofie. „MEINE Nachbearbeitungsentscheidung“ wäre auch meine gewesen, ich finde den Raum vor allem rechts zu groß. Ich bevorzuge die Farbversion, da sie die Stimmung besser wiedergibt. MfG, Tilman

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