Fokus-Porträt: Blick in den (strengen) Raum

Geraden und Rechtecke in ausserordentlich spannender Wechselwirkung sorgen hier für Tiefe in einem Konzeptbild mit grosser Wirkung.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Frank Bäume).

Kommentar des Fotografen:

„Werk im Focus“ ist der Titel diese Bildes. Aufgenommenn in dem IG-Farbenhaus der Universität Frankfurt, anlässlich des Campusfestes 2009. Die Aufnahme gehört zu einer Serie, bei der nicht der Portraitierte, sondern der Focus des „Selben“ im Mittelpunkt der Arbeit steht. Die Spannung baut sich durch den Gegensatz des Künstlers vor seinem Werk, in Bewegung, unruhig und unfocusiert und der betont konzentrierten Betrachterin auf der Treppe auf. Die Kamera sieht durch die Augen des Portraitierten, vermittelt den Eindruck der jungen Frau beim Betrachten der Installation im Nachbarraum. Noch zögerlich abwartend, noch nicht bereit in den Raum herein zu treten und die Kommunikation mit dem Ausstellenden aufzunehmen. Der Ausgang offen, überlassen der Phantasie des Betrachters.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Frank Bäume:

Eine Frau steht, mit dem Rücken zum Betrachter, im Zentrum einer Aufnahme aus dem Treppenhaus eines Museums-/Verwaltungsbaus.

Die quadratische Schwarzweiss-Aufnahme zeigt neben der Diagonalen der Treppenabgrenzung und den Senkrechten in der Marmor-Innenfassade des Gebäudes einen rechteckigen Durchgang zu einem Hörsaal/Schauraum, in dem im Hintergrund an der Wand eine Staffage mit wiederum einem quer liegenden dunklen Rechteck auf weissem Hintergrund zu sehen ist. Davor sind die verwischten Umrisse eines Menschen sichtbar, der zwischen der Frau im Treppenhaus und ihrer Blickrichtung zur dem Bild im Hintergrund durchzugehen scheint.

Diese Aufnahme ist ein starkes Beispiel für die Kombination mehrerer Ausdrucksmittel der Fotografie. Zunächst ist die Komposition, der Mittelformatkamera angemessen, quadratisch gestaltet, und sie richtet sich streng und ohne Verwindung an den vorhandenen Linien des Gebäudes aus. Diese Linien ergeben eine den Regeln entsprechende Bildaufteilung, die aber durch den Quadratschnitt zusätzlich an Spannung gewinnt, weil sie mit der erwarteten Symmetrie bricht.

Die Doppellinie des Pfeilers links und die Diagonale der Treppenmauer liegen ungefähr im Goldenen Schnitt. Das Muster der Fassadenplatten sorgt für eine Kachelung des gesamten Bildes und greift das Quadrat des Bildformats auf; die Linien durchziehen alles und kommen durch die Schwarzweiss-Technik sehr viel besser zur Geltung als in einer Farbaufnahme, sind aber zugleich nicht übermässig dominant.

Diese Flächenwirkung wird ergänzt durch die kubische Tiefenwirkung des Durchgangs in den Nebenraum: Hier fallen die Linien plötzlich in perspektivische Diagonalen, der Schatten sorgt für noch mehr Raumgefühl. Zugleich wird hier das Quadrat des Bildformats durch ein erstes starkes Rechteck komplementiert, das vertikal etwas über ein Quadrat hinausgeht.

Dieser Effekt wird seinerseits durch das querliegende, ausgeprägtere Rechteckformat im Hintergrund zum dritten mal aufgegriffen und gebrochen – der Tiefeneffekt führt fast wie in einem doppelten Spiegelbild, das sich unendlich fortsetzt, immer weiter ins Bild hinein.

Diese Verschachtelung der Rechtecke vermittelt eine radikale Strenge, man könnte sagen die Autorität des Gebäudes (was der Absicht des Architekten entsprechen dürfte). Sie teilt aber zugleich den Raum in drei eindeutige Tiefenebenen, die den Betrachter mitten in die Aufnahme stellt.

Und schliesslich gesellt sich zu dem Ganzen der Auslöser der Blickrichtung, die Frau auf der Treppe, horizontal gut platziert nach der Drittelsregel, deren Blickrichtung – das Thema der fotografischen Reihe – zusätzlich in die Tiefe der Fotografie führt. Dort wird mit der rechtwinkligen Strenge des Bildes ein weiteres Mal gebrochen durch den verwischten Passanten.

Eine sehr gelungene Aufnahme, in deren vermeintlich schlichter Aufteilung viel zu entdecken ist und die ein Ziel der Fotografie – in zwei Dimensionen einen Raum zu simulieren – auf herausragende Weise erfüllt.

Wenn ich etwas kritisieren müsste, dann wäre es der Auslösezeitpunkt: Die verwischte Person zwischen der Frau und dem Bild im Hintergrund (der Künstler an der Staffage?) schafft vielleicht ein etwas zu starkes Gedränge in dieser Sichtlinie und würde noch mehr zur Spannung beitragen, wenn sie etwas links oder rechts von der Frau im Bild wäre.

Und schliesslich schafft der Tisch neben der Staffage rechts eine leichte Ablenkung, die man vielleicht als gestalterischer Perfektionist hätte ausräumen können, indem man ihn kurz verschoben hätte – auf die Gefahr hin, dass das Bild zu perfekt und damit steril wird (und die Junge Dame aus dem Blickfeld verschwunden wäre, weshalb ich sie um ihren Verbleib gebeten hätte.)

Jedenfalls ein spannendes Bild und eine erfüllte Aufgabe, die auf die andern Fotografien der Serie neugierig macht.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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8 Kommentare
  1. Frank Bäume
    Frank Bäume sagte:

    Hallo Dierk,
    danke für das Lob.
    Ich habe die Aufnahme mit 250mm gemacht. Stand auf der symmetrisch angeordneten Balustrade auf der linken Seite.
    LG
    Frank

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  2. dierk
    dierk sagte:

    tolle S/W Technik, Frank.

    So hätte ich die Aufnahme auch gemacht(ich traue mich jedoch oft nicht, Menschen mit rein zu nehmen, da zu wenig planbar, wie man sieht:-).
    Aus welcher deiner Serien stammt es?

    Vielleicht unten etwas mehr und oben etwas weniger, damit das Geländer unten nicht so nah am Rand ist, dann hättest du aber vielleicht etwas stürzende Linien bekommen (oder war es ein Shift-Objektiv, da es so perfekt passt?)

    Dierk

    Antworten
  3. Schtonk!
    Schtonk! sagte:

    Ist der Titel wirklich „Frau im Focus“? Das ist dann ja wie „Frau im Bild“ bzw. sogar „Frau in der Bild“.

    Ist aber doch wohl eher „Frau im Fokus“ gemeint und nicht die Zeitschrift.

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  4. Frank Bäume
    Frank Bäume sagte:

    Vorab, herzlichen Dank für die doch sehr ausführliche Bildbesprechung.
    Der Tisch, er stört leider, aber ich vermute ich hätte ihn wohl nicht verschieben dürfen/können. Insbedonders weil dies doch einige Zeit in Anspruch genommen hätte. Man hätte diesen auch retuschieren können, jedoch habe ich mich bewußt dagegen entschieden zu „photoshoppen“. Die Aufnahme ist, bis auf ein paar entfernte Staubkörnerchen, vollends unbearbeitet.
    Damit zur Frage der Belichtungszeit. Da es eine analoge Aufnahme ist, somit keine EXIF’s existieren, nicht exakt zu sagen. Jedoch wurden alle Aufnahmen so um die 0,5 Sekunden belichtet. In der Tat, die junge Frau verharte mehere Sekunden vollkommen regungslos.
    Ich habe noch eine zweite Belichtung gemacht, nachdem die Person vor der Tafel im Innenraum vorbeigegangen war. Diese war jedoch nicht leider nicht mehr scharf. Eine dritte war nicht möglich, da die junge Frau dann den Raum betrat und das Motiv somit nicht existent war.
    Natürlich ist es sehr schwer, oder gar unmöglich, eine Einzelaufnahme aus einer Serie im Kontext dieser eben nicht gesehenen Serie einzustufen. Jedoch war es auch nicht meine Absicht diese Aufgabe einer einzelnen Aufnahme zuzuweisen. Ich habe diese Aufnahme zur Präsentation ausgewählt, weil sie mir persönlich sehr zusagt. Mehr nicht.
    Nochmals meine Dank für euer Feedback.
    LG
    frank

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  5. Swonkie
    Swonkie sagte:

    ich kann mir nur nicht erklären wieso die frau absolut still steht. an ihrer haltung sieht es eher so aus als wäre sie in bewegung. und bei einer halben sekunde würde auch nur eine kleine, langsame bewegung zu deutlicher unschärfe führen.

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  6. Peter Sennhauser
    Peter Sennhauser sagte:

    Swonkie: Die Belichtungszeit ist nur einer von zwei Faktoren bei Bewegungsunschärfe, die andere ist die Bewegung des Objekts. Ich würde hier von einer Belichtungszeit von einer halben Sekunde ausgehen (Fotograf Frank Bäume hat keine Angaben dazu geliefert), und das reicht vollständig für eine solche Verwischung, wenn der Künstler sich zugleich grade relativ schnell bewegt hat.

    Antworten
  7. Antje
    Antje sagte:

    Für mich zeigt das Bild, dass doch vieles im Auge des Betrachters liegt.
    Mir fällt bei der Betrachtung vor allem die unterschiedlichen Marmorierungen der Wand und der Treppe auf. Der Blick in den hinteren Raum lockert das Ganze ein wenig auf und zeigt einen wilkommenden Kontrast, das i-Tüpfelchen ist die Frau im Vordergrund. Die verschwommende Person im Hintergrund bringt eher Unruhe herein (die Frage nach der Belichtungszeit finde ich durchaus berechtigt).
    Auf eine Frau, die sich noch nicht traut eine Austellung zu betreten mit der Künstlerin im Hintergrund wäre ich nie im Leben drauf gekommen. Und auch mit diesem Wissen finde ich es irgendwie nicht zutreffend. Es sieht eher so aus, als of die Person im Vordergrund gerade angehalten hat um zB. eine SMS zu schreiben, aber vlt. bin ich da auch zu pragmatisch.
    Alles in allem: interessantes Bild, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen.

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  8. Swonkie
    Swonkie sagte:

    vieles funktioniert für mich hier nicht.
    bevor ich den kommentar des fotografen gelesen habe war mir nicht klar dass da ein „werk“ zu sehen ist. die ganze szene in dem raum hat eher bürocharakter für mich (bin von museen / ausstellungen eine andere präsentation gewohnt). ich hätte vermutet, dass da vielleicht die besucherpässe für einen anlass ausgegeben werden. das „werk“ könnte auch ein whiteboard sein (vielleicht sieht man mehr details auf dem originalgrossen foto?). den extrem stark verwischten künstler habe ich auch nicht als wichtigen teil betrachtet, weil er schon fast nicht mehr als person zu erkennen ist.

    was mich technisch wundert: weshalb ist die frau im vordergrund absolut scharf abgebildet während der künstler so stark verwischt ist? die frau war ja wohl kaum über eine so lange belichtungszeit (wie lange ist die?) absolut regungslos?

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