Foto Noir: Hitchcock

Fotografie, die ein bestimmtes Genre nachahmt, ist reizvoll, aber nicht frei von andern Regeln der Technik. Zufallstreffer sind immer fragwürdig.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Lars Hering).

© Lars Hering – Canon EOS 40D – 1/800s – f/5.6 – ISO 400 – 20mm

Kommentar des Fotografen:

Das Bild entstand bei einem Spaziergang mit einem guten Freund am Dortmunder Hafen. Ich lief schon eine Weile hinter ihm her, da sein Erscheinungsbild von hinten mysteriös auf mich wirkte. Als sich der Wachtgebäude mit seinem schönen Turm näherte, machte ich mich bereit, um im richtigen Moment abzudrücken (schade fand ich in dem Augenblick nur, dass er nicht ganz aufrecht ging, sondern etwas nach vorne gebeugt, was wohl an der Steigung des Hügels lag, den wir hinaufgingen). Meine Intuition ist es nach Möglichkeit meine Bilder aus ihrer zeit zu reißen und dem Betrachter ein Gefühl von Zeitlosigkeit zu vermitteln, sodass man auf den ersten Blick nicht einordnen kann aus welcher Zeit dieses Bild wohl stammt. Dies lies sich hier gut verwirklichen, da keine Autos auf der Strasse fuhren.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Lars Hering:

Das hab ich doch schon mal gesehen? – Tatsächlich haben wir Bilder dieser Art schon Dutzende Male gesehen – in Horrorfilmen und Krimis, als Standbilder und Filmplakate.

Mir gefällt diese Art der Genre-Kopie, die beispielsweise Olaf Heine mit seinen Promi-Porträts in Pseudo-Standbildern auf die Spitze treibt. Ein ähnliches Bild, allerdings in Farbe, hat Johannes Senn hier ja schon einmal präsentiert. Mich erinnert seine ‚Krähe‘ schon an den Stil des ‚Film Noir‘, aber Deine Aufnahme passt noch genauer ins Klischee.

Mich stört allerdings die Belichtung und die Bildaufteilung.

Zunächst ist das Bild seltsam flau und kontrastarm. die dunkelsten Flächen liegen im Vordergrund, auf dem Rücken des Mannes, wodurch das Wachtgebäude weniger wie eine bedrohlich-unheimliche Kulisse wirkt.

Zum andern ist ein bisschen gar viel Rücken im Bild zu sehen, und die Figur, die doch den Vordergrund und die Fokusebene füllt, ist nicht eben ausdrucksstark – wobei ich die leichte Beugung nach vorne als Gewinn für das Bild werte.

Wenn das also der Schnappschuss aus der Hüfte war, als das Du ihn beschreibst, dann hast Du Glück gehabt und das war’s. Das finde ich aber eigentlich schade. Schließlich hast Du das Motiv gesehen und nicht einfach nur abgedrückt; die mysteriöse Stimmung hat Dich dazu veranlasst, auf den Moment zu warten.

Bleibt die Frage, warum Du nicht noch einen Schritt weitergehst und den Freund bittest, ein wenig mitzuspielen, ein paar Posen auszuprobieren, die Geschichte mit einer kleineren und einer grösseren Blende, mit Fokus vorne oder hinten durchzuproben?

Genau das hätte ich hier getan. Das Spannende daran ist, dass bei solchen spontanen Übungen sich sehr schnell Charakteristika eines Genres herauskristallisieren: Was genau sorgt für die mysteriöse Stimmung, welche Belichtung sorgt für bedrohliche, welche für unspektakuläre Momente?

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Wir haben mit unseren Digitalkameras einen immensen Vorteil gegenüber Generationen von Fotografen vor uns, die nach dem Auslösen nicht wussten, was genau sie eingefangen hatten. Du kannst mit einem Blick auf den Monitor die Situation erfassen, ein Detail am Bildausschnitt oder am Motiv ändern und nochmals abdrücken – und erkennst die Auswirkungen sofort.

das erlaubt es, einen erkannten Stimmunsmoment weiter zu entwickeln, das gewünschte Bild schnell zu inszenieren und dabei in wenigen Minuten so viel zu lernen, wie Fotografen und Regisseure vor uns in tage- und wochenlanger Arbeit.

Wenn Du das nicht tust, hast Du die Chance, ein ganz nettes Bild heimzubringen, das irgendwie nach einem Standbild aus einem Hitchcock-Film aussieht. Aber Du hast noch immer wenig Ahnung, was genau diese Stimmung verursacht.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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2 Kommentare
  1. Ulrich Brodde
    Ulrich Brodde sagte:

    das foto erzeugt in der tat aufmerksamkeit, da es zumindest ungewöhnlich ist.
    aber mir ist die atmosphäre zu wenig verdichtet. die leere straße scheint nicht wirklich zum bild dazu zu gehören und lenkt den blick nur ab. auch erschließt sich mir nicht, warum das gebäude schief steht. das foto läuft nach oben in den himmel aus, ohne dass der himmel zur bildaussage beiträgt, da ist einfach nur eine leere fläche.
    eine reduzierung des motivs auf person und gebäude, wobei sowohl vom rücken unten als auch vom gebäude oben ein stück fehlen dürfte, könnte m.e. zur verdichtung beitragen und die mysteriös bedrohliche atmosphäre verdeutlichen.

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  2. Corinne ZS
    Corinne ZS sagte:

    Nach den letzten 6 Bildern, die nichts erzählten, sondern einfach etwas zeigten, fällt dieses angenehm aus dem Rahmen. Es mag technisch nicht perfekt sein (mich stört vor allem der dunkle Schatten im Himmel oben links; und, ja, die Grautöne sind etwas fluflu), aber es fesselt meinen Blick und beflügelt meine Fantasie! Der prominent platzierte Rücken erinnert mich übrigens an Rene Burri (z. B. an „ITALY. 1955. Province of Liguria. Town of Imperia Oneglia“). Vielleicht bin ich einfach Rücken-Fan? Es dünkt mich, der Rücken lenkt den Blick direkt ins Bild, mit der Frage, wohin guckt die Person. Schon das letzte Porträt mit Blick über eine Frauenschulter, das hier sehr kontrovers aufgenomnen wurde, gefiel mir sehr. Ob es nur mir so geht?

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