Fotobuchpreis 2010: Die Fotobuchspitze

Der Deutsche Fotobuchpreis versammelt die Spitze der Fotobücher. Jetzt ist die Bestenliste für das Jahr 2010 erschienen.

Die Jury des Deutschen Fotobuchpreises 2010 mit den Siegertiteln

Ganze 18 Fotobücher wurden mit dem Prädikat „Sieger Deutscher Fotobuchpreis 2010“ ausgezeichnet. Die Jury vergab die Preise in den Wertungen in Gold und Silber. Darüber hinaus wählte sie noch weitere 164 Titel aus, die das Prädikat „Nominiert 2010“ erhielten.

Alle prämierten und ausgewählten Titel bilden zusammen die Wanderausstellung „Deutscher Fotobuchpreis 2010“, die akuell bei den Stuttgarter Buchwochen noch bis 13. Dezember gezeigt wird. 2010 geht sie im In- und Ausland „on Tour“. Verliehen wird der Deutsche Fotobuchpreis vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Landesverband Baden-Württemberg.

Buchtitel Olaf Unverzart - Leichtes Gepäck

Fünf Bildbände wurden mit Gold ausgezeichnet, zum Beispiel [amazon 3940748528]Leichtes Gepäck[/amazon] von Olaf Unverzart, erschienen im Verlag für moderne Kunst Nürnberg. Zur Begründung schreibt die Jury über das Buch des Münchner Fotografen:

„So eine Art Porträts, Reportagen, leere Landschaften und permanente visuelle Biografie.“ Klingt ein bisschen durcheinander. Und das ist es auch – die Genres mixt er ebenso wie die Kontinente, auf denen seine Bilder entstehen, und das sind mehr oder wenige alle, von Feuerland bis Fernost bereist Olaf Unverzart die Welt, und ob er dabei eher Künstler oder Reporter oder Landschaftsfotograf oder irgendetwas anderes ist, darüber können sich die den Kopf zerbrechen, die ohne geistige Schubladen nicht auskommen. Alle anderen haben das Vergnügen, einem Reise- und Fotofreak dabei zuzuschauen, wie er sein höchst persönliches Welt-Bild zusammencollagiert, in dem patagonische Gletscher mit äthiopischen Särgen kollidieren und schwedische Fischer auf Istanbuler Waffenhändler und ceylonesische Zwillingsschwestern treffen. Das „Leichte Gepäck“ hat er in 27 Ländern zusammengetragen. Das Buch ist erstklassig gestaltet. Passend zum Puzzle, das die Fotografie auslegt, zieht auch das Design von Andreas Töpfer so ziemlich alle Register, die man sich vorstellen kann: Material, Farbe, Oberfläche, Grammatur der Pappen und Papiere variieren, ebenso wie Bildgrößen, -anschnitte und -farben. Kein anderes unter den hunderten Titeln, die in den Wettbewerb gestartet sind, wagt es, eine solche Bandbreite an gestalterischen Mitteln einzusetzen. Und, das Design schafft, was die Fotografie vormacht: Einen wilden Mix nicht zu nervigem Durcheinander verkommen zu lassen, sondern daraus eine stimmige, knallvitale Mischung zu machen. Olaf Unverzart: „Dieses Buch ist meiner Großmutter gewidmet. Sie ist 93 Jahre alt. Sie hatte nie einen Führerschein und ist noch nie im Leben geflogen.“

Mehr über ihn auf Olaf Unverzarts Website.

Buchtitel Mitch Epstein - American Power

Ebenfalls Gold:  [amazon 3865219241]American Power[/amazon] von Mitch Epstein, erschienen bei Steidl in Göttingen. Die Jury:

Der US-Amerikaner Mitch Epstein ist ein meisterhafter Dokumentarist, der schon etliche Projekte realisiert hat, die viel aussagen über den Zustand gegenwärtiger Gesellschaften. Mit diesem Buch über Energiegewinnung, Energieverbrauch und deren Folgen in den USA ist ihm das ein weiteres Mal gelungen. Wer denkt, dass Fotos nur die Oberfläche der Dinge wiedergeben, wird hier eines Anderen belehrt. Epstein betreibt Soziologie, Landeskunde und politische Analyse mit visuellen Mitteln. Seine Bilder erlauben tiefe Einblicke in Zusammenhänge, die Schicksalsfragen nicht nur der USA, sondern der ganzen Welt sind. Wobei die Verhältnisse im Inneren der Supermacht sehr spezielle sind. Epsteins Arbeit am Energie-Projekt fiel zusammen mit der zweiten Amtszeit von George W. Bush, und mehr als einmal erlebte er Unfassbares im Land der Freiheit.
In Shippingport, Pennsylvania, eskortierte ihn der Sheriff persönlich zur Stadt hinaus – ein Passant hatte die Polizei gerufen, weil er Epsteins Stativ für einen Raketenwerfer hielt. Der Sheriff erkannte zwar den Irrtum, nicht aber jedermanns Recht, von öffentlichem Grund aus ein Foto der Kohlenhalde zu machen, die in der Stadt liegt.
In Raymond City, West Virginia, wollte Epstein vom Bürgersteig aus ein Kohlekraftwerk fotografieren. Innerhalb weniger Minuten erschienen insgesamt sechs Einsatzfahrzeuge von Polizei und FBI, Epstein wurde zwei Stunden lang verhört, und ein FBI-Mann sagte ihm: „Wenn Sie Moslem wären, würden wir Sie in Handschellen einlochen.“
Epstein hatte nichts nur entfernt Ungesetzliches getan, doch als er seinen Anwalt um Argumente gegen weitere Polizeiübergriffe bat, antwortete der: „Lassen Sie sich um keinen Preis der Welt verhaften. Es könnte sehr schwer werden, Sie wieder rauszuholen.“ Weitere surreale Stationen von Epsteins Recherchen: Im Pentagon fand er ein Solarzellen-Programm, im Energieministerium dagegen eine Atomrakete. Große öffentliche Wahlveranstaltungen der Republikaner (im Exel Energie-Zentrum) und der Demokraten (gesponsort von der Kohle-Industrie) blieben ihm verschlossen, weil ein unabhängiger Fotograf beiden Veranstaltern verdächtig schien. Mitch Epsteins Arbeit ist ein Appell an jeden Betrachter, und dieser Appell lautet: Schau genau hin, in welchen Zustand du die Welt bringst – und dann tu was!

Buchtitel - Martin Liebscher: Einer für alle

Auch Gold, aber mit schlappen 248 Euro ein dicker, großformatiger Fisch selbst unter den gewöhnlich nicht billigen Bildbänden: [amazon 3775722513]Einer für Alle[/amazon] von Martin Liebscher, erschienen bei Hatje Cantz. Begründung:

Sie kennen Liebscher nicht? Das ist der Mann, der sich selbst auf eine Weise genügt, die radikaler nicht sein könnte. Denn eigentlich kommt in Liebschers Welt niemand vor als er selber. Konsequenterweise hieß ein früheres Buch, „Liebschers Welt“. Nun aber dieser Schock: das aktuelle Werk trägt den geradezu krankhaft bescheidenen Titel „Einer für alle“. Gibt er auf? Verabschiedet Liebscher das Programm der Liebscherschen Omnipäsenz? Er hat also auch mit diesem aktuellen Buch sein Thema beibehalten – sich selbst. Der besondere Charme dieser aktuellen Publikation liegt im Format. „Liebschers Welt“ war noch putzig klein, eine Seite nicht mal DIN-A-4. „Einer für alle“ ist so groß, dass es nicht nur beim Reproduzieren im Fotostudio eng wurde. Gemessen an den Ausstellungsprints, die Liebscher in Umlauf bringt, ist aber selbst dieses Buch nur eine bessere Briefmarke – die Künstlerprints für die Wand sind bis zu viereinhalb Meter breit.
Da kann man also gespannt sein, welche Dimensionen das Ego von Martin Liebscher als nächstes anstrebt, denkbar wäre ja zum Beispiel, dass sein Abbild die Freiheitsstatue ersetzt, oder dass er sein Profil in Backstein von ein paar Millionen chinesischer Arbeiter in der Wüste Gobi anfertigen lässt – vom Mond aus sollte es mindestens erkennbar sein.

Buchtitel - Eib Eibelshäuser: Fotografische Lichtgestelung

Unter den Sachbüchern erhielt dieses das Prädikat Gold: [amazon 3898644901]Fotografische Lichtgestaltung[/amazon] von Eib Eibelshäuser, erschienen im dpunkt Verlag. Auch hier die Begründung der Jury:

In klaren Worten unterstützt von einer ebenso klaren Grafik und passenden Bildbeispielen, lotst Eib Eibelhäusers Buch den interessierten Amateur oder auch die Studenten gestalterischer Fächer durch Historie und Gegenwart des Themas. Da erfährt man beispielsweise, wie die Zeitgenossen des berühmten Pariser Portraitisten Nadar in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts vor dessen elektrisch erleuchteten Atelierfenstern raunten: „Jetzt fotografiert er wieder mit seiner künstlichen Sonne!“ Oder wie der britische Chemiker John Moule 1857 eine künstliche Lichtquelle aus Schwefel, Salpeter und Arsen baute. Zu jener Zeit hielt sich die Begeisterung in engen Grenzen, wenn in Innenräumen mal wieder ein Lichtbild der versammelten Gesellschaft gemacht werden sollte – es muss bestialisch gequalmt und gestunken haben…
Heute dagegen kämpfen Fotografen eher mit Energiesparlampen. Wenn man in deren Licht jemanden porträtiert, dann ergibt das einen Hautton, der so gesund wirkt wie – sagen wir – bei einer gut abgelagerten Mumie. All dies, und noch viel mehr, erklärt Eib Eibelshäuser, und er vergisst auch nicht zu erwähnen, welches für die meisten fotografischen Zwecke das beste Licht ist: das von Mutter Sonne.

Nick Brandts Buch „Schatten über der Wildnis“, auf das wir hier bei fokussiert.com kürzlich hingewiesen hatten, erhielt übrigens ein silbernes Prädikat. Siehe Beitrag Nick Brandt: Ostafrikas Tiere. Mehr über die ausgezeichneten Bücher auf der Website des Deutschen Fotobuchpreises.

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Eib Eibelshäuser

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  1. […] Auf Olaf Unverzarts schöner, gezeichneter Website (Flash!) finden wir seine Arbeiten auf einer imaginären Landkarte verstreut. Mit seinem Buch Sans moi wurde er 2006 mit dem Deutschen Fotobuchpreis ausgezeichnet (aktuell nicht erhältlich). 1972 in Waldmünchen geboren, hatte Unverzart an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert und mit dem Diplom „Künstlerische Fotografie“ bei Joachim Brohm abgeschlossen. Seit 2006 ist er Dozent an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg. Bekannt wurde Unverzart auch als regelmäßiger Bildkolumnist im ZeitMagazin. 2009 bekam er erneut einen Deutschen Fotobuchpreis in Gold – und zwar für sein Buch Leichtes Gepäck (Affiliate-Link) . Das Buch haben wir zusammen mit den anderen Siegertiteln bei fokussiert.com schon einmal vorgestellt: Deutsche Fotobuchspitze. […]

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