Fotograf sein (2/2): Wieviele Bilder machen den Profi?

Fotograf ist man nicht, nur weil man eine Kamera besitzt. Das Buch „On Being a Photographer“ – „Fotograf sein“ – Stellt Fragen und gibt Antworten.

Bill Jay und David Hurn verbringen sehr viel Zeit mit der Frage, warum auf der einen Seite Profis so viele Aufnahmen machen, warum das aber auf der anderen Seite ein Zeichen sein kann, daß der Fotograf seine Sache nicht gut macht.

Mich persönlich hat der Gedanke anfangs verwirrt, aber schliesslich läuft alles darauf hinaus, daß der Profi trotz sorgfältiger Vorbereitung immer noch sicherstellen muß, daß er das Bild getroffen hat, während die anderen drauflos knipsen in der Hoffnung, daß irgendetwas hängen bleibt.

Das klingt wieder am Ende des Buches mit, als Hurn seine Zweifel hinsichtlich digitaler Fotografie erklärt. Es ist eine übliche Kritik an digitaler Fotografie, daß genau dieses Drauflosknipsen gefördert wird. Jeder ist ein Fotograf, wenn er nur genug Bilder schießt, um mit „irgendetwas“ nach Hause zu kommen. Wie oft hat man schon gehört, irgendein Foto sei „zufällig“ entstanden?

[box width=50 align=“right“]On Being a Photographer


„On Being a Photographer“ von David Hurn (Affiliate-Link) wird von LensWork Publishing als Teil einer Serie zum Thema „Photography & the Creative Process“ („Fotografie und Kreatives Arbeiten“) auf Englisch herausgegeben. 145 Seiten, $12.95 plus Versand. [/box]

Auf der anderen Seite muß ich aus eigener Erfahrung sagen, daß ich auch oder trotz meiner Digitalkamera die Anzahl der Aufnahmen zurückgeschraubt habe, wie David mehrfach betont, und zwar aus dem einfachen Grund, daß ich nicht die Zeit habe, mittelmäßige Fotos aufzupolieren. Photoshop ist der letzte Schritt in einem guten Foto, nicht seine Erschaffung oder Rettung. Letztendlich entstehen großartige Fotos durch gute Planung. Auch solche, die nur „gut“ sind, und es ist wirklich egal, ob sie auf Film oder Speicherkarte festgehalten wurden.

Steve McCurry nähte seine Filme ein die Kleidung ein, als er in Afghanistan unter anderem dieses Bild schoss.

Analog vs. Digital

Dieses Buch ist in analoger Fotografie verwurzelt, einem Gebiet, das ich selbst nie voll erforscht habe, weil ich primär mit Digitalkameras arbeite, von dem ich aber überzeugt bin, daß man ein gewisses Grundverständnis besitzen sollte. Wenn nicht, um ein abgerundetes Bild des Feldes zu bekommen, so doch wenigstens, um die Kontroversen zu verstehen, die sich um solche Fragen entwickelt haben wie die, ob Digital als Medium Fotografie von sich selbst weg entwickelt hat, und ob digitale Fotografie überhaupt noch akurat und ehrlich Wirklichkeit festhalten kann.

Nichtsdestoweniger war das ganze Kapitel zu dem Thema nur relativ relevant für mich, weil sich der analoge Arbeitsablauf vom digitalen so wesentlich unterscheidet. Ich entschied mich deshalb dafür, das Wesentliche dessen, was Hurn zum Ausdruck bringen will, zu beherzigen. Was er mit den Kontaktabzügen wirklich tut, ist, organisiert zu arbeiten, die besten Fotos sorgfältig auszuwählen, Regeln für Namensgebung und ein Sortiersystem zu schaffen, die auch noch nach Jahren Sinn machen.

How to: Fotoessays

Wovon ich mehr hatte, war das Kaptitel über Fotoessays. Mir wurde klar, daß ich instinktiv schon immer so vorgegangen war, als ich den Satz las, man solle erst einmal sein Thema durch und durch erforschen und eine Liste mit Aufnahmen erstellen, die ein abgerundetes Bild ergeben, um eine bedeutungsvolle Serie zu schaffen. Womit ich nicht übereinstimme ist die Behauptung, daß die Fotoserie, wenn man nicht so planmäßig vorgeht, notwendigerweise chaotisch ausfallen wird und sich nur um einen visuellen Moment schart, anstatt das Thema gründlich und von allen Seiten zu erforschen.

Ein Teil des Genusses, einen fremden Ort zu erlaufen, ist für mich auch, ihn mir visuell zu erschließen. Ich reagiere gewissermaßen mit meiner Kamera auf das, was ich sehe. Für mich macht das den Reiz etwa von Straßenfotografie aus, wenn ich auch zugeben muß, daß eine Kenntnis des Ortes das Entstehen guter Bilder wahrscheinlicher macht. Spontaneität heißt aber auch für mich nicht, daß einfach drauflos geknipst werden sollte. Die Anzahl der Aufnahmen ist nicht für sich allein wichtig – sie muß Sinn machen.

Fotografie – gute Fotografie – ist harte Arbeit, und ein bestimmter Fokus auf etwas hilft, die eigenen Fähigkeiten zu verbessern. Für Hurn ist es sehr wichtig, das richtige Handwerkszeug für den Job dabeizuhaben, von der eigenen Kleidung bis zur Kamera. Für die Art Fotografie, für die er bekannt ist (Dokumentarfotografie) ist er gerne mit so wenig Gepäck wie möglich unterwegs, aber auch darauf bedacht, mit seiner Umgebung zu verschmelzen.

Das macht eigentlich Sinn, und andere bekannte Fotografen haben sich schon entsprechend geäußert. So etwa Steve McCurry, bekannt durch seine Aufnahmen aus Indien und Afghanistan, die er für den National Geographic gemacht hat, der sagte, wenn man sich die Zeit nehme, mit seiner Umgebung zu verschmelzen, bekomme man erst den unbeobachteten Moment geboten, da die Leute sich nicht bewußt sind, daß sie überhaupt fotografiert werden.

Zukunft der Fotografie als Medium

Das vorletzte Kapitel von „On being a Photographer“ ist der Zukunft des Mediums gewidmet. Zur Zeit der Veröffentlichung, 1995, waren sowohl digitale Fotografie als auch das Internet noch in ihren Kinderschuhen, und das läßt das ganze Kapitel aus heutiger Sicht veraltet erscheinen. Insbesondere Aussagen wie die, daß es für Fotografen nicht von Vorteil sei, eine Internetpräsenz zu haben oder die Behauptung, daß Fotografie in ihrer analogen Form so viel technische Expertise braucht (was etwa Fotografen wie Lee Friedlander berühmt gemacht hat), daß digitale Fotografie dem nie das Wasser reichen könnte.

Ich persönlich finde, daß nur weil das Medium jetzt voll elektronisch ist, es nicht einfacher geworden ist, gute Bilder zu schießen. Meines Erachtens ist das Gegenteil der Fall. Weil jeder mitterlweile eine Digitalkamera besitzt und sich selbst deshalb für einen (Profi-)Fotografen hält (man denke etwa an die Tante, die anstatt des Hochzeitsfotografen die Hochzeit fotografiert), ist es wesentlich schwieriger,

  • ein Thema zu finden, das noch nicht zu Tode fotografiert worden ist, und
  • innerhalb dieses Themas bedeutsame Ideen und Sichtweisen zu finden, die noch nicht erforscht worden sind, wie auch
  • sie dann anderen auf neue Weise nahezubringen, obwohl wir alle mit Bildern und anderen visuellen Reizen regelmäßig überflutet werden.

Kann man heutzutage eigentlich noch wirklich Einzigartiges schaffen?

Meine Schlußfolgerung war, daß es heutzutage aus diesem Grund noch viel wichtiger ist, eigene und einzigartige Ideen zu entwickeln, und am Ball zu bleiben. Photoshop kann ein mittelmäßiges Foto nicht besser machen, einen schlechten Schnappschuß nicht „retten“, indem er digital durch die Photoshopfiltermangel gedreht wird. Die zwei fundamentalen Entscheidungen, die David Hurn am Anfang des Buches erwähnt – wo man steht, und wann man auf dem Auslöser drückt, sind immer noch dieselben.

Von den besten lernen

Im letzten Kapitel versuchen Jay und Hurn, ein paar weitverbreitete Fehlvorstellungen und Fotografie-Mythen zu entkräften. Etwa die, daß viele Fotografen denken, sie seien die besten Editoren ihrer eigenen Arbeit. Die beiden interessantesten Mythen waren die, daß für Fotografie nur Talent und Instinkt notwendig sind, und daß ein Thema, das bereits angegangen wurde, sich nicht mehr lohnt.

Ich bin ebenfalls der Meinung, daß Fotografie erst nach Jahren wirklich gemeistert werden kann. Wenn ich mir meine ersten Versuche anschaue, kann ich nicht glauben, daß ich sie damals für gute Bilder gehalten habe. Letztlich haben sie aber trotzdem einen bestimmten Wert, wie auch David Hurn feststellt, nämlich als wichtiger Schritt meiner fotografischen Entwicklung – und als solche würde ich sie nie einfach so wegwerfen. Etwas war an ihnen, das mich weitermachen ließ.

Ich denke auch, daß man, wenn man etwas sucht, das noch nie mit einer Kamera erforscht wurde, das Fotografieren auch gleich lassen kann. Ich habe einmal irgendwo gelesen, daß alle Musik bereits irgendwie komponiert worden sei, und daß aus diesem Grund nichts, was noch komponiert werden wird, wirklich einzigartig sein könne. Meines Erachtens stimmt das für Fotografie auch, aber es bedeutet nicht, daß man sich nicht irgendwie einbringen kann. Man lerne von den besten, eigne sich ihre Ideen an und forme sie neu.

Oder in David Hurns Worten: Fotografen jeglichen Temperaments, die gesamte verfügbaren Kameraformate benutzend, könnten schneller bessere Fotografen werden, wenn sie sich die gemeinsamen Nenner der Bilder, Ideen und Lebensläufe der Besten des Feldes zu eigen machen würden.

Das ist ein Grund, warum ich Fotobücher sammle.

[amazon 1888803061]On Being A Photographer: A Practical Guide[/amazon] – David Hurn, Bill Jay, LensWork, nur Englisch.

[postlist „and“ „David Hurn“ „On Being a Photographer“]

6 Kommentare
  1. Julian K.
    Julian K. sagte:

    Das mit den vielen Fotos stimmt leider wirklich. Was man immer wieder schmerzlich an Diashow-Abenden bei Verwandten aus dem Urlaub erfahren muss.
    Was aber für mich der Reiz am Digitalen ist, dass ich die Möglichkeit habe zu überprüfen ob ich einigermaßen richtig liege. Auch wenn ich absoluter Laie bin, versuche ich verschiedene Perspektiven/Kameraeinstellungen. Bis ich zu hause ankomme sind aber meistens nur noch 1/3 der Frames auf der Speicherkarte.
    Wird in dem Buch auch darüber gesprochen wie lange man braucht ein bestimmtes Motiv zu schießen, oder das es manchmal einfach klappt? Ich brauche oft lange und viele Versuche um an mein Ziel zu kommen und manchmal gebe ich auch entnervt auf.

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    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Ich lasse generell alle Fotos auf der Karte, bis ich am Rechner in Lightroom die Gelegenheit habe, sie wirklich in Ruhe anzusehen. In dem Buch spricht er die Frage, die Du hier stellst eigentlich so an, daß er beschreibt, wie man ein Projekt planen sollte, etwa, einen Markttag zu schießen.

      Was Fotografie so spannend und frustrierend macht, sind ja eben die vielen Möglichkeiten. Ich bin auch Autodidaktin und stolz darauf. Nicht aufgeben!! Das wichtigste ist, dran zu bleiben und aus den eigenen Fehlern zu lernen. Außerdem solltest Du Dir so viele „Profi“-Bilder ansehen zu dem Thema, das Du fotografieren willst, wie es geht. Das heißt nicht, die Leute zu kopieren, sondern von den Meistern des Faches etwas lernen. Hast Du Deine Bilder irgendwo online? Täte ich mir gerne mal ansehen.

  2. apollus
    apollus sagte:

    Hallo rollad, ich habe – wahrscheinlich wie die meisten hier – auch vor langer Zeit als Laie angefangen. Aber wenn du wirklich Interesse am Fotografien hast wirst du sehen, dass du nicht mehr davon wegkommst und Stück für Stück mehr in die Technik eindringst. Du wirst auf deine Erfolge stolz sein.

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  3. Chris
    Chris sagte:

    Eben, ich fotografiere auch aus Leidenschaft. Auch wenn die Ausrüstung jedes Jahr schwerer und die Wege manchmal weiter und höher werden. Bisher war mir dafür noch kein Berg zu hoch und kein Weg zu weit oder zu umständlich (Abgesehen vom Mt. Everest und dem Mond, aber das ist was anderes *lach*) Neue Dinge zu entdecken, mit dem Licht zu spielen und damit etwas neues zu schaffen bereitet mir eine Menge Spaß und das macht für mich die Fotografie aus. Ich bin draußen, genieße die Ruhe, habe keinen Stress, kein Berufsverkehr, keiner der mir sagt wie ich was zu tun habe – da kann ich entspannen.

    Später dann das Bild auf A3, A2 oder A1 an der Wand hängen zu haben ist dann das I-Tüpfelchen auf der Sahne oben drauf.

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  4. rollad
    rollad sagte:

    Ist es denn nicht wichtig, dass fotografieren einfach nur Spass macht? Und dazu muss man doch, so wie ich, nicht unbedingt ein Profi sein. Natürlich, auch ich lerne immer noch dazu und bin für solche Anregungen dankbar, aber manchmal bin ich so überfordert, dass das fotografieren nicht mehr den unbefangenen Spass macht. Und den kann man auch als Laie haben.

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    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Chris sagts ja grade weiter unten: Eigentlich geht es hier nur um die Leidenschaft. Wenn Du Ansprüche an Dich hast, wirst Du Dich überfordern – die Kunst dabei ist, darunter nicht zu leiden, sondern sich an dem zu erfreuen, was man geschafft, erlebt und gelernt hat.

      Für Profis sieht die Geschichte natürlich wieder anders aus, aber dort gesellt sich ein wirtschaftlicher Druck dazu, von dem die beiden Grössen, die dieses Buch zusammen verfasst haben, wohl nicht mehr sprechen.

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