Fotografen im Fokus: Marcus Leusch

In Zeiten, in denen alles gemessen und vermessen wird, ist „Haltung“ wahrscheinlich das Wichtigste, was man zu einem Fototermin und auf privaten Erkundungen dabei haben sollte. Marcus Leusch macht es vor.

Selbstporträt - (c) Marcus Leusch

Selbstporträt – (c) Marcus Leusch

Name: Marcus Leusch

Wohnort: Mainz

Biografisches:

Geboren in einer kleinen Moselgemeinde, die mit „Alf“, dem katzenverschlingenden US-Fernsehstar aus Kunststoff den Namen gemein hat, weswegen die hiesigen Ortsschilder oft geklaut wurden. Aufgewachsen im Traum, Studium (selige Freidenkerei), Zeitschriftenredakteur, seit 2006 Vogelfrei im Universum: als freier Journalist, Texter, Ghostwriter (nur hinter vorgehaltender Hand, und also ein durchaus undankbarer Job!) und gelegentlich auch fotografisch unterwegs, verlangt und unverlangt, wofür ich dankbar bin). Straßenfotografie seit den 1980er Jahren,  Portraitarbeiten seit 2010 …

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Ich fotografiere seit meiner Kindheit in den 1970er Jahren. Angefangen hat es mit einer preiswerten Kodak mit Fixfokusobjektiv, das man lediglich auf „Sonne“  oder „Bewölkt“ verstellen konnte. Die belichtete Filmkasette trug man beflissen zum Fotohändler und füllte so mit den Prints nach und nach seine Fotoalben, die heute vor sich hinstauben. … Mit 17 gab es dann Phasen, in denen ich stundenlang in einer Dunkelkammer im elterlichen Haus versackte, Filme entwickelte, Negative ausbelichtete und staunend dem Wunder der Bildwerdung im Entwicklerbad zusah …

"Endspiel", 2010 - (c) Marcus Leusch

„Endspiel“, 2010 – (c) Marcus Leusch

Bevorzugte Ausrüstung:

Mir fällt dazu eine Anekdote aus dem Leben von Helmut Newton ein, die kolportiert wird: In einem Restaurant wird der berühmte Fotograf vom Koch des Hauses angesprochen: „ Ihre Fotos gefallen mir, Sie haben bestimmt eine gute Kamera.“ … Newton nach dem Essen zum Koch: „Das Essen war vorzüglich, Sie haben bestimmt gute Töpfe.“

Nun also zur „Hardware“, was hier nun hoffentlich nicht mehr ganz so ernst genommen werden kann: Leica M6 (analog): Meine Schule des unauffälligen Fotografierens mit den einfachsten Mitteln Blende, Belichtungszeit und Filmempfindlichkeit/Nikon D700: trotz relativ „geringer“ Auflösung immer noch eine meiner „Schnulzen“. Dazu gehören Objektive zwischen 15mm und 135mm, vorwiegend Festbrennweiten,  von denen mich einige nun schon 20 bis 30 Jahre begleiten – und in Punkto Wertigkeit und Bildqualität noch nie im Stich gelassen haben.

Ich bin nicht in Pixel verliebt und glaube auch nicht an den Schärfewahn, der so viele digitale Aufnahmen geradezu antiseptisch gereinigt erscheinen lässt. Ich bin ein Kind des (analogen) 20. Jahrhunderts, aufgewachsen zwischen dem Charme von Schallplatten (mit heiligen Kratzern!), Telefonen mit wulstfingerfreundlicher Wählscheibe und Autos mit Seele, die man noch selbst reparieren (und manipulieren) konnte. … Insgesamt betrachtet, kommt es auf das Equipment gar nicht so wesentlich an, wenn man seine Kamera kennt, wenn man weiß, was man fotografieren möchte und wie.

In Zeiten, in denen alles gemessen und vermessen wird, beziehe ich diesen Hang zum technisch perfekten Bild nicht etwa bloß auf die Panorama-, Astro- und HDR-Mode (dazu bräuchte es schon einen eigenen Artikel), sondern ich meine das in einem eher grundsätzlichen Sinn, den man vielleicht mit „Haltung“ bezeichnen könnte. Sie ist wahrscheinlich das Wichtigste, was man zu einem Fototermin und auf privaten Erkundungen dabei haben sollte.

 

"Schöne neue Welt/EZB Frankfurt", 2014 - (c) Marcus Leusch

„Schöne neue Welt/EZB Frankfurt“, 2014 – (c) Marcus Leusch

Warum fotografierst Du?

Von dem amerikanischen Fotografen Gary Winogrand gibt es dazu eine verblüffend paradoxe Antwort: „I photograph to see what the world looks like in a photograph.“ Damit hat er sich sehr geschickt vor allen Diskussionen in Deckung gebracht, die seine Tätigkeit in Zweifel ziehen könnten – und Winogrand war und ist einer der „Großen“ (auch im Geschäft).

Ich halte mich lieber an solche Aussagen: „… a thing is not seen because it is visible, but conversely, visible because it is seen …“ („… Etwas wird nicht gesehen, weil es sichtbar ist, es ist im Gegenteil sichtbar, weil es gesehen wird …“). Das Zitat von Diane Arbus (mehr zur Fotografin bei Wikipedia) ist für mich im Lauf der Jahre zu einem Motto für meine eigenen fotografischen Arbeiten geworden. – Fotografie als bewusstseinserweiternde Droge? Vielleicht schon etwas davon. …

"Träumende", 2014 - (c) Marcus Leusch

„Träumende“, 2014 – (c) Marcus Leusch

Ist für Dich Fotografie Hobby oder Beruf?

Wenn ich wüsste, davon leben zu können, würde ich auf das geschriebene Wort, das nicht wirklich zu mir gehört, liebend gerne verzichten. Die Fotografie ist mir im Alltag dort eine Begleitung, wo mir die Worte nicht genügen oder fehlen. Andererseits stellt sich doch die Frage, was einen denn nun zu dem macht, was man einen „Fotografen“ nennt. Im landläufigen Sinne ist das ja eine Berufsbezeichnung mit Ausbildungswegen und Berufsverbänden. Die Künstler-Fotografen (Fine-Art)  bilden hier schon wieder eine ganz eigene Spezies mit eigenen Gruppierungen und Verbänden. Wie sich der Zeitgeist solchermaßen professionalisiert auf Plakatwänden, in Zeitungen und Zeitschriften, vor allem aber im Internet fotografisch selbst onamentiert, zeigt mir, dass dieses Medium doch überwiegend in einem Verwertungszusammenhang steht. Wir können das sehen, wenn wir durch eine Stadt laufen, wo uns an fast jeder Ecke Bildtapeten vom glanzvollen Schein des Käuflichen überzeugen möchten und selbst die Fotos vom Grauen (Krieg/aktuelles Flüchtlingsdrama) tragen ein Doppelgesicht, so notwendig sie auch sein mögen:  „Bad news are good news“, denn sie verkaufen sich besonders gut im täglichen Grundrauschen der Massenmedien.

Fotografien sind mithin (neben dem Film) die wirkmächtigsten Werkzeuge, wenn es darum geht, unsere Bedürfnisse, unsere Sinne im Wortsinn zu fesseln und zu entfesseln (vor allem in der Werbefotografie). Mir sind solche Fotografen die Nächsten, die uns fesseln, weil sie etwas zu sagen haben, die fotografieren, weil sie es aus einer inneren Neigung heraus einfach müssen. Altmodisch könnte man hier von „Berufung“ sprechen – ich finde das Wort keineswegs abgedroschen. Es gehört für mich zu dem, was ich oben mit „Haltung“ – sich selbst, seiner Zeit und seinen Zeitgenossen (den Nächsten und den Fernsten) gegenüber – gemeint habe. Insofern erscheint mir die Bezeichnung „Fotograf“ im landläufigen Sinne auch etwas absurd,  etwa so wie der Absolvent eines Philosophiestudiums längst kein Philosoph sein muss. Ich halte in diesem Zusammenhang eine Unterscheidung zwischen Profi und Amateur trotzdem für unabdingbar: Der Profi (und das ist nicht zwingend ein Berufsfotograf!) weiß, was er macht und mit welchen Mitteln, der Amateur arbeitet im besten Fall am Fingersatz, um auf der Klaviatur seines Mediums auch die rechten Töne treffen zu lernen.

 

"Allein unter Frauen", 2014 - (c) Marcus Leusch

„Allein unter Frauen“, 2014 – (c) Marcus Leusch

Fotografische Einflüsse:

Schon unsere Sprache besteht zu einem bedeutenden Anteil aus Bilden (Metaphern). Insofern liegen für mich einige Voraussetzungen für das fotografische Schaffen zunächst im eigenen Erleben von Bildern, die einen prägenden Einfluss haben, seien dies nun Sprachbilder, die unser Denken bewegen oder solche von vergangenen und aktuellen Begebenheiten (Kindheit, Jugend, Arbeitsumfeld, Reisen etc.), die durch uns hindurch wetterleuchten. Wie aus solchen Erlebnissen auch Erfahrungen werden, die später das Wie? und das Was? unserer fotografischen Neugierde bestimmen, ist wohl ein labyrinthischer Weg, den jeder selbst zu gehen hat. Jedes gute Bild weist aber bei genauer Betrachtung immer auch auf den Fotografen selbst zurück, im besten Fall zeigen sie eine individuelle Handschrift, die sich im Lauf der Jahre herauskristallisiert.

Anteil an diesem (fotografischen) Prozess haben natürlich auch solche Fotografen,  die einen in besonderer Weise angesprochen haben, weil sie auf einen „fruchtbaren“  Boden gefallen sind. In diesem Rahmen möchte ich nicht bloß die allseits bekannten Klassiker aufzählen: Clemens Kalischer, Saul Leiter, Josef Koudelka, Edouard Boubat, Konrad Rufus Müller, Roger Melis, Paul Strand, André Kertész, Jürgen Schadeberg etc. … Das ließe sich noch um einige Namen erweitern. Mir liegen besonders die ruhigen, unaufgeregten Bilder, die eine gewisse Vertrautheit mit dem fotografischen Gegenstand erkennen lassen, vorwiegend in Schwarz-Weiß und seit wenigen Jahren (dank Saul Leiter) auch in Farbe.

"Der Seilartist", 1996 - (c) Marcus Leusch

„Der Seilartist“, 1996 – (c) Marcus Leusch

Fotos, die mich repräsentieren:

Nun, davon gab es ja auf fokussiert schon einige Beispiele zu sehen. Für mich war dies immer eine Premiere, da ich dem Ausstellungsbetrieb – Wer zeigt heute schon Streetfotografien? – doch kaum etwas „Verkäufliches“ in die Waagschale werfen kann. Insofern bin ich dankbar, wenn hier überhaupt etwas von mir gezeigt wird.  Die präsentierten Bilder geben also einen bescheidenen Ausschnitt dessen, was mir wesentlich ist und auf diesen Seiten noch nicht erschienen ist: mal rein dokumentarisch, mal am Surrealen oder auch am Komischen des Alltags orientiert, mal eher auf der Spur des Bedrohlichen und seinen Rändern, schließlich auch einfach etwas Meditatives, bloß am Moment des vermeintlich Schönen orientiert. Zu jedem Foto gibt es auch einen Text, aber das würde hier zu weit führen. Die Aufnahmen sind zwischen 1982 und 2015 entstanden. Portraitarbeiten, die ich seit einiger Zeit mit einer Blitzanlage angefertigt habe, kann ich hier aus Gründen der Persönlichkeitsrechte leider nicht zeigen.

 

"Spuren" - (c) Marcus Leusch

„Spuren“, 2011 – (c) Marcus Leusch

"Kinderspiel", 2013 - (c) Marcus Leusch

„Kinderspiel“, 2013 – (c) Marcus Leusch

"Die Zeit geht", 2009 - (c) Marcus Leusch

„Die Zeit geht“, 2009 – (c) Marcus Leusch

"Down and out/Karneval, die Fünfte Jahreszeit", 2012 - (c) Marcus Leusch

„Down and out/Karneval, die Fünfte Jahreszeit“, 2012 – (c) Marcus Leusch

 

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5 Kommentare
  1. fherb
    fherb sagte:

    Marcus Leusch ist dem regelmäßigen Lesern dieser Seiten eigentlich ein Begriff. Vielen Dank, dass man nun hier seine Arbeit auch mal ein wenig konzentrierter sehen kann. Und gute Worte kann er auch finden. Meine Hochachtung!

    Antworten
  2. Marcus Leusch
    Marcus Leusch sagte:

    Herzlichen Dank für die Gelegenheit, etwas von mir auf diesen Seiten zu zeigen. Ich bin eigentlich kein Freund von solchen Einzelpräsentationen, zumal ich mir das ja nicht unbedingt verdient habe und gar nicht beurteilen mag, ob mein „Zeug“ auch vorzeigbar ist, das überlasse ich lieber anderen … 


    
@ Sofie
    
Das mit der „Haltung“ war übrigens gar nicht so vorbildhaft gemeint, wie es Dein Textanlauf suggerieren mag. Es ist lediglich eine sehr persönliche Sichtweise auf die Motivation zum Fotografieren, fernab von technischen Fragen und dem üblichen Geplänkel zum Equipment. 
Die Textkürzungen und die Auswahl der Fotos gehen o.k., auch wenn‘s hier und da etwas schmerzt. Schade nur, dass die Untertitel zu den Fotos nicht ebenso erscheinen. Vielleicht wichtig bei einem Bild wie dem von der Europäischen Zentralbank mit den Marionetten, das unter dem Motto „Schöne Neue Welt“ stand. Das Gebäude ist ja nicht für jeden gleichermaßen im Bildgedächtnis …

    Fühle mich insgesamt also geschmeichelt, was mir schon wieder einige „Bauchschmerzen“ bereitet, mit denen ich jetzt wohl leben muss … 



    LG
    Marcus


    Antworten
    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Ich habe einen „Lead“ gebraucht, und der Satz erschien mir prädestiniert. Wenn Du einen anderen Lead möchtest, bin ich Vorschlägen gegenüber offen.

      Die Bildunterschriften hab ich in der Eile schlicht vergessen, das habe ich jetzt nachgeholt.

      Was die Kürzungen angeht, so hatte ich mir ja vorher Dein OK eingeholt, und soviel habe ich ganz ehrlich nicht rausgenommen. Ich denke, der Beitrag ist auch so noch lang genug und repräsentiert Dich und Deine Fotos voll, oder? Und ich hätte Dich nicht gebeten, mit mir die Reihe „loszutreten“, wenn ich Deine Fotos nicht große Klasse fände. Also darauf einen Kümmerling, ja, und klopf Dir einfach selbst auf die Schulter. :)

    • Marcus Leusch
      Marcus Leusch sagte:

      Hey Sofie, ich beklage mich garnicht, ganz im Gegenteil!
      Ich hadere nur mit mir selbst, wie immer.
      An Stelle des Kümmerlings versuch ich’s
      mal mit einem netten Rotwein …

      Grüße
      Marcus

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