Fotokritik Wildes Wasser: Extremer Kontrast

Der Gegensatz von totaler Stille und Bewegung in einer Landschaftsaufnahme: Hier geht jemand hart an die Grenzen.

Landschaftsfotografie mit wildem Bach

Sony Alpha 7 2 Aufnahmedaten: 173s bei Blende 11 mit 16mm Brennweite und ISO 50 © Ralf Lehmann

Ralf Lehmann aus Dresden schreibt zu diesem Bild: Das Bild ist im vergangenen Sommer in Island entstanden (Hochland, in der Nähe der Bergkette „Kerlingarfjöll“), 173 Sekunden Belichtungszeit. Normalerweise wähle ich bei solch wilden Wasserfällen viel kürzere Belichtungszeiten, um die Bewegung nur ein wenig verwischen zu lassen. Hier kam aber zum Wasser ein in warmen Farben beleuchteter Himmel, so dass ich mich entschloss, auch den Zug der Wolken einzufangen. Hatte mir bei der gewählten Zeit sogar noch mehr sichtbare Wolkenbewegung erhofft. Das sedimentreiche Wasser ist nun sehr stark verwischt, was die hohe Durchflussmenge sichtbar macht. Habe versucht, eine spannende Blickführung zu finden, die Blume im Vordergrund setzt einen kleinen Farbpunkt in die sonst karge Landschaft.

Fast glaubt man, das Wasser in dieser Landschaftsfotografie bewege sich tatsächlich. Der Kontrast zwischen den scharfkantigen, knallhart fokussierten Felsen zu dem samtweichen Wasser und den wie Federn dahintreibenden Wolken könnte nicht stärker wirken.

Diese Farbfotografie ist jedenfalls mit Stativ in einer kargen Landschaft aufgenommen worden: Mehr als zweieinhalb Minuten Belichtungszeit bei stark herabgesetzter Empfindlichkeit haben das vom mitgeschwemmten Sand gelblich verfärbte Wasser nicht total, aber weitgehend in weiche Wellen aufgelöst. Umso härter wirken deshalb die scharfkantigen Felsen, durch die dieses wilde Gewässer fliesst: Gegensätze, die nun tatsächlich so nicht erwartet werden können, denn normalerweise schleift ein Bach oder ein Fluss ja auch ins Gelände ein, wobei die Uferzone abgerundet wird.

Vergösserung aus der Landschaftsaufnahme aus der Wüste

Ausschnitt, vergrösserung 1:4 : Schärfere Kanten kann es an einem Flusslauf nicht geben.

Umso härter, ja geradezu unreal wirken die harten Linien und Kanten und Spitzen vor allem in der linken Seite der Fotografie. Erklärbar ist das möglicherweise durch eine Flash-Flood, also ein plötzliches Auftreten des hohen Wasserdurchsatzes aufgrund von Regenfällen weiter weg und in höheren Lagen, wodurch ein „instant“-Wildbach entsteht, der viel Geschiebe mitbringt.

[premiumkritik]

Diese ganze Situation ist in dieser Aufnahme enthalten: Die Berge in der Ferne, von deren Schneeschmelze der Wasseransturm stammen könnte; die karge Landschaft hier unten, in der das weiche Gewässer eine ganz neue Situation schafft, und darüber der Himmel mit den fliegenden Wolken.

wildwasserdrittel wildwassergolden

Angesichts der nicht besonders interessanten Umgebung an Deinem Standort hast Du eine goldrichtige Entscheidung getroffen damit, dich auf den Gegensatz von Stillstand und Bewegung zu konzentrieren. Ich halte es auch für ideal, dass die Wolken nicht ganz so heftig bewegt sind wie das Wasser. So ergibt sich eine eindeutige Trennung von drei Geschwindigkeiten: Totaler, absoluter Stillstand ohne einen bewegten Grashalm; rasch fliessendes Wasser und gemächlich, aber sichtbar ziehende Wolken.

Was mich anfangs irritiert oder aber eben meinen Blick eingefangen hat, ist der ausgesprochen tiefe Winkel, mit dem Du die Wasseroberfläche oberhalb der kleinen Schwelle ins Bild bringst. Der Weitwinkel sorgt dafür, dass Du dennoch ausreichend Vordergrund im Bild hast.

Kompositorisch ist das eine gute Wahl, weil der Kontrast zwischen Weichheit und harter Kante am Bachoberlauf durch den perspektivischen Zusammenzug gestärkt wird. Die Wasserstreuung rechts und Links vom Hauptfluss am Wasserfall sorgt für den Detailreichtum, den die Aufnahme braucht, um dem Blick etwas zu geben, an dem er sich halten kann. Die Blume vorne in der Mitte ist für meinen Geschmack zu mittig. Aber sie erledigt einen ganz wesentlichen Job, den sonst nichts in diesem Bild übernimmt: Sie gibt uns einen Massstab für das Gewässer.

Ich habe die Blume in Lightroom kurzerhand verpflanzt, um zu zeigen, wie es mit einer leicht verschobenen Perspektive hätte aussehen können.

Fotografie aus der Wüste

Uferpartien mit angehobenen Tiefen, Blume versetzt, leichte Vignette.

Ausserdem habe ich die Seiten der Kluft, in der das Wasser fliesst, durch Anheben der Tiefen aufgehellt – und war ganz erstaunt, wieviel spannende Zeichnung dabei zum Vorschein kam, die dem Bild gut tut und dem bewegten Wasser keinen Abbruch. Zuletzt habe ich die Farbkontraste leicht angehoben und eine ganz leichte Vignette eingefügt. Alles in allem eine spannende Fotografie, welche jegliche Ablenkung weglässt und das Motiv auf das Maximum reduziert.

7 Kommentare
  1. Tilman
    Tilman sagte:

    Nur eine kleine Bemerkung zu Dierk. Vielen Dank für Deine Anregung. Ich habe daraufhin dieses Technik, ich glaube das nennt sich photo stacking, einmal mit meiner Kamera ausprobiert (eine Fuji). 60 Einzelbilder automatisch aufgenommen mit einer Frequenz von 1s, und in der Bearbeitung zunächst Ausrichtung (das Stativ hatte wegen dem Wind geschwankt) und dann Mittelwertbildung. Klappt super. Ob dieser Effekt mir gefällt, ist eine andere Frage.

    Antworten
    • dierk
      dierk sagte:

      Hallo Tilman,
      das Ergebnis geht doch auch in diese Richtung, es müsste vielleicht noch etwas im Vordergrund sein, z.B. im Wasser (und natürlich in S/W :-) ).
      Wenn ich es richtig verstehe, hast du 60 einzelne Bilder aufgenommen und die in PS verarbeitet?
      photo stacking kenne ich in Zusammenhang mit der Erweiterung der Schärfentiefe. Für so etwas habe ich es noch nie benutzt.

      Bei meinen Beispielen habe ich es wie gesagt mit einer App direkt in der Kamera gemacht (machen lassen) und habe dann als Ergebnis nur ein Bild.

      Dazu habe ich einen link zu einer Seite mit tollen Beispielen:
      http://www.vulturelabs.photography/longexposuregallery

      VG
      dierk

  2. Ralf Lehmann
    Ralf Lehmann sagte:

    Hallo Peter,
    vielen Dank für den ausführlichen Kommentar (bitte entschuldige die späte Antwort, war unterwegs und dabei offline)!
    Deine Hinweise nehme ich gern auf. Das Aufhellen einiger Bildbereiche ist eine gute Idee. Die Blume hatte ich bei der Aufnahme genau in die MItte „gerückt“, um weitere Spannung in den Aufbau zu bringen. Ihre Position ist sicherlich Geschmackssache, mit „Blume rechts“ gefällt’s mir auch sehr gut.
    Die scharfen Kanten schreibe ich der Härte des Basaltgesteins zu. Hochwasser herrschte zum Aufnahmezeitpunkt eher nicht, der Höhepunkt der Schneeschmelze lag sicher auch schon eine Weile zurück.
    Viele Grüße
    Ralf

    Antworten
  3. dierk
    dierk sagte:

    Hallo Ralf,
    Peter hat von der Blume bis zu den Wolken eigentlich alles gesagt, was man dazu sagen kann.
    Traumhafte Bilder habe ich auf deiner HP gesehen!

    Ich möchte einen technischen Hinweis geben, der dir sicher bekannt ist.
    Es gibt für die Sony Kameras sehr viele Apps, die in die Kamera geladen werden können. Unter anderem auch welche, die mit vielen Einzelbildern, die in der Kamera zusammengeführt werden, den Effekt von Langzeitbelichtung erreichen. Damit kann man bei hellem Sonnenlicht und kurzen Belichtungszeiten den hier gezeigten Effekt erreichen. Dafür braucht man natürlich auch keinen ND Filter und kann mit jedem beliebigen Objektiv fotografieren (z.B. mit Fish Eye, auf das kein Filter passt).

    Hier ist der link zu PlayMemories:
    https://www.playmemoriescameraapps.com/portal/usbdetail.php?eid=IS9104-NPIA09014_00-000011

    Daraus eine kurze Beschreibung:
    ………Die App „Glatte Spiegelung“ schafft fantastische Langzeitbelichtungseffekte ohne einen angebrachten ND-Filter, indem sie eine Reihe von aufeinander folgenden Aufnahmen in ein Foto vereint. Die fünf Voreinstellungen erlauben es Ihnen, Ihre Aufnahme zur Szene schnell maßzuschneidern………

    Es geht meine ich nur mit JPG.

    Ich füge 2 Bilder an, die ich damit gemacht habe.
    App „Smooth Reflection“, Sony A7R mit Leica Super-Elmar-M 21mm and ND 3.0
    Belichtungszeit pro Bild 6 sec. (ND Filter!), f/11, 64 Einzelbilder

    Antworten
    • dierk
      dierk sagte:

      hier ist das zweite Bild, dieses ohne ND Filter

      die gleich App, Sony A7R mit Sony 16-35mm Vario-Tessar T FE F4 ZA OSS
      Belichtungszeit pro Bild 1/400 sec., f/8, 94 Einzelbilder

      Der Verschluss der A7R ist nur mit 150.000 angegeben, da hört es sich schon etwas unangenehm an, wenn er für ein Bild so oft klickt :-(

    • Ralf Lehmann
      Ralf Lehmann sagte:

      Hallo Dierk,
      herzlichen Dank für Deine Hinweise (sorry – etwas spät, war einige Zeit offline)!
      Die Beschäftigung mit den Kamera-Apps steht schon länger auf meiner „Wunschliste“. Wenn gute Ergebnisse entstehen, spricht für mich nichts gegen ihre Verwendung. Ein RAW hat man im von Dir beschriebenen Fall sicher nicht, aber auch das ist nicht wirklich ein Problem.
      Deine Bildbeispiele sehen sehr vielversprechend aus!
      Viele Grüße
      Ralf

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