Grosses Kino: Ein paar Tricks machen Hollywood

Der Mix von richtigen Zutaten: Wenige Farben, passender Bildschnitt und einige Menschen an den richtigen Stellen. Schon entstehen Bilder wie im Hollywood-Kino.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Johannes Siglär).

Kommentar des Fotografen:

Das Leben ist voller Überraschungen! Diese Tatsache mache ich mir beim Fotografieren zunutze, d.h. ich plane nur sehr selten im voraus, was ich wann wie aufnehme. Und so ist auch dieses Bild ein Zufallsprodukt: Wir – das sind meine Frau und unsere drei Kinder – machten gerade ein Picknick auf einer herrlichen Herbstwiese, als mir plötzlich ein Mann auffiel, der mit seinem Lenkdrachen wahre Wunder vollbrachte. Natürlich ist auch unser Sohn gleich aufgesprungen. Und als er so im Gras kniete und das Spektakel mitverfolgte, liefen plötzlich Bilder aus dem Kino vor meinem inneren Auge ab. Da konnte ich einfach nicht anders als abdrücken… Ich hoffe, die Faszination, die er in diesen Momenten verspürt hat, wird durch das Foto ein klein wenig greifbar.

Profi Robert Kneschke meint zum Bild von Johannes Siglär:

Grosses Kino. Das war mein erster Gedanke, als ich das Foto sah. Zum einen natürlich wegen des Breitbild-Formats und der geringen Tiefenschärfe, was an Kinofilme erinnert. Auch die Tonung der Farben erinnert mich an ältere Hollywood-Filme. Dazu kommt, dass die Geschichte auf dem Bild erkennbar ist.

Auch wer sich den Kommentar des Fotografen Johannes Siglär nicht durchgelesen hat und obwohl das Gesicht des Kindes nicht zu sehen ist, werden viele ahnen können, was das Kind gerade denkt und fühlt. Eine Mischung aus Begeisterung, Neid, Faszination, Staunen und „Ich will auch mal!“.

Optisch wird diese Geschichte durch die Bildtechnik und die Komposition unterstützt. Die tiefe Kameraposition lässt einen den Blick eines kleinen Kindes einnehmen, dem die hohen Gräser fast wie ein Urwald erscheinen. Der (fast) rote Drache oben fällt sofort ins Blickfeld. Der Junge im Vordergrund ist das größte Element im Bild und fällt mit seinem roten T-Shirt als zweites ins Auge. Dann geht der Blick zurück zum Drachen und die Schnur entlang zum Mann, der den Drachen lenkt: Drache – Junge – Drache – Mann. Genau das ist die Reihenfolge, mit der die Geschichte erzählt wird.

Wenn man es nicht zu genau nimmt, beschränkt sich das Bild auf die drei Grundfarben Gelb, Blau und Rot, die sich gut im Bild verteilen: Blau oben, Gelb unten und Rot als Farbkleckse für die Aufmerksamkeit.

Übrigens wäre es hier wieder mit Photoshop leicht möglich, das Bild zu verändern. Ich habe lange überlegt, ob ich mein Beispiel zeigen soll, da es die ursprüngliche Version stark verändert. Ich habe mich letztendlich dafür entschieden, weil ich finde, dass auch die zweite Variante ihre Berechtigung hätte. Der Unterschied ist, dass beim Original das Kind nur passiv ist, während es in der retuschierten Version mehr Kontrolle hat, der verträume Charakter des Bildes jedoch beibehalten wird.

Die Diskussion ist eröffnet...

Es gibt jedoch keinen zwingenden Grund für die Retusche, da schon das Ausgangsfoto ein sehr harmonisches Gesamtbild zeigt.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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4 Kommentare
  1. Philipp
    Philipp sagte:

    Tolle Bildidee, mir gefällt das Orginal aber besser, als die Bearbeitung. Wie sieht denn das ganze ohne Schwarzbalken aus? Also nur in Breitbild.

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  2. Johannes
    Johannes sagte:

    @ Robert: Vielen Dank für die lobenden Worte!

    @ martin: Danke! Ich habe das Bild übrigens wirklich mit einer lichtstarken Festbrennweite aufgenommen – auch wenn das Attribut „enorm“ übertrieben wäre: Nikkor 35mm f/1.8G (Details)

    @ Marcel: Ebenfalls vielen Dank! Ich bin ja in der Regel äußerst selbstkritisch, aber in diesem Fall bevorzuge ich auch meine eigene Version. Schon allein aus dem Grund, weil die technischen Fertigkeiten des Drachenlenkers eine große Faszination auf meinen Sohn ausgeübt haben. Und in der bearbeiteten Version geht genau dieses zentrale Element verloren…

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  3. Marcel
    Marcel sagte:

    Ich finde das Foto absolut klasse! Ein Favorit! Die Bearbeitung finde ich auch okay, fokussiert mehr auf den Jungen und isoliert die Szene mehr, aber so viel Arbeit ist nicht nötig, der Mann stört nicht wirklich und irgendwie fehlt im 2. Bild ja auch eher der Bezug zum Drachenlenker, das geht etwas verloren und der Drachen hängt irgendwie im Feld bzw. im Nichts. Insofern ist das Original für mich schon die beste und authentischere Variante.

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  4. martin
    martin sagte:

    Das Bild ist wirklich gelungen, Farben, Komposition, Stimmung, alles passt. Ein paar Informationen zum benutzten Objektiv wären interessant. Eine enorm lichtstarker WW kann es zu dieser Tageszeit wohl nicht gewesen sein, von daher schätze ich mal ein moderates Telezoom.

    Evtl. kann sich der Fotograf ja nochmal dazu äußern :).

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