Heinrich Zille: „Street Photography“ um 1900

Heinrich Zille, berühmter Zeichner des Berliner Milljöhs, würde heutzutage auf seine Visitenkarte vielleicht noch schreiben: Photographer. Er zeichnete die Hinterhöfe und Straßenszenen nicht nur, er fotografierte sie auch. Seine Fotos sind zusammen mit den Zeichnungen seit 11. Januar in der Berliner Akademie der Künste zu sehen.


Heinrich Zille: Frau mit ihrem Kind im Arm, August 1900

Anlass der Ausstellung ist Zilles 150. Geburtstag. Sie trägt den Titel „Kinder der Straße“ und stellt Heinrich Zilles sozialkritisches Werk in den Mittelpunkt. So gelten seine Fotos als frühe Beispiele sozialdokumentarischer Fotografie in Deutschland.

Zilles Glasnegative wurden von seinen Erben erst in den sechziger Jahren entdeckt. Sie entstanden in den Jahren zwischen 1890 und 1910 in den Berliner Arbeiter- und Armenvierteln. Sie wurden dabei nicht als eigenständig angefertigt, sondern dienten Zille als Vorlagen für seine grafische Kunst. Sie sind allerdings eine frühe „Street Photography“ und zeigen ganz direkt Szenen aus dem Alltag in den Berliner Straßen. Zille sucht wie in seinen Zeichnungen nach Skizzen des ganz normalen großstädtischen Alltags. Er steht damit im Gegensatz zur damaligen, meist kunstvoll inszenierten Fotografie der so genannten „schönen“ Dinge. Straßenszenen hat in etwa der gleichen Zeit auf der anderen Seite des Atlantiks nur Alfred Stieglitz fotografiert, der Pionier der modernen amerikanischen Fotografie.

So könnte man Zille am Beginn der modernen Fotografie in Deutschland sehen – ein Gedanke, der aber zweifellos nur eine kunsthistorische Konstruktion darstellt. Denn Zille dachte an seine Zeichnungen und nicht an die Fotografie als eigenständige Ausdrucksform. Das ist der Unterschied zu Stieglitz, und Zille ist wohl doch näher bei Toulouse-Lautrec. Die Berliner Ausstellung stellt diesen Zusammenhang her, indem sie erstmals die unterschiedlichen Medien zusammenführt.


Heinrich Zille: Selbstporträt, 1892

Die Abzüge von Zilles alten Negativen stellte übrigens Thomas Struth her – einer aus der „Struffsky-Bande“, den prägenden aktuellen künstlerischen Fotografen der Düsseldorfer Schule. Auf den Zille-Seiten der Akademie der Künste sind eine ganze Menge dieser Fotos zu sehen (und selbstredend auch von den Zeichnungen).


Heinrich Zille. Kinder der Straße
Zeichnung Grafik Fotografie
Eine Ausstellung der Akademie der Künste in Zusammenarbeit mit der Stiftung Stadtmuseum Berlin

11. Januar – 24. März 2008
Akademie der Künste, Pariser Platz 4, Berlin-Mitte
www.adk.de/zille

11. Januar – 2. März 2008
Ephraim-Palais, Poststraße 16, Berlin-Mitte
www.stadtmuseum.de

Öffnungszeiten
Akademie der Künste: dienstags bis sonntags 11–20 Uhr
Ephraim-Palais: dienstags, donnerstags bis sonntags 10–18 Uhr, mittwochs 12–20 Uhr

2 Kommentare
  1. Marcel Ulex
    Marcel Ulex sagte:

    Da der Artikel bereits aus dem Jahr 2008 stammt, soll der Kommentar in 2017 nicht als Kritik – wohl aber als Richtigstellung verstanden werden. Denn seit dem hat sich vieles getan, Dokumente und Urkunden (http://heinrich-zille.info/urkunden.html) sind aufgetaucht, die so manches in dessen Biografie geraderücken. Und vor allem lässt sich nachweisen, das die Zuschreibung der Fotografien einzig und allein aus finanziellen Gründen (http://heinrich-zille.info/wie-heinrich-zille-zum-fotografen-gemacht-wurde-4.html#finanz) vorgenommen wurde. Schon länger bekannt, aber offensichtlich gern übersehen, dass Zille für Künstlerkollegen Platten entwickelte – er also als Laborant für Fotografen tätig war (http://heinrich-zille.info/wie-heinrich-zille-zum-fotografen-gemacht-wurde-3.html). Nach wie vor lässt sich dem Pinselheinrich allerdings keine eigene Fotografentätigkeit nachweisen.

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