Herbstlicht: Ablenkende Leere

Tolle Lichtsituationen und -Stimmungen sind die reinste Form der Landschaftsfotografie. Das heisst nicht, dass man nicht Motivteile darum herum komponieren könnte.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Berthold Riedel).

Kommentar des Fotografen:

Goldener Oktoberwald Leider habe ich keine Exif- Daten mehr. Mir gefiel das herrliche Nachmittagslicht sehr gut. Der Buchenwald liegt gar nicht mal weit von meinem Haus entfernt, aber so schönes Licht habe ich selten gesehen.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Berthold Riedel:

Die glatten, runden Stämme junger Weissbuchen recken sich in diesem Farbbild eines Waldstücks aus dem mit rotbraunem Herbstlaub bedeckten Waldboden nach oben. Wir blicken auf menschlicher Augenhöhe waagerecht durch den Jungwuchs, offensichtlich zum Waldrand hin, denn von rechts vorne flutet abendliches Sonnenlicht durch die leicht belaubten Bäume und lässt die Blätter golden strahlen.

In der Fotografie dreht sich eigentlich alles nur ums Licht.

Ich habe Landschaftsfotografen kennengelernt, die schlichtweg erklären, dass sie Licht und Farbe interessiert – und sonst gar nichts. Es gibt Orte, die eine völlig eigene Lichtstimmung aufweisen: Abhängig von Luftqualität, Temperatur, Feuchtigkeit und so weiter können absolut einzigartige Verhältnisse entstehen und herrschen.

Diese Orte zu finden und die Stimmung fotografisch festzuhalten gehört zu den grossartigsten Erlebnissen, die man als Fotograf haben kann – vor allem wenn es gelingt, die Emotionen abzubilden.

Dir ist hier die Flut des goldenen Sonnenlichts aufgefallen, und Du hast erfolgreich versucht, sie einzufangen und die Stimmung auf den Sensor zu bannen. Das ist Dir durchaus gelungen, und der Wechsel von weichen Schatten und Sonnenpartien in diesem Waldstück sorgt für die Dynamik, die das Licht überhaupt erst zur Geltung bringt: Das Licht, egal wie hell die Quelle in der realen Welt ist, kann im Foto ja nicht mehr als passives Weiss sein. Um helles, flutendes Licht in der Fotografie abzubilden und erfahrbar zu machen, sind wir als Fotografen auf Kontraste angewiesen; auf Schattenpartien, die durch indirektes Licht beleuchtet werden und damit die Intensität der direkten Beleuchtung fassbar machen.

Das ist Dir hier sehr gut gelungen. Die seitliche Beleuchtung wirkt blendend hell und übernimmt die goldene Farbe des Herbstlaubs, die schattenpartien leuchten im Widerschein der restlichen Bildpartien.

Ein Problem, und zwar ein grosses, hat die Aufnahme dennoch. Denn Licht ist nur als Reflexion abbildbar. Die „Leinwand“ ist zwar sekundär, aber immer noch Teil des Motivs – und das setzt eine harmonische Komposition voraus, die das Augenmerk unaufdringlich auf die Lichtsituation lenkt, aber selber für Spannung, Interesse und Dynamik sorgt.

Dies fehlt in Deiner Aufnahme. Neben den Vertikalen der Baumstämme gibt es im Bild eigentlich nur zwei leichte Diagonalen. Der Horizont des Waldbodens, der von leicht rechts unten nach links in die Bildmitte zeigt, und die Linie der vordersten Baumstämme, die (entlang eines Pfades?) in etwas steilerem Winkel in die gleiche Richtung zeigen.

Paradoxerweise lenkt dieser tote Raum und die Absenz eines Blickfangs von der eigentlichen Qualität des Bildes ab: Ich suche als Betrachter nämlich unwillkürlich nach dem Kernstück der Komposition.

Das wäre das Licht – aber darauf komme ich nicht, weil ich nach einem offensichtlicheren Motiv suche. In solchen Aufnahmen hilft ein „Sekundant“ – ein Motivteil, der zwar spannend, aber nicht Bild beherrschend ist und den Blick anzieht, dann aber durch das Bild weiterleitet – als Steigbügelhalter für das weniger offensichtliche, aber umfassendere Motiv – die Lichtflut.

In dieser Situation hätte sich sicherlich ein Element auf dem Waldboden, ein Baumstrunk oder ein Stein, ein Pilz oder ähnliches angeboten, das zu einer anderen Perspektive gezwungen und einen Vordergrund geschaffen hätte.

Die Exif-Daten stehen übrigens noch im Bild drin. Sie besagen, dass Deine FinePix mit Blende 5 aufgenommen hat: Bei dieser Art von Landschaftsaufnahme wäre meiner Meinung nach eine Kleine Blende und geringe Schärfentiefe möglich, was eine Ausnahme ist – was allerdings einen eindeutigen Vordergrund und eine relativ geringe Distanz bedingen würde.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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3 Kommentare
  1. Esther Bachmann
    Esther Bachmann sagte:

    Bei dieser stimmungsvollen Aufnahme ziehe ich die „unverstellte“ schlichtere Variante, die Harmonie und Ruhe ausstrahlt vor.

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  2. Berthold Riedel
    Berthold Riedel sagte:

    Vielen Dank für die ausführliche Kritik. Danke auch für das Aufzeigen der Gestaltungsmängel.
    Mir gefiel eigentlich die Abwesenheit von Störfaktoren, die Farbenharmonie von Waldboden und Herbstblättern.
    Ich wandere oft, aber solche Lichtsituationen sind für mich schon selten. Vielleicht kann ich beim nächstenmal durch einen kleinen Standortwechsel einen Felsbrocken einbinden. Ein paar Meter entfernt sind welche zu finden.
    Mir schwebt der Gedanke vor, dieses Waldstückchen bei allen Jahreszeiten aufzunehmen. Könnte reizvoll sein

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  3. Christian Gruber
    Christian Gruber sagte:

    Bei Waldbildern ergibt sich je nach Waldbewuchs das Problem, das man vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht. Du hast es zwar fast geschaft, mit 4 der 5 Bäume in der vorderen Diagonale jeweils einen Baum dahinter zu verdecken. Dadurch sieht man mehr. Das verdecken funktioniert aber eben nur fast. Und eigentlich sollte man vermeiden, Bäume (Objekte) teilweise zu verdecken bei solchen Fotos
    Dazu kommt noch der Spannungsmangel. Spuren im Laub, eine Person – z.B. mit Bewegungsunschärfe, eine Ameisenstraße, eine Blume… etwas fehlt.
    Wenn du dich mit Licht und Uhrzeit etwas mehr beschäftigst, Wetterbericht hörst und Wanderschuhe kaufst wirst du herrliche Lichtsituationen leicht wiederfinden. Noch dazu im Herbst.
    Wie du erkannt hast sind interessante Orte oft nicht weit entfernt. Das gibt uns auch die tolle Möglichkeit zurückzukehren und weiterzuprobieren.
    Tolle Fotos können nicht nur in New York oder London oder sonstwo mit einem übertrüber Objektiv entstehen. Wir können sie auch vor unserer Haustür komponieren.

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