High-Key-Schwein: Im Schatten fliegt der Dreck

Harte Kontraste sind ein Ärgernis – ausser, man macht sie sich für eine High-Key-Aufnahme zu nutze. Dieses Hängebauchschwein gewinnt so grafische Qualitäten.

Hängebauchschwein in High-Key.

Hängebauchschwein in High-Key. Canon EOS 80D 1/100s bei F/2.8 mit Brennweite 200mm und ISO 100 © Nikolai Seidel 2016

 

Nikolai Seidel aus Ratzeburg schreibt zu diesem Bild: Freilaufendes Hängebauchschwein im Wildpark Schwarze Berge in Harburg. Aufgenommen im Sommer 2016 bei gleißender Mittagssonne mit Canon 5d Mk III und EF 70-200mm 2.8 IS II bei 200mm, 1/100s, 2.8, iso 100, Spotmessung und manuell die Belichtung hoch geschraubt nachdem ich sah in welche Richtung der erste Schuß ging. Minimale Retusche in PS um am unteren Bildrand rechts noch sichtbare Bodenfragmente zu entfernen.

Gleissende Sonne, das ist das schlechte Wetter des Fotografen. Ausser, der macht aus der Not eine Tugend und entscheidet sich, wie Du hier, für eine Aufnahme, die mit einem Lichteffekt arbeitet.

In dieser Schwarz-Weiss-Aufnahme sehen wir ein Hängebauchschwein, das auf den Betrachter zuzukommen scheint und mit Kopf und Brust den ganzen rechten Bildteil ausfüllt. Die linke Hälfte der Aufnahme wird ausgefüllt durch den Schatten des Schweins auf einem Kopfsteinpflaster-Boden. Vor dem dunklen Boden sind in der Luft deutlich Partikel zu erkennen, die das Tier abzuschütteln scheint. Die Umgebung von Tier und Schatten ist zeichnungslos im Weiss der High-Key-Aufnahme aufgelöst.

Aus technischer Sicht staune ich hier über die offene Blende, die Du an einem sonnigen Tag angewandt hast, noch dazu für eine Aufnahme, die sie nicht unbedingt braucht: Durch den schrägen Winkel von oben geht die Schärfenebene fast durch das ganze Motiv, eine Freistellung erfolgt nicht in erster Linie durch Unschärfe. Dagegen hast Du den Belichtungseffekt sehr schön für eine High-Key-Freistellung genutzt, was bei einer Automatik-Einstellung nicht ohne Nachbearbeitung möglich ist: Dann stellt die Kamera nämlich auf eine durchschnittliche Belichtung ein und wird das Bild deutlich unterbelichten, so dass die Schatten im Schwarz absaufen. Den Effekt kennt man vor allem vom Sandstrand und von der Skipiste – die Kamera „denkt“, es handle sich um eine Umgebung von der Helligkeit von grünem Gras und blendet entsprechend ab.

histogramm-high-keyDu hast dem hier gezielt entgegengewirkt, indem Du mit der Spot-Messung auf, nehme ich an, einen Bereich im Gesicht des Schweins die Belichtung gemessen hast. Dadurch stellt die Kamera eine Zeit/Blendenkombination ein, die für diesen einen Bereich korrekt ist, und „kümmert“ sich nicht um über- oder Unterbelichtungen in anderen Bildteilen. So ist ein High-Key Effekt zu erzielen, bei dem die Bildpunkte im Histogramm übermässig im hellen Bereich zu finden sind.  Man kann diesen Effekt auch mit entsprechenden [amazon  B005AA584I]High-Key-Hintergründen[/amazon] im Studio erzielen.

[bildkritik]

So hast Du den High-Key-Effekt erzielt, der alles, was rund um das Schwein in helles Licht getaucht war, verschwinden lässt. Wenn Du mit einer Spiegelreflex-Kamera unterwegs bist und noch dazu RAW fotografierst, kannst Du allerdings auch einen Dynamikumfang einfangen, der die nachträgliche Umwandlung in ein solches Bild fast im gleichen masse in Lightroom ermöglicht. Das hat den Vorteil, dass man die Belichtungszeit nicht ganz so sehr verlängern muss und damit weniger Risiko von Bewegungsunschärfe eingeht.

Das hat zu einer relativ langen Belichtungszeit geführt – sie ist tatsächlich so lange, dass die Kopfbewegung des Schweins (ich nehme an, es hat sich geschüttelt) in einer Bewegungsunschärfe resultiert: Die Schnauze des Tiers ist leicht verwischt.

Leider ist die geschüttelte Schnauze des Schweins leicht verwischt.

Der preis für die den Schatten geschuldete lange Verschlusszeit: Leider ist die geschüttelte Schnauze des Schweins leicht verwischt.

Dafür hast Du im Schatten des Tiers die durch die Luft fliegenden Staub- oder sonstigen Partikel sehr schön erwischt, die noch dazu perfekt im Schärfenbereich liegen – hier kommt jetzt die begrenzte Schärfentiefe zum Tragen, indem der in der Luft hängende Staub vor dem weiter entfernten Boden im Schatten einen extrem plastischen Effekt ergibt.

Der Dreck fliegt: Schön eingefangenes Detail im Schatten des Tiers.

Der Dreck fliegt: Schön eingefangenes Detail im Schatten des Tiers.

Die Komposition des Bildes ist für diese Variante mit dem dominanten Schatten ideal – das Tier bekommt ein Gegengewicht und viel Bodenhaftung, es wird zu einer grafischen Skulptur mit vielen Details (dem Dreck…) den man entdecken kann. Die Reduktion auf Schwarz/Weiss – Graustufen sind hier fast nicht vorhanden – verstärkt den grafischen Charakter und macht das Bild wuchtig und unumgehbar.

Wenn ich Verbesserungen suchen müsste, würde ich dazu raten, die Reste des Bodens in der Umgebung des Schweins ganz wegzuradieren und die Fläche von jeglicher Zeichnung und einem Grauton zu befreien. Das ist allerdings vielleicht ein Eingriff, der über die Fotografie-Nachbearbeitung ins Grafische hineinreicht – den diese Aufnahme aber gut verkraftet und verdient.

Abgesehen von der leider etwas unscharfen Schnauze ein echter Volltreffer und ein gutes Beispiel, was man in nicht idealen Lichtsituationen machen kann.

1 Kommentar
  1. dierk
    dierk sagte:

    bei dem Bild wundert mich wirklich, dass in gleißender Mittagssonne bei 1/100 und f/2.8 nicht alles völlig überbelichtet wird!?
    Da hast du richtig Schwein gehabt, Nikolai :-)
    Wie Peter schreibt, das Bild in RAW machen und den Rest machst du ohne Probleme mit z.B. dem inzwischen kostenlosen Nik Silver Efex, behältst aber alle Optionen für die Bearbeitung und andere Darstellungen.

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