Hofhund Atlas: Typischer Motivkonflikt

Ein tolles Motiv darf nicht zum schnellen Auslösen verführen. Zwei tolle Motive noch viel weniger: Entscheidung ist gefragt und der Mut, die Szenerie zu bearbeiten und vielleicht etwas wegzulassen.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Ronnie Vetsch).

Kommentar des Fotografen:

Hofhund im Haute-Sâone-Gebiet, 2003. Über ihm die Last des Lebens. Wie lange zum Crash?

Peter Sennhauser meint zum Bild von Ronnie Vetsch:

Ich habe den Hund nicht gesehen. Wirklich nicht. Erst die Bildlegende hat mich drauf gebracht, dass in dieser Aufnahme eines äusserst fotogenen Stapels alter Gegenstände noch eine zusätzliche Pointe sitzt.

Das ist das Problem dieses Bildes – der Zielkonflikt, den Douglas auch schon bei der Architekturfotografie identifiziert hat:

Du hast etwas, was an sich schon ein grossartiges Motiv ist – den Haufen Krempel, der gleichsam der Schwerkraft zu trotzen scheint und dabei ein Gewirr an Linien, Kreisen, Licht und Schatten bietet, wie es sich ein Fotograf nur wünschen kann. Mitten darin hast Du ein zweites Motiv: Den Hund, dessen Haltung mit der Situation um die Wette witzelt.

Und jetzt willst Du möglichst alles flächendeckend in ein Bild reinbringen, und das wohl auch noch so schnell wie möglich?

Zugegeben, das ist eine Unterstellung.

Aber angesichts der Normalbrennweite und der Kamerahöhe, ein klitzekleines bisschen vertieft, als ob Du grad so weit in die Knie gegangen wärst, dass die Hose nicht staubig, aber doch das Gesicht des Hundes sichtbar wird: Das wirkt auf mich wie ein schnell erstellter Schnappschuss. Weil der aber zwei Bilder in einem enthält, kommt keines richtig zur Geltung.

Also, eins nach dem anderen: Zunächst hätte der Krempel allein auch ohne Hund eine längere Session verdient. Was ist, neben dem grossartigen Sammelsurium an Linien und Kreisen, daran spannend? Doch wohl der Umstand, dass all diese filigranen Gerätschaften irgendwie miteinander verhakt zu sein und nur deswegen nicht augenblicklich zusammenzukrachen scheinen.

Was passt, auf den ersten Blick und auf den zweiten sowieso, weder farblich noch von der Linienführung noch von der Bildaussage des filigranen Turms hinein? die massiven, weissen, viel zu hellen und kontrastlosen Schränke rechts.

Hier sei kurz angemerkt, dass sich das allenfalls in Natura nicht sofort hätte sagen lassen – denn glücklicherweise sehen wir Menschen in Farbe. Aber genau deshalb lieben wir ja unsere digitalen Spiegelreflexkameras: Eine Probeaufnahme machen, das Bild in S/W anzeigen lassen und prüfen – und der Fall ist klar.

Atlas, beschnitten und aufkontrastiert.

Immer noch davon ausgehend, dass der Hund nicht da wäre und Du die Möbelsammlung zum Motiv machst: In dieser Perspektive stört nicht nur die massive weisse Fläche rechts, sondern auch der in der Dunkelheit absaufende Scheunenhintergrund. Der musste aber aufs Bild, weil Du nicht auf die Wagenrad-Lampe ganz oben auf dem Stapel verzichten wolltest, richtig?

Nun, wie wäre es denn jetzt mit einer Verschiebung des Standorts nach rechts, und zwar – und jetzt nehmen wir den Hund gleich noch mit! – ganz rechts unten, auf Augenhöhe des Hundes, der das Gewicht der Welt trägt, blicken ihm entgegen und dem Stapel seiner Welt entlang nach oben bis zum krönenden Wagenrad, in den Krempel hinein, der jederzeit hderunterkrachen und den Hund und den Bildbetrachter gleich mit verschütten könnte, und wir kriegen ein dramatisches, bedrohliches Bild und eine Lektion in der Weltanscheuung des Hundes, die dieser gar nicht hat.

Also, Luft holen – das ist vielleicht alles ein bisschen viel verlangt. Immerhin scheint der Hund nicht sonderlich gut gelaunt oder zutraulich zu sein, wie es Kettenhunde eben sind, und der Stapel wirkt auch nicht vertrauenerweckend, und…

Es gibt immer genügend Gründe, etwas nicht zu tun. Und das Bild ist so, wie es sich präsentiert, durchaus vorzeigbar. Aber Du hättest mit Sicherheit sehr viel mehr herausholen können, wenn Du Dich zuerst dem einen, dann dem anderen Motiv gewidmet hättest; Positionen und Perspektiven ausprobiert und erst im Idealfall beides miteinander kombiniert hättest. Oder eben, wenn auch schweren Herzens, auf etwas verzichtet hättest.

S/W halte ich hier für eine gute Wahl, weil sich der Bildinhalt doch an den Linien und Strukturen orientiert. Allerdings finde ich den flauen Kontrast der Umwandlung unerträglich – Der Staub im Vordergrund erscheint wie Schnee, die Möbel selber haben alle fast den gleichen platten Grauton, und der Schatten im Hintergrund und die weissen Schränke erdrücken alles.

Ich würde deswegen, ausgehend von dem Bild, wie du es hast, die Nachbearbeiung anwerfen und den „Fehler“ – die Unentschiedenheit in der Konzentration auf einen Motivteil – mit einem beherzten Schnitt (und ein bisschen Basteln an Belichtung, Kontrast, Füllicht und, jawohl, Abwedeln des Hundes) zu korrigieren suchen.

Auf jeden Fall müssen die weissen Wüsten rechts weg. Der Vordergrund sagt uns auch nicht besonders viel, und vielleicht führt die Kette, wenn sie abgeschnitten wird, den Betrachter ins Bild und genau zum Hund hin.

Wenn Du das Format beibehalten willst, dann muss die Krönung des Stapels, die Wagenradlampe, geopfert werden. Das ist eines der Hauptprobleme bei solchen insgeheim abstrahierenden Bildern: Bisweilen muss man auf ein Element verzichten, das zwar inhaltlich wunderbar, in der Komposition aber eben überhaupt nicht mehr passt.

Es loszulassen ist dann fast so schwer, wie sich vorher für ein Motiv zu entscheiden und das in der bestmöglichen Perspektive und Komposition einzufangen – und dabei vielleicht auf das andere oder eine Pointe ganz zu verzichten.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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5 Kommentare
  1. Ronnie Vetsch
    Ronnie Vetsch sagte:

    @ Corinne&Peter

    Ich wollte kein Bilderrätsel erstellen, klar, aber mir hat gefallen, dass man zwei- oder dreimal hinschauen muss. Ich verstehe Peter aber so, dass dies der Holzweg ist: die Bildaussage muss SOFORT und unmittelbar erfasst werden können, oder? Denn wer schenkt heute einer Sache, die des ersten Blickes nicht würdig war, einen zweiten?

    Zum Hund: Das Tier ist – aus meiner Erinnerung – ein für die Umstände dort ganz normal gehaltener Hofhund mit einer wichtigen Funktion: Wächter, Punkt. Wie alle seiner Kollegen in jener ärmlichen bäuerischen Gegend. Für uns – mich – schon ernüchternd, das gibts keine Zuneigung für den armen Kerl. Das hat mich ja auch beeindruckt, siehe seine «Miene» (der verkriecht sich zuerst, bevor er wächtert…). Aber Mitleid ist auch ein schlechter Beweggrund, wie ich Euch verstehe. Besonders wenn man dann noch in Ästhetisierung abgleitet…

    Noch zum Beschneiden, Peter: Verliert das ganze nicht ein bisschen an Dramatik und wird zum gewohnten Bild? Im Sinn von «so sehen Bilder aus, die sich auf den Transport der Botschaft fokussieren». Ich spreche damit, unabhängig von meinem Foto, eine mögliche Uniformierung von Bilder an; könnte es sein, dass wir alle zusammen irgendwann «gleich/ähnlich» sehen? Dass wir Bilder, die wir sehen, gleich/ähnlich korrigieren/kommentieren würden? Das darf doch nicht eintreten, da sind wir uns bestimmt einig..

    Material zum Kommentieren gibt’s ja zurzeit an der PHOTO08 genügend :-)

    Herzliche Sonntagsgrüsse
    Ronnie

    Antworten
  2. Peter Sennhauser
    Peter Sennhauser sagte:

    @Ronnie:

    ich bin niedergeschmettert

    Aber warum denn? Dir ist ein sehr interessantes Bild gelungen, das man, wie ich meine, hätte noch besser machen können.

    @Ronnie & Corinne: Ich bin ebenfalls der Meinung, ein Bilderrätsel ist etwas anderes als eine gute Fotografie. Das geht aber noch weiter: Kunst ist etwas anderes als Journalismus. Ich möchte bei diesem Bild die Interpretation doch dem Betrachter überlassen. Denn keins der Bilder vermittelt „die Wahrheit“, und man könnte sogar sagen, dem Hund ist egal, was sich über ihm türmt – im Gegensatz zu andern Kettenhunden hat er einen Unterschlupf, der ihn vor Sonne, Wind und Regen schützt.

    Antworten
  3. Corinne ZS
    Corinne ZS sagte:

    Liebe Ronnie
    Wenn es darum geht, wer wie lange braucht, um den Hund zu entdeckten, dann verliert das Bild mit dem Entdecken des Hundes schlagartig und für immer an Spannung. Ein fesselndes Bild lässt meine Augen hierhin und dorthin schweifen und dann noch ganz woanders hin. Immer weiter und jedesmal, wenn ich es betrachte. Bei Deinem Bild sieht man den Hund immer, wenn man ihn einmal entdeckt hat. Kommt hinzu, dass er für mich von Mal zu Mal trister aussieht. Was muss das für ein Mensch sein, der hier einen Hund ankettet? Was muss das für ein Hund sein, der sich so verkriecht? Deshalb sträubt sich in mir etwas dagegen, das Bild als kleines nettes Rätsel zu sehen. Über die Struktur des aufgetürmten Gerümpels zu sinnieren, dieses gar als Symbol für die Last des Lebens zu nehmen. Wenn hier ein Hund gezeigt wird, der unter erbärmlichen Umständen leben muss, dann muss das auch eine Bildaussage sein, finde ich. (Ich glaube nicht, dass sich hier ein tiptop gehaltener Hund einfach mal kurz in den Schatten legt.) Ich möchte fast unterstellen: Hier wird tierisches Elend ästhetisiert. Sicher ohne Absicht. Aber deshalb haben wir ja die Möglichkeit, einen zweiten Blick auf ein Bild zu werfen und uns zu fragen: Was spielt sich hier genau ab und wie erzählen wir es am besten. Ich würde deshalb entweder das Gerümpel fotografieren und den Hund ganz weglassen, oder das Elend des Hundes deutlich zeigen. Meinetwegen mit Hilfe des Gerümpels.

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  4. Ronnie Vetsch
    Ronnie Vetsch sagte:

    Nachtrag zum Kommentar: Noch ein Gedanke zu unserem Bild/Kommentar. Ich empfinde eine Irritation, die ich nicht einzuordnen vermag: Ich finde die gesamte Kritik treffend und trotzdem verunsichert mich, dass damit im Bild etwas verloren geht, was mir gefallen hat: das Entdecken oder eben nicht Entdecken meines Motivs, des Hundes; ich habe alle Betrachter des Bildes daran «gemessen» ob sie «mein Motiv» entdeckt haben. Wenige, tatsächlich. Wenn ich das Bild jetzt optimiere, fällt dieser Effekt weg. Bedeutet dies «Profi-Bildqualität»…? Festtagsgrüsse, R.V.

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  5. Ronnie Vetsch
    Ronnie Vetsch sagte:

    Danke, Peter Sennhauser, ich bin niedergeschmettert. Es trifft alles zu, was Du kommentierst. Bloss eines: mir hat das «Vexierbild» mit dem Hund gefallen, allen, denen ich das Print gezeigt habe, übersahen den armen Kerl.
    Und das SW ist tatsächlich eine Katastrophe.
    Meine Augen sind geöffnet. Ich versuche es besser zu machen.
    Danke und beste Festtagesgrüsse
    Ronnie Vetsch

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