Im „Netz“: Der Teppichweber

Allein schon der Fokus kann aus einem vorhersagbaren Bild etwas vollständig anderes, einen „Hingucker“, machen.

Ausgangsfoto

Ausgangsfoto

Unser Leser Bernd Plumhof aus dem rheinland-pfälzischen Gutweiler hat uns das obige Bild unter dem Titel „Teppichweber” in der Kategorie ‚Schnappschuss‘ zur Besprechung eingereicht.

Beim Spaziergang durch Mahdias Gassen (Tunesien) betrat ich eine der Webstuben und habe mich bei der Aufnahme diesmal auf die Fäden konzentriert. Ein Bild der Ruhe, trotzdem gehen die Augen hin und her, suchen das verschwommene Gesicht und kehren immer wieder zu den weißen Baumwollfäden zurück … Leica Digilux2 mit Festobjektiv; 22,5 (KB 45 mm); 1/60 s.; Blende 2,8; ISO 400.

Anderen Leuten beim Arbeiten zuzusehen, besonders, wenn das, was sie tun, nicht in den heimischen Kulturkreis paßt, ist immer faszinierend. Heimischen Töpfern oder Glasbläsern könnte ich stundenlang zuschauen, genauso wie Straßenverkäufern in Mexiko beispielsweise, die von Hand Tacos pressen. Dieses Foto hast Du von einem Teppichweber gemacht, und das hätte ein ganz banaler Urlaubsschnappschuß sein können, wenn da nicht die Art der Aufnahme wäre.

Richtigerweise hast Du einen höheren ISO und eine weit offene Blende gewählt, was zwangsläufig zu recht viel Rauschen im Foto und einer sehr geringen Schärfentiefe geführt hat. Den Blitz zu benutzen hätte jedoch furchtbare Ergebnisse gebracht.

Zu sehen sind im Vordergrund eine Menge dünne Fäden. Dahinter – verschwommen, aber dennoch als solcher erkennbar – befindet sich der Weber. Man vermutet als Betrachter, daß es sich um jemanden im südlichen Ausland handelt, denn der Webstuhl ist nicht das, was man allgemein in Mitteleuropa so sieht, und der Mann scheint südeuropäischer, türkischer oder gar arabischer Herkunft zu sein. Soweit, so gut.

Analysiert man den Bildaufbau näher, stellt man fest, daß sich der Weber leicht außerhalb des Goldenen Schnitts (rosa), jedoch genau innerhalb der Drittelregel (grün) rechts befindet:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Es hätte also ein recht langweiliger Schnappschuß werden können, hättest Du nicht auf die Fäden scharfgestellt. Diese laufen im Vordergrund dominant durch das Foto. Ihren Kontrapunkt bilden die verschwommeneren Linien des eigentlichen Webstuhls. Beides überlagert die eigentliche Hauptperson des Fotos, den Weber.

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Und wie Du bereits erwähnst – man sieht erst die Fäden, dann den Mann, dann versucht man zu erkennen, was man genau sieht usw. Der Blick wandert hin und her, anstatt wie in dem anderen Fall (scharfgestellt auf den Weber, Fäden unscharf) gleich weiterzuziehen. Du bringst zusätzliche Ebenen, mehr visuelles Interesse in die Aufnahme. Ein insgesamt meines Erachtens gelungener Schnappschuß.

Zweierlei hätte ich allerdings noch anzuregen.

Erstens einmal hätte ich den starken Grünstich beseitigt und die Helligkeit und den Kontrast noch etwas aufgepeppt. Insbesondere der Farbstich fällt mir negativ auf. Korrigiert sähe das Foto dann so aus:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Du kannst Dir auch überlegen, das Foto in Schwarzweiß umzuwandeln:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Letzteres ist jedoch eher eine individuelle, stilistische Entscheidung, und anders als die Korrektur des Farbstichs nicht wirklich notwendig.

1 Kommentar
  1. Tilman
    Tilman sagte:

    Hallo, tolles Bild, Bernd, und interessante Besprechung, Sofie, Danke! Nur ein Detail: der Grünstich und die fehlenden hellen Grauwerte finde ich persönlich gut, es gibt dem Bild die eigentliche Stimmung, so als ob der Weber unter einem Zeltdach arbeiten würde. MfG, Tilman

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