Im Winter auf Bahngleisen

Beim Fotografieren muss nicht nur auf die Technik, sondern auch auf das Motiv geachtet werden. Dann werden schnell viele Details sichtbar, die vor dem Auslösen gerne übersehen werden, wie hier beim Portrait einer jungen Frau.

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Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Frank Rumpp).

Kommentar des Fotografen:

Hallo, glaube, dass der Hintergrund das Modell ansprechend hervorhebt. Würde mich über Meinungen und Anregungen freuen.

Profi Robert Kneschke meint zum Bild von Frank Rumpp:

Nach „Halbnackte Frauen in verfallenen Gebäuden“ und „sich mit Kussmund selbst fotografieren“ ist das Thema „Junge Frau sitzt auf Bahngleisen“ gefühlt weit oben auf der Hitliste der Frauenmotive. Das habe ich hier auf fokussiert.com auch schon mehrmals besprochen und heute gibt es wieder ein ähnliches Motiv.

Auf den ersten Blick wirkt das Foto ganz okay. Eine langhaarige Frau sitzt mit durchgestrecktem Rücken auf einem stillgelegten Bahngleis. Beim zweiten Blick fallen mir jedoch ganz viele störende Details auf, welche die Frau unvorteilhaft wirken lassen:

Erstens soll das Foto ein Portrait sein. Portraits sollen klassischerweise eine Person so zeigen, wie sie sich entweder selbst sieht oder wie sie von anderen wahrgenommen wird, möglichst authentisch und unverfälscht. Sowohl der Blick als auch die gesamte Körperhaltung zeigen bei dem Foto jedoch, dass die Dame absichtlich für die Kamera posiert und so im echten Leben garantiert nicht auf einer Parkbank sitzen würde.

Beschnittene VersionZweitens könnten wir versuchen, das Foto als Fashionbild zu betrachten. Aber dann fällt sofort auf, dass zerschlissene Jeans, Lederjacke über Fleecepulli mit Pelzmütze keine gelungene oder sehenswerte Kombination sind. Außerdem wirken die einzelnen Kleidungsstücke direkt störend auf die Wahrnehmung der Frau. Da wäre die Mütze, die so tief im Gesicht hängt, dass die Sonne einen Schatten direkt auf die Augenpartie projeziert; etwas, was bei einem Portrait fast nie der Fall sein darf. Die Fleecejacke liegt zudem so ungünstig, dass es wirkt als hätte die Frau einen dicken, runden Bauch, was bestimmt keine Absicht war. Und wenn schon Fleecejacke, Mütze und die vermummelten Hände Kälte vermuten lassen, passt es nicht, dass die Frau die Lederjacke weit offen trägt.

Drittens drängt sich das Motiv, also die Frau etwas zu sehr nach unten rechts ins Bild, da hätten paar Zentimeter mehr unten und rechts dem Bild gut getan.

Einige der angesprochenen Mängel könnten durch einen radikalen Beschnitt behoben werden, wie ich es mal ab Beispiel getan habe. Das Grundproblem des Fotos jedoch, dass der Charakter der Person nicht glaubhaft eingefangen wurde, lässt sich damit leider nicht beheben.

In der Rubrik „Bildkritik“ analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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9 Kommentare
  1. drachenkind
    drachenkind sagte:

    interessante diskussion über dieses bild. da ich ja auch viel mit menschen (fotografisch gesehen) zu tun habe, wollte ich mich auch mal äußern. ich glaube, dem frank rumpp war die freistellung seines motives sehr wichtig. für uns als dsl besitzer wahrscheinlich normal. mit einer bridge aber gar nicht so einfach, es so schön hinzu bekommen..mir selbst sind charakterportraits auch nicht fremd und ich bin kein profi, in dem sinne. und trotzdem versuche ich immer, meinen bildern ihren eigenen charme zu geben, die models zu animieren mir ein teil ihrer seele zu zeigen…was wirklich nicht einfach ist…aber möglich :)
    beim bahngleismädel…- der titel ist nicht aussagekräftig und es gibt keine verbindung…weder winter, noch bahngleise, noch das mädel..nirgends ist ein zusammenhang.. – eine schräge haltung des oberkörper hätte dynamik ins bild gebracht – trotz kälte (models müssen da durch), mütze ab, jacke aus (zumindest die unter der lederjacke), haare geschüttelt..- ein versonnenes lächeln – den arm aufs knie gestützt- den kopf in die hand..
    ich glaube zu wissen was peter meint, die dame strahlt nichts aus…keine persönlichkeit. alles was wichtig ist, sieht man nicht wirklich. zu wissen reicht nicht. der zuschauer will sehen…“erfahrung ist durch nicht zu ersetzen“ – richtig!

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  2. Reinhard Witt
    Reinhard Witt sagte:

    Ein kleines Fundstück noch…
    http://pabloruiz.portfoliodeck.com/collections/portraits/sets/artists/25291
    Der geneigte Betrachter möchte sich bitte diese Porträts einmal anschauen.
    Es wurde mit Sicherheit alles versucht um einen charakterlichen Zug und auch einen Bezug zur Person in alle Portraits zu bekommen. Mir selbst sind solche Arbeiten nicht fremd. Es ist ein Lernprozess, der manchmal in wenigen Minuten zu erreichen ist, aber oftmals auch erst in Stunden oder Tagen oder gar Wochen.
    Sicher, man muss kein Newton sein…:-) aber die ERFAHRUNG, die hätte ich schon sehr gern… denn die ist durch nichts zu ersetzen.

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  3. Peter Bundrück
    Peter Bundrück sagte:

    Das der Schatten „niemals“ auf die Augen fallen soll oder die Kleider nicht passen finde ich zu pauschal. Ich denke es kommt immer darauf an was das Bild transportieren soll.
    Technisch ist das Bild sicherlich gelungen aber ansonsten muss ich der Kritik größtenteils zustimmen. D.h. für mich wirkt die Frau etwas „unentspannt“.

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  4. Andi Gentsch
    Andi Gentsch sagte:

    Ich finde es doch etwas einfach zu sagen es seien immer alle Portraits gestellt und dagegen liesse sich nur mit Glück etwas machen. Genau hier beginnt doch die Fähigkeit eines guten Fotografen (und natürlich seines Models). Einen Charakter im Bild einzufangen, das ist genau der entscheidende Unterschied.

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    • Reinhard Witt
      Reinhard Witt sagte:

      Andi, wir reden hier von Amateuren…

      Und da wird die Wahrscheinlichkeit etwas einzufangen, wie es wirklich ist – zum Glücksspiel.
      Bei Namen von Fotografen wie Rankin, Newton, oder eben auch anderen Profis in ZUSAMMENARBEIT mit Profimodellen setze ich das einfach voraus, dass sie mir das liefern, was ich verlange.

    • Andi Gentsch
      Andi Gentsch sagte:

      Ich würde mir auch nie anmassen selbst die erhoffte Qualität erreichen zu können. Aber sie anzustreben finde ich, nun ja eben, erstrebenswert. Die Kritiken hier sollen doch helfen sich zu verbessern. Man muss kein Newton sein um sich einige Tricks anzueignen dass Portraits spontaner, charakterstärker wirken.

      Zumindest bilde ich mir ein das regelmässig bei ambitionierten Amateuren zu erkennen. Gerade hier bei fokussiert wird mir diesbezüglich immer wieder der Speck durch den Mund gezogen.

  5. Frank Rumpp
    Frank Rumpp sagte:

    Vielen Dank für die Kritik und die Meinungsäußerungen.
    Einige Rahmendaten: Es war sehr…. kalt -daher die Mütze und die Zwiebelschichten Kleidung!

    Wer dieses Modell kennt, weiß um die Kraft ihrer Augen! Die Wirkung des Schattens der Mütze über den Augen hatte ich anders eingechätzt!

    Da es keine Bemerkungen zum Unschärfeverlauf gibt, gehe ich davon, dass er die beabsichtigte Wirkung hat. Der Ausschnitt gefällt mir auch.

    Nochmals vielen Dank!

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  6. Reinhard Witt
    Reinhard Witt sagte:

    Zunächst einmal kurz und knapp… ja, die geschnittene Version ist besser, ändert aber nichts am schon Gesagten. Sowohl der Blick als auch die gesamte Körperhaltung zeigen bei dem Foto jedoch, dass die Dame absichtlich für die Kamera posiert und so im echten Leben garantiert nicht auf einer Parkbank sitzen würde.
    Stimmt, aber was ist dagegen zu sagen? 90% aller Portraits sind gestellt… ob nun im Studio oder Draußen.
    Das sie SO nicht auf einer Parkbank sitzen könnte, dürfte schon die Körperhaltung klar stellen.
    Portraits sollen klassischerweise eine Person so zeigen, wie sie sich entweder selbst sieht oder wie sie von anderen wahrgenommen wird, möglichst authentisch und unverfälscht.
    Jo… dieses hier jedoch nicht. Wie man unschwer erkennen kann. Portraits im klassischen Sinne sind entweder Zufall, von Kindern oder unbeobachteten Personen zu erwarten. Alles andere ist Posing und bleibt Posing…
    Und wenn dieses Posing dann durch was für einen Zufall auch noch richtig natürlich rüber kommt – ja dann ist doch alles geritzt. Es bleibt trotzdem ein Posing. So lange wie die zu porträtierende Person WEISS, dass eine Kamera auf sie gerichtet ist, und erwartet wird, dass sie möglichst natürlich (aus)schauen soll – wird diese Aufgabe mehr oder weniger (meist weniger) erfüllt…
    Es als Fashionbild zu betrachten wäre eine Möglichkeit – scheitert aber schon, wie gesagt an der unmöglichen Kombination der Kleidungsstücke –
    Das Grundproblem des Fotos jedoch, dass der Charakter der Person nicht glaubhaft eingefangen wurde, lässt sich damit leider nicht beheben.
    Erkennt man den Charakter einer Person schon an einem Bild? Ausgenommen von den sinnbildlich gesprochenen „Charakterköpfen“ vielleicht… aber hier… wie soll das funktionieren? Das Bild ist gestellt – da funktioniert das schon mal gar nicht.
    Wenn ich auf einem Spielplatz Kinder porträtieren würde – was ja heute schon einer Straftat gleichkommt – und ich deshalb schon verweigere – DANN könnte ich dort mit größter Sicherheit CHARAKTERE ablichten, denn sie zeigen mir das, unverfälscht und ohne Scheu…weil sie so sind.
    Schauspieler können Charaktere darstellen – aber eben auch nur gestellt… Also für mich gibt es da nur noch die Kinder… die das von Ihnen besprochene GLAUBHAFT rüber bringen…

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  1. […] war in einem Aufzug, in dem sich niemand so einfach auf Bahngleise begibt, abgelichtet worden. In einem anderen, das von Peter Sennhauser kritisiert wurde, bemängelt er die Details die sich ins Bild eingeschlichen hatten, wie etwa eine unvorteilhafte […]

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