Interview mit Fotograf Martin Gommel: „Fotografie ist immer politisch.“

Nachdem er 2006 das Fotografie-Blog „Kwerfeldein“ gegründet hat, beschäftigt sich Martin Gommel seit 2014 intensiv mit den Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Seine Porträts und die sie begleitenden Lebensgeschichten und Leidenswege haben Autorin Sofie Dittmann bewegt, und er hat sich dankenswerterweise die Zeit genommen, ihr ein paar Fragen zu seinem Schaffen zu beantworten.

Martin Gommel

Martin Gommel

Wie lange fotografierst Du schon? Was hat Dich ursprünglich zur Fotografie gebracht?

Ich fotografiere seit 2005. Zur Fotografie „gebracht“ hat mich meine damalige Freundin, jetzige Ehefrau, die mich mit der Digitalkamera ihrer Eltern fotografieren liess. Die Möglichkeiten der digitalen Aufnahmetechniken begeisterten mich sofort. Bis heute ist es für mich etwas Magisches, dass ich einen Moment der Zeit mit der Kamera festhalten kann.

 

Flüchtling - (c) Martin Gommel

Flüchtling – (c) Martin Gommel

 

Weissach im Tal - (c) Martin Gommel

Weissach im Tal – (c) Martin Gommel

Die Leute bringen Deinen Namen mit kwerfeldein, aber vorrangig auch mit Deiner Arbeit zum Thema Flüchtlinge in Verbindung. Ich möchte Dich zu beidem befragen, die Gewichtung aber auf letzteres legen.

Wie lange existiert kwerfeldein nun schon, was hat Dich bewegt, das Blog anzufangen, wie hat es sich entwickelt?

kwerfeldein gibt es seit 2006. Damals fingen viele meiner Freunde an zu bloggen, und so saß ich eines schönen Tages mit einem Freund am Laptop und er fragte mich, wie die URL denn heißen sollte. Da mir das Wort „querfeldein“ schon immer gefiel, querfeldein.de aber schon vergeben war, meinte ich: „Dann schreib es einfach mit K und W“. Zu Beginn schrieb ich hauptsächlich private Gedanken auf, doch je stärker mein Interesse an der Fotografie wuchs, desto mehr wollte ich dies auch in Worte fassen. Irgendwann fasste ich den Entschluss, nur noch über die Fotografie zu schreiben und schon was es ein „Blog über Fotografie“.

Kosovo #3 - (c) Martin Gommel

Kosovo #3 – (c) Martin Gommel

Wann und warum hat Du angefangen, zusätzlich zu kwerfeldein mit Flüchtlingen zu arbeiten?

Ende 2014 lag ich mit einer Grippe im Bett und hatte viel Zeit nachzudenken. Ich las auf Spiegel über die „Flüchtlingswelle“ und erinnerte mich daran, dass ich eigentlich schon lange mal ein Projekt über Geflüchtete machen wollte. Ich verstehe mich nicht nur als Europäer, Vater und Ehemann, sondern auch als Christ – und bin dadurch motiviert, den Menschen, die unter der Gesellschaft leiden, empatisch zu begegnen. So traf ich einen Entschluss und fuhr mitsamt Kamera zu Landes-Erstaufnahmestelle in Karlsruhe. Dort traf ich zwei Männer aus dem Irak, die sich gerne mit mir unterhielten und sich fotografieren ließen.

Vater mit Tochter - (c) Martin Gommel

Vater mit Tochter – (c) Martin Gommel

Derzeitige Projekte in diesem Zusammenhang?

Viele. Vor mir ist eine Reise Mitte Oktober nach Sizilien. Dort werde ich Schutzsuchende fotografieren, die übers Mittelmeer ankommen. Gemeinsam mit dem Projekt Seehilfe, ein paar Leuten aus Bremen, werden ich dorthin fahren und insgesamt eine Woche dort verbringen. Ich bin sehr gespannt, kann aber nicht sagen, dass ich mich auf die Zeit „freue“. Dennoch ist es mir wichtig, auch diese Seite der Flucht zu dokumentieren.

Pläne/Hoffnungen für die Zukunft – nicht nur, was Deine Tätigkeit in dieser Hinsicht angeht, sondern auch, was die von Dir Porträtierten betrifft?

Ingesamt ist meine Hoffnung und mein Wunsch für diejenigen, die ich getroffen habe, dass sie niemals Opfer eines Nazi-Übergriffes werden. Brennende Asylunterkünfte sind ja mittlerweile kein Einzelfall mehr. Beleidigungen und körperliche Gewalt gegen Geflüchtete auch nicht. Ich hoffe, dass die Menschen, die zu uns kommen, so, wie sie sind, akzeptiert und freundschaftlich aufgenommen werden. Dass sie hier eine gute Zukunft bekommen – und von der europäischen Gesellschaft als Bereicherung wahrgenommen werden – und nicht als Bedrohung.

Es sind keine Fremden, die da in die Kamera blicken, es sind Freunde. Wie schaffst Du es, Leute, die Du gerade erst kennengelernt hast, so persönlich darzustellen? Wie überwindet man sprachliche und kulturelle Barrieren, um solche Porträts zu machen?

Ich überwinde keine Barrieren, um Portraits zu machen. Für mich hängt das eine nicht mit dem anderen zusammen, denn: Ich möchte diese Menschen kennenlernen. Nicht zwingend, um ein Portrait zu machen, sondern weil ich sie einfach kennenlernen und ihre Geschichte verstehen will. Das Foto ist Teil des Kennenlernens, aber keine „hidden agenda“.

Favour mit Cleopatra - (c) Martin Gommel

Favour mit Cleopatra – (c) Martin Gommel

 

"Gesicht" - (c) Martin Gommel

„Gesicht“ – (c) Martin Gommel

Konkreter zu Deiner Kosovoreise: was hat Dich dazu bewegt, mit welchen Erwartungen bist Du hingeflogen, was hast Du dort gelernt?

Bewegt haben mich die Menschen aus Kosovo selbst, die ich hier kennengelernt habe. Erwartungen hatte ich keine, sondern habe mir vorgenommen, mich auf das einzulassen, was ich dort erleben würde. Das war für mich sehr wichtig, um völlig frei und ohne selbstgebastelte „Kisten“ dort den Menschen zu begegnen. Gelernt habe ich dort eine ganze Menge. Zum Beispiel, dass das Wort „Wirtschaftsflüchtling“ irreführend ist. Diese Menschen fliehen ja vor etwas: Vor der Armut, die sehr schnell lebensbedrohlich werden kann. Ich habe dort Familien erlebt, die direkt verhungern würden, wenn ihnen die Caritas nicht regelmäßig etwas zu essen bringen würde.

Kosovo - (c) Martin Gommel

Kosovo – (c) Martin Gommel

 

Kosovo #1 - (c) Martin Gommel

Kosovo #1 – (c) Martin Gommel

 

Kosovo #2 - (c) Martin Gommel

Kosovo #2 – (c) Martin Gommel

Was möchtest Du uns zu Equipment und/oder Deinem Workflow verraten?

Nichts, weil es völlig unerheblich ist. Ich versuche, Menschen mit dem Herzen zu sehen. Das kann die beste Technik nicht, auch keine 50 Megapixel-Canon.

Fünf Fotograf/innen oder andere Künstler/Autoren, die Dich beinflussen oder beeinflußt haben und wie/warum:

  1. Martin Parr: Sein gesellschaftskritischer Blick hat mir gezeigt, dass Ästethik und Konfrontation mit Überfluss ganz anders aussehen kann, als es uns von den Massenmedien gepredigt wird.
  2. August Sander: Fotografie im Deutungsrahmen des Zeitdokuments. Ganz große Portraits, ohne Schnickschnack.
  3. James Nachtwey: «War Photographer» hat mich sehr bewegt. Auch seine Ted-Talks. Dieser Mensch hat etwas berührendes, wahrscheinlich, weil er selbst von den Menschen, die er fotografiert, berührt ist.
  4. Diane Arbus: Ihr Ansatz, die Aussenseiter*innen ihrer Zeit festzuhalten und ihnen somit ein „Gesicht“ auf Augenhöhe zu geben, habe ich immer bewundert.
  5. Susan Sontag: Ihre Aufsätze über die Fotografie haben mich theoretisch und fotografisch geprägt. Schade, dass es heute nur noch wenige Menschen gibt, die so reflektiert über das Medium Fotografie nachdenken können.

Ein abschließender Gedanke, in 140 Zeichen oder weniger:

Fotografie ist immer politisch.

Flüchtling - (c) Martin Gommel

Flüchtling – (c) Martin Gommel

 

Flüchtling - (c) Martin Gommel

Flüchtling – (c) Martin Gommel

 


Wir möchten uns bei Martin ganz herzlich für dieses äußerst interessante und aufschlußreiche Gespräch bedanken. Habt Ihr Anregungen zu weiteren Fotograf/innen, die wir interviewen sollten? Teilt sie in den Kommentaren, oder schickt uns eine Email an info AT fokussiert.com!

7 Kommentare
  1. Kai Behrmann
    Kai Behrmann sagte:

    Martins Weg vom Straßenfotografen und Foto-Blogger hin zum sozial-engagierten Fotojournalisten ist extrem spannend. Er zeigt die vielen Facetten, die die Fotografie für einen persönlich haben kann. Das kommt in diesem Interview sehr schön rüber. Ich hatte kürzlich ebenfalls die Gelegenheit, Martin auf meinem Podcast zu interviewen, u.a. auch über sein neues Projekt „Die neuen Kinder vom Bahnhof Zoo“, in dem er das Schicksal minderjähriger Flüchtlinge auf dem Berliner Straßenstrich dokumentiert: http://gatesieben.de/podcast/fotografie-als-therapie-martin-gommel/

    Auch wenn die visuellen Reizen in Zeiten des Internets und Social Media immer größer werden, können einzelne, bewegende Bilder immer noch eine große Kraft entwickeln. Mich hat Martins Arbeit sehr beeindruckt – vor allem auch, weil er mit Herz und Mitgefühl dahinter steht.

    Antworten
  2. Sussi
    Sussi sagte:

    „Fotografie ist immer politisch.“

    ???
    Hallo? Provokation?
    Oder einfach nur Quatsch?
    Weil es Quatsch ist.

    Allgemein bin ich bei Chilled Cat.
    Zu Intergration: es wird nicht nur schwer, teilweise unmöglich.
    Man vermisst zu oft die Bereitschaft und Wille auf der anderer Seite.
    Wen jemand nicht will dann hilft auch nichts.

    Antworten
    • Chilled Cat
      Chilled Cat sagte:

      Eigentlich schon. Der Artikel und die Bilder sprechen ja für sich selbst.

      Die Aussage „Fotografie ist immer politisch“ stört mich, weil sie einfach so nicht richtig ist.

      Fotografie kann sehr politisch sein, weil mit einem Bild manchmal mehr erreicht werden kann als mit vielen Worten, muß es aber nicht. Bei der Menge an Selfies, die jeden Tag ins Netz gestellt werden, tippe ich darauf, dass politisch motivierte Bilder sogar in der Minderheit sind. Mir ist schon öfter zu Ohren (eigentlich vor die Augen) gekommen, dass seit der Erfindung der digitalen Fotografie immer mehr belangloser Mist fotografiert wird. Mit dem Titel des Artikels will das für mich einfach nicht zusammen passen.

      Das schließt ganz bestimmt nicht aus, dass die Bilder von Markus Gommel immer politisch sind.

      Ich finde es gut, dass sich Markus Gommel mit seinem Blog von der belanglosen Masse abhebt und auf die Situation im Kosovo aufmerksam macht, damit die Menschen dort nicht in Vergessenheit geraten. Was leicht passsieren könnte angesichts der Menschenmasssen, die gerade unter Lebensgefahr aus den Krisengebieten im nahen Osten flüchten.

      So jetzt habe ich genug über die Krisen in der Welt nachgedacht und bringe meinen Blutdruck mit ein paar Katzenbildern wieder in den Normalbereich.

    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Martin. Er heißt Martin. Ich wußte doch, daß Du mehr drüber zu sagen hast, als nur Miezekatzen zu erwähnen. Wir haben auch schon eine Nachricht via Email bekommen, die sich über den Beitrag und unser Mitmachen bei deutscher Willkommenskultur beschwert. Dabei geht es darum garnicht – wenn man es auf der Ebene angeht, tut Steve McCurry das auch.

    • Chilled Cat
      Chilled Cat sagte:

      Ups. Wie kam ich auf Markus?

      Wer sich über die deutsche Willkommenskultur beschwert, hat vermutlich Angst vor den Problemen, die dabei entstehen werden, wenn plötzlich sehr viele Menschen aus anderen Kulturen zu uns kommen. Diese Angst ist auch nicht ganz unberechtigt, denn diese Menge Menschen bei uns zu integrieren wird ganz sicher nicht einfach werden.

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