Juralandschaft: Potential, aber kein Bild

Vorbeifahren und irgendwann anhalten und das Bild knipsen reicht nicht. Die Fotografie einer Landschaft verlangt mehr Inszenierung.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Robert Gottofrey).

Kommentar des Fotografen:

Ich bin schon etliche Male an diesem Ort in der Nähe meines Wohnorts in Baselland vorbei gegangen, konnte aber bisher nie eine befriedigende Aufnahme davon machen. Entweder war das Licht zu grell, oder zu flach, oder der Dunst oder Nebel war zu dicht. Diesmal hatte ich ein schönes Abendlicht, das die Wiese im Vordergrund und den Baum rechts im Hintergrund zum Leuchten brachte. Der leichte Dunst lässt die Häuser im Hintergrund fast verschwinden, was die Ruhe, die das Bild ausstrahlt, verstärkt. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich die Baumschatten etwas kontrastreicher machen sollte. Meine Muttersprache ist Französisch, so bitte ich um Entschuldigung für mein holpriges Deutsch.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Robert Gottofrey:

Das Potential der Szene scheint unübersehbar – die Wegkreuzung, die verschiedenen Farben in den Feldern, die weichen Hügel, die Baumgerippe. Aber all das ist vorerst nur Potential und macht – leider auch hier – noch kein Bild:

Ich kenne und liebe die weichen Formen und das Licht des Baselbieter Tafeljuras – ich bin darin aufgewachsen. Auf unzähligen Streifzügen, Wanderungen und Motorradausflügen sind mir immer wieder solche Szenen begegnet, von denen ich jeweils dachte, was für ein grossartiges Bild sie abgäben. Aber zwischen „Potential“ erkennen und „DAS Bild machen“ gibt es eben noch einen Unterschied.

Hier stimmen zwar ein paar Dinge, aber über alles kommt dabei kein wirklich gutes Bild heraus. Zunächst: Der unscharfe Vordergrund mit den abgeschnittenen Bäumen, die „leuchtende Wiese“, geht so überhaupt nicht. Wie ich hier erkläre, erwecken unscharfe Vordergründe in Landschaftsbildern fast unweigerlich den Eindruck völliger Gleichgültigkeit oder mangelnder Sorgfalt, und an- oder abgeschnittene Bäume, Pflanzen und andere wesentliche elemente sind genauso tabu wie abgeschnittene Körperteile.

Deine Bildkomposition ist also, bezogen auf das Hauptmotiv, das Strassenkreut mit den Bäumen, ganz ok, das Licht wäre interessant. Aber der Vordergrund, Deine Perspektive und der Hintergrund, aber auch die Häuser wirken wie Hindernisse, nicht wie Bildelemente. Entweder, Du findest einen Weg, sie loszuwerden, oder Du baust sie ganz bewusst ins Bild ein – und das ist hier definitiv nicht gelungen.

Allerdings ist der Ort erstens vielleicht einen Spaziergang mit der Erkundung andere Standorte und zweitens weitere Ansichten bei verschiedenen Lichtverhältnissen (morgens/abends, bei klarem Wetter mit Kälte oder bei Nebel oder sogar Regen) wert. Zur Landschaftsfotografie gehört vor allem eines: Enorme Geduld und die Ausdauer, ein Motiv lange zu beobachten oder zu ihm zurück zu kehren.

Professionelle Landschaftsfotografen führen ganze Bücher über derartige „locations“ mit Notizen und Datenmaterial. Heut ist sowas um ein Vielfaches einfacher, dank GPS und Pocketcomputern: Meine Sammlung von Locations schlummert in meinem GPS-bewehrten Mobiltelefon.

Und wenn sich an dieser Stelle einfach nichts machen lässt, weil immer die Bäume im Vordergrund im weg sind oder die Häuser im Hintergrund stören – dann gibts im Baselbieter Tafeljura ausreichend andere Stellen, wo die Sicht frei und das Licht nicht weniger interessant ist.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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1 Kommentar
  1. Robert Gottofrey
    Robert Gottofrey sagte:

    Herzlichen Dank, dass Sie mein Bild zur Kritik ausgewählt haben. Beim Lesen habe ich mich voll erwischt gefüllt, erwischt wie ich, geblendet von diesem sonderbaren Licht, die Komposition komplett ‚vergass’. Eine gute, herrliche Kritik ist sehr schwer zu bekommen, schon gar nicht auf Plattformen à la Flickr, aber äusserst wertvoll wenn man Fortschritte machen möchte.
    Ich unterschreibe voll und ganz was Sie zu diesem Bild geschrieben haben und bin Ihnen dafür und für all die vergangenen und zukünftigen Kritiken oder Artikeln auf fokussiert.com sehr dankbar.
    Freundliche Grüsse
    Robert

    Antworten

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