Kinderaugen: Emotion und Information

Eine aufgeregte Kinderschar vor der Kamera ist eine Herausforderung, aus der sich vieles machen lässt.

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Rolf Pessel).

Kommentar des Fotografen:

Nordindien/Himalaya. Im abgelegenen Zanskartal wurde von einer Schweizer Stiftung eine Schule gegründet. Dies Bild wurde anlässlich der 10 Jahresfeier aufgenommen. Die Schüler sassen als Zuschauer vor der Bühne auf der Tanzvorführungen gezeigt wurden.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Rolf Pessel:

Drei Knaben jüngeren Alters drängeln sich vor der Linse des Fotografen: Einer vorne rechts hochformatfüllend im Fokus, dahinter ein zweiter, der den Kopf um neunzig Grad nach rechts kippt und hinter der Schulter des ersten hervorguckt und in der dritten Reihe einer, dessen fröhliches Lachen nur an den zusammengekniffenen asiatischen Augen zu erkennen ist. Alle drei Jungen tragen uniforme Baseballmützen.

Wir alle kennen die Szenen:

Vor allem in Ländern und Gegenden, wo Technik noch nicht so im Überfluss vorhanden ist wie bei uns, scharen sich neugierige Kinder gern vor der Kamera des Fotografen, springen auf und ab und wollen sowohl den Fremden näher betrachten als auch sehen, was seine Kamera genau macht. Das kann die Arbeit des dokumentierenden Bildjournalisten schon mal erheblich erschweren und war immer auch ein Grund, warum unauffällige, kleine und leise Leicas beliebt waren. Auf der anderen Seite bietet sich inder unbeschwerten Neugier der Kinder auch eine Gelegenheit für „unaufdringliche“ Strassenporträts – und die Digitaltechnik bietet den grossen Vorteil, dass man die fotografiereten Menschen sogleich am Bildprozess teilhaben lassen und ihnen das Produkt zeigen kann. Was vielleicht auch ein Nachteil ist, wenn Grimassen und wildes feixen das Resultat sind. erwachsenen legen wir ja sonst eigentlich vor allem nahe, sich möglichst „natürlich“ zu verhalten.

Aber Kinder verhalten sich grade dann „natürlich“, wenn sie ihren Spass und ihre Neugier ausleben können. Insofern ist die hopsende Gruppe vor der Linse immer auch eine Chance.

Du hast sie hier für eine sehr schöne Fotografie genutzt, die ebenso emotional berührt, als sie auch Informationen transportiert. Die Kinder sitzen wohl bereits in den Rängen vor der Bühne, und angesichts der Brennweite von 140mm warst Du nicht unmittelbar vor ihnen. Trotzdem haben sie Dich gesehen und reagieren auf die Kamera. Die Mischung aus Vergnügen, Scheu, und Neugier ist ein unheimlich ansprechender Kontrast zu der narzisstischen Coolness, die wir Westler inzwischen schon von Kindern im Vorschulalter gewöhnt sind.

Ein Glücksfall ist die Komposition, welche Dir die drei Jungs mit der „Schichtung“ ihrer Gesichter ermöglicht haben. Der vorderste ist Motiv und Subjekt, die beiden dahinter sorgen für Tiefe und Umfeldinformation. Die Gesichtsausdrücke lassen keinen Zweifel an der Fröhlichkeit der Jungs; die Aufnahme bietet aber viel mehr als nur die starke emotionale Botschaft: An der Schuluniform ist der Grund der Versammlung, am etwas abgetragenen Hemd und der Kravatte sind aber auch die materiellen Verhältnisse dieser Jungen ablesbar. Durch die leichten Narben und die Sonnenflecken im Gesicht des vordersten Jungen wird die Unbeschwertheit zurechtgerückt, und eine bergige, rohe, wetterbestimmte Welt mitgezeichnet.

Technisch ist an dem Bild kaum etwas zu bemängeln, vielleicht die etwas stark beschnittene Mütze des zweiten Jungen, die allerdings in der Korrektur ein ab- statt nur ein angeschnittenes Ohr rechts zur Folge gehabt hätte.

Die Spitzlichter in den Augen des vordersten Jungen sind ein wahres Highlight, auch wenn die Belichtung insgesamt mit den hellen Flächen hart an der Grenze ist und mich die extrem helle (wenn auch nicht ausgebrannte) Wange des mittleren Jungen stört, viel mehr als die Mützenschirme. Hier liesse sich in der Nachbearbeitung problemlos noch etwas abdunkeln. Das gilt auch für den sehr unruhigen Hintergrund, der allerdings mehr als bloss ein bisschen ziehen an einem Regler nötig machen würde und auch in Kauf genommen werden kann.

Insgesamt ist dieses Bild ein schönes Zusammenspiel von Reportage, Porträt und Strassenfotografie – die Klassierung als Schnappschuss, die Du ihm gegeben hast, halte ich für übertriebene Bescheidenheit.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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2 Kommentare
  1. Rolf Pessel
    Rolf Pessel sagte:

    Herr Sennhauser,

    vielen Dank für die ausführliche Kritik und ich muss zugeben, es ist tatsächlich „nur“ ein Schnappschuss, denn wie Sie treffend im Text schreiben waren es hopsende Kinder voller Freude am Spektakel.
    LG Rolf Pessel

    Antworten
    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Rolf – das hängt ab von der Definition von „Schnappschuss“. Nur weil sich das Motiv bewegt hat, macht das die Aufnahme noch nicht zum Schnappschuss: Du warst da, Du hattest die Intention, die Vorführung und die Kinder zu fotografieren, Du hast den Ausschnitt gewählt und das Bild im Rahmen der Möglichkeiten komponiert. Wenn das ein Schnappschuss ist, ist auch jede Sportaufnahme einer.

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