Kinderblick: Eine Summe von Details

Das Zufällige an einem Schnappschuss ist die Situation, die er einfängt – nicht die Handhabung der Ausrüstung durch den Fotografen. Den resultierenden Qualitätsunterschied zeigt dieses Bild.

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Roman Sebulke).

Kommentar des Fotografen:

Das Bild entstand an einem Sommerabend, hatte gerate meine Kamera in der Hand und dann kam mir dieser Blick entgegen. Konnte noch rechtzeitig den Auslöser bestätigen.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Roman Sebulke:

Ein sehr kleines Mädchen blickt in diesem Farbbild mit grossen, dunklen Augen direkt von schräg unten in die Kamera, ohne dazu den Kopf genau in die Bildachse zu drehen. Die Farben des Bildes sind fast ausschliesslich warme Braun- und Hauttöne und das Weiss des T-Shirts der Kleinen.

Kinderschnappschüsse gehören wohl zu den Fotos, von denen die meisten von uns genug gesehen haben – und zwar in allen Varianten:

überblitzt, unscharf und schlicht und einfach grottenschlecht. Dabei muss man kein Meisterfotograf sein, um ein derart „populäres“ Motiv einigermassen gut abzulichten. Häufig würde es reichen, den Blitz auszuschalten und sich mit der Kamera auf Augenhöhe der Kinder zu begeben (oder mal zu versuchen, die Umwelt aus ihrer Perspektive zu erfassen).

Das hast Du hier zwar auch nicht getan. Es handelt sich um einen klassischen Schnappschuss aus der Sicht eines stehenden Erwachsenen, zu dem das Kind aufblickt. Also eigentlich just eines jener Gelegenheitsbilder, von denen wir (ok, ab einem gewissen Alter) von Freunden und Bekannten hunderte gezeigt bekommen und pflichtbewusst anerkennend „jööh“ sagen.

Bisweilen aber ist ein Schnappschuss darunter, der die Qualitäten dieses Bildes hat. Technisch sind sie in der Kamera und dem bewussten Umgang damit durch den Fotografen zu suchen: relativ lange Brennweite (70mm, also Porträtlänge), offene Blende, gut gesetzter Fokus, weiche, blitzfreie Belichtung. Man stelle sich das gleiche Bild mit durchgehender Schärfe und Schlagschatten des Blitzes vor, wie es von den meisten Kompaktkameras geliefert würde, und der Unterschied ist sofort klar.

Inhaltlich aber ist es der Moment, der das Bild speziell macht: Der unentschlossene, leicht vorwurfsvoll anmutende, aber nicht sofort ergründbare Blick des Mädchens, die durchgehend schwarzen Augen, in denen keine Pupille mehr auszumachen ist, und sogar die Komposition, die durch den übergrossen Kopf und die noch sichtbare linke Hand aus dem Wesen vor uns etwas zwischen Elfe und Troll aus einer Zwergenwelt macht. Der gleichmässige Hintergrund mit den Diagonalen ist absolut nebensächlich, sorgt aber für das besondere Augenmerk auf dem Gesicht – ein Glücksfall oder eine geschickte Bearbeitung. Und das warme, vielleicht sogar zu warme Licht verleiht dem Bild eine unwirkliche Stimmung.

Alle diese Dinge tragen zur Qualität dieses ausdrucksstarken, lebendigen Kinderbildes bei, das sich von den rein „dokumentarischen“ Schnappschüssen deswegen so wohltuend abhebt.

Und all diese Dinge sind, so nebensächlich sie in ihren Einzelfällen erscheinen mögen, der Erfahrung und dem Geschick des Fotografen zuzuordnen. Und auch, wenn ein Quäntchen Glück bei solchen Fotografien zweifellos dazugehört: Ihre Qualität, so sie denn wie hier vorhanden ist, ist kein Zufall. Und das heisst, dass eben Schnappschuss nicht gleich Schnappschuss ist.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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6 Kommentare
  1. Roman Sebulke
    Roman Sebulke sagte:

    Hallo,

    danke für die Kritik und Anregungen. Werde mal Eure Ideen versuchen umzusetzen und das ganze von einer anderen Sicht betrachten. Meistens sind es Kleinigkeiten die mir einfach nicht auffallen bzw das Bild etwas besser machen.

    Vielen Dank.

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  2. CorinneZS
    CorinneZS sagte:

    Ein wunderschönes Bild, das viel Raum lässt, sich das Drumrum auszumalen. Sehr lebendig, echt, nah. Bravo. (Und der knappe Kommentar macht das Ganze richtig knackig.)

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  3. Marcel Elwenholl
    Marcel Elwenholl sagte:

    Ich bin ein Freund von knalligen Farben und außergewöhnlichen Perspektiven. Dein Bild stach mir deshalb direkt ins Auge. Mir gefällt das Bild und ich hätte es niemals s/w konvertiert, fände ich persönlich zu trist. Ich hätte vielleicht die Augen des Knirps ein wenig Nachbelichtet aber das wäre auch schon alles gewesen. Sehr schönes Bild, weiter so!

    lg Marcel

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  4. Christian Gruber
    Christian Gruber sagte:

    Ein ausdrucksstarker Gesichtsausdruck. Für meinen geschmack ist aber die Farbsättigung zu hoch. Passt nicht so ganz zum Gesichtsausdruck.
    Weiters empfehle ich dir noch etwas mit dem Ausschnitt zu experimentieren. Als Anregung z.B. der Boden links vom Kopf bietet keine Aussage, die ganzen Haare oben sind auch nicht nötig.

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  5. Andreas Wenter
    Andreas Wenter sagte:

    Hallo Roman, ich kann mich der Kritik von Peter nur anschließen und dir zu deinem Schnappschuß gratulieren.
    Ich hätte vielleicht daraus noch ein s/w konvertiert, aber das ist Geschmacksache – lg Andi

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