Kinderporträt in Schwarz/Weiss: Vier Augen, ein Gesicht

Wenn Kinder direkt in die Kamera blicken, stört das in Porträts meist weniger als bei Erwachsenen. In dieser Fotografie entsteht ein reizvoller Bruch durch den starren Blick der Puppe, welche die porträtierte Jolanda in Händen hält.

Jolanda auf dem Spielplatz. Nikon D90, 1/1000s, f/2.2, ISO 250, 50mm © Maike Frisch

Maike Frisch aus Oldenburg: In meiner Art der Fotografie konzentriere ich mich bevorzugt auf authentische, klare, aufgeräumte und ausdrucksstarke Portraits, die ohne von mir zur Verfügung gestelltes künstliches Beiwerk auskommen. Für diese Aufnahme waren wir auf einem Spielplatz und Jolanda hatte ihre eigene Puppe mitgebracht. Ich persönlich mag diese Aufnahme sehr, da sie mal nicht strahlend und niedlich ist, sondern eine Zweijährige auch zurückgezogen und in sich gekehrt zeigt.

 

Kinderfotografie leidet unter vielen Klischees: Einfach deshalb, weil Eltern ihre Kinder bei jeder Gelegenheit fotografieren und sie auch immer süss finden. Und weil die inszenierte Kinderfotografie meist klischiert vorgeht und Erwartungen bedient, die in der Ecke „herzig“ liegen. Dabei böten Kinder mehr als Erwachsene die grossartigsten Motive, im Spiel, beim Sport, in Gedanken versunken: Einfach deshalb, weil sie noch nicht darauf getrimmt worden sind, für die Umwelt eine bestimmte Rolle zu spielen. So gesehen, finde ich Deinen Ansatz für die Fotografie von Kindern erfreulich.

In diesem Schwarz-Weiss-Porträt ist ein kleines Mädchen (nicht) zu sehen, das mit einer runden Strickmütze auf dem Kopf an einen hölzernen Querbalken anlehnt, der vor ihm durchs Bild läuft. Das Mädchen schaut direkt in die Kamera, mit einer Mischung aus erwartungsvollem und unbeteiligtem Blick. Wir sehen nicht sein ganzes Gesicht, denn es lehnt mit dem Mund an den Balken, eine leicht geschürzte Oberlippe lässt annehmen, dass es das Holz geradezu schmeckt.  Mit seiner linken Hand hält es eine Puppe vor der Brust, deren rechten Arm es mit der Rechten absichert.

Die Blickführung in dieser Aufnahme ist magnetisch – kein Mensch wird nicht zuerst das Gesicht des Mädchens und seine runden Augen erforschen, nur um danach das Gesicht der Puppe als Referenz zu begutachten. Wir funktionieren nun mal extrem Gesichts- und vor allem augenfixiert: In Tests haben Menschen selbst bei auffallend aufgemachten Models, die ihnen gegenüber traten, in überwiegendem Masse zuerst auf die Augen und das Gesicht geschaut.

In Fotografien wird das umso bedeutender, als wir als nächstes der Blickrichtung der erforschten person folgen. Bei Frontalporträts mit Blickkontakt zur Kamera fällt dieser Moment weg, hier wird dafür die Puppe wichtiger, was irgendwie ironisch ist, weil sie ja keinen eigentlichen Blickwinkel hat.

Jolandatiefen-1

Aufgehellte Tiefen: Der Hintergrund kommt ins Spiel.

Reden wir zuerst über die Technik: Du hast mit manueller Einstellung bei Blende 2.2 mit dem 50mm fotografiert, was bei der [amazonna  B001EO6W8A]Nikon D90 mit DX-Cropfaktor[/amazonna]  ungefähr einem 80mm Objektiv entspricht: Das ist eine ideale Porträtlinse, die auch bei leicht geschlossener Blende und in einem angenehmen Abstand zum Modell Schärfentiefen-Effekte liefert, mit denen man ein gutes mass an Freistellung herbeiführen kann.

Du hast ausserdem bei ISO 250 mit einem 1000stel fotografiert und hast Dich wohl darauf konzentriert, das Gesicht der kleinen Jolanda nicht überzubelichten – in Anbetracht der grossflächigen dunklen Partien des Bildes hätte das in einem Automatik-Modus schnell passieren können. So ist die Belichtung gelungen und die Schärfe sitzt dort, wo sie hingehört.

Der Kontrast in den Tonwerten wird so allerdings recht harsch.  Die wenigen weissen und offensichtlich hautfarbenen Partien im Bild sind übermässig hell gegenüber den anderen Farbtönen, wie etwa der Kleidung von Mädchen und Puppe. Das dürfte aber mit der Wahl des Filters in der Übersetzung auf Schwarz/Weiss zu tun haben. Eine ausführliche Anleitung zur Behandlung von Farbe in der Schwarzweissfotografie hat Thomas Brotzler hier verfasst.

Die Komposition ist insofern eigenwillig, als das Kind buchstäblich „ein Brett vor dem Kopf“ hat – das ist allerdings hier eindeutig gewollt, und zwar vom Kind, es gehört zur Ausdruckskraft des Bildes. Das Anlehnen an den Pfeiler rechts finde ich gelungen, es verschafft der Aufnahme Stabilität; der unscharfe Hintergrund ist für mein dafürhalten zu sehr mittels der Belichtung und zu wenig durch die Schärfentiefe verwischt. Auch wenn die Querstreifen der Bodenbretter die Linien des Balkens stützen, wenn zuviel davon sichtbar wird, fängt das Bild an, nach links zu kippen.

Schwarzweisses Kinderporträtfoto

Jolanda mit neuem Beschnitt

Im übrigen schneidest Du zwar der Kleinen die Füsse ab (was in diesem Ausschnitt vertretbar ist) und achtest darauf, dass die Puppe unversehrt im Bild ist. ich halte das aber für unnötig: der Unterkörper der Puppe trägt nichts mehr zur Spannung der beiden Blickrichtungen bei, der Ausschnitt wird aber so gross, dass das Mädchen darin an Gewicht verliert. Mit dem gezeigten Schnitt (bei gleichen Proportionen) liesse sich Jolanda wie auch die Puppe ins rechte Licht rücken.

Auch ohne einen solchen Eingriff aber ist Dir hier ein spannendes Bild gelungen, das in der Tat ein Kind einmal anders zeigt und dem Betrachter durch die verborgenen Gesichtszüge mehr abverlangt als einen flüchtigen Blick. Immerhin wollen wir ja auch wissen, wie es dem Mädchen geht – und das finden wir nur anhand der Augen heraus. Im Widerspruch zum Gesicht der Puppe ergibt sich so ein Spannungsbogen: Wir haben zwei Augenpaare und zwei Blickrichtungen, auf die wir schauen können, aber nur ein GEsicht. Das ist eine Herausforderung.

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