Konzeptioneller Blick nach unten: „Leiser Schrei“

An vielfotografierten Orten lohnt ein Blick nach unten – und eine ungewöhnliche Perspektive, die eben jenen Ort transzendiert.

Panasonic DMC-TZ8, f/6.3, 1/200 s, ISO 80, 4 mm - (c) Anika Tauwel

Panasonic DMC-TZ8, f/6.3, 1/200 s, ISO 80, 4 mm – (c) Anika Tauwel

Anika Tauwel aus Köln schreibt zu diesem Bild:

Das Bild enstand in Wien am Opernplatz- voll mit Touristen. Im lauten Menschengetummel ging und der Sommerhitze ging vieles unter. In dieser Stimmung enstand das Bild, des Asphaltbodens auf dem Platz. Ich habe bisher noch keine sonderlich herausragende Kamera (Panasonic DMC-TZ8), da ich gerade erst anfange, mich im fotografieren auszuprobieren. Aus diesem Grund freue ich mich über jede Art von Anregungen.

Fotos vom Opernplatz in Wien zeigen sonst das Übliche – die Staatsoper und so weiter. Du hast Dich in dem Gewimmel auf das konzentriert, was zu Deinen Füßen lag, und das verrät ein gutes Auge und die Fähigkeit, über den fotografischen Tellerrand hinauszublicken. Diese Aufnahme transzendiert den Ort, an dem sie entstanden ist, ein Blick in eine andere Welt.

Die technischen Daten sind hier für mich nicht so sehr von Belang, ich möchte mich eher auf das Motiv und seine Umsetzung konzentrieren.

Zur Komposition: Dein Bild befindet sich irgendwo zwischen Konzept und Teilabstrakt, was Du durch die Drehung um 180 Grad erreicht hast. In „normaler“ Perspektive sähe es nicht halb so interessant aus, und das nicht nur, weil man dann die einbezogene Schrift auf dem Kopf lesen müßte:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Gedreht wird aus ihm etwas schon fast Surreales, und das hat mich auch bewogen, Dein Bild auszuwählen.

Analysiert man es näher, stellt man fest, daß die Schrift fast komplett in der Bildmitte angeordnet ist, alles andere (der Schatten der Person und ihr Fuß etwa) radikal verschoben:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Man liest die Worte „schrie in“, das nächste geht im Schatten der Struktur unter. Die Person im Foto, das heißt ihr Schatten, scheint von ihr herunterzulaufen, etwa so, wie man von einem Dach laufen mag, wenn man einen Todeswunsch hat. Die anderen Linien im Bild bilden eine Art Anker, und dann entdeckt man mit einem Mal das Fußfragment unten rechts. Soviel zum Konzeptionellen des Bildes, man könnte noch viel mehr hineinlesen.

Das Teilabstrakte liegt in dem, wie die Linien im Foto mit der Schrift, der Person, und ihrem dann wieder sehr realen Fuß interagieren:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Dein Bild regt zum Nachdenken an – wer ist diese Person in dieser Zwischenwelt, warum läuft sie von dem Dach/Steg/(…) ins Nichts und so weiter. Allerdings denke ich, daß Du mehr instinktiv „draufgehalten“ hast, als das Foto im Sucher zu komponieren. Hinterher fiel Dir dann wohl auf, was Du da fotografiert hast, und es war goldrichtig, das Bild zu behalten. Die Schlußfolgerung ziehe ich aus Deinem Kommentar, und auch, weil es nicht ersichtlich ist, daß Du das Foto irgendwie nachbearbeitet hast; Du hast es nur umgedreht.

Das Ziel sollte sein, Motive wie diese nicht nur auf einer instinktiven Ebene zu fotografieren, sondern sie bewußter zu suchen, und dann in der Nachbearbeitung zu vervolkommnen. So kann aus einem fotografischen Glücksgriff eine Serie werden, ein Projekt.

Das Bild wirkt für mich etwas zu flach, und Du hättest den Kontrast noch etwas mehr herausarbeiten können:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Noch besser sähe es allerdings meines Erachtens in kontrastreichem Schwarzweiß aus:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

In beiden Fällen ist noch genügend Detail im Fuß vorhanden, um ihn als real wahrnehmen zu können. Mit dieser Veränderung ein für mich absolut gelungenes Bild.

1 Kommentar
  1. Chilled Cat
    Chilled Cat sagte:

    Erst mal vielen Dank an Anika für das eingereichte Bild.

    Wenn das Bild so steht, dass die Schrift auf dem Kopf steht, dann erkenne ich zuerst den Fuß der schattenwerfenden Person. Das gibt dem Fuß für meinen Geschmack zu viel Gewicht in der Aufnahme. Für Anika vielleicht auch, schließlich hat sie das Bild anders herum eingereicht.

    Steht die Schrift so herum, dass sie lesbar ist, erkenne ich zuerst die Schrift und irgendwann erst den Schatten der Person. Das macht die Schrift wichtiger als sie für mich ist.

    Für mich ist in diesem Bild der Schatten der Person das Hauptmotiv. Aus diesem Grund würde ich das Bild hochkant stellen. Dadurch erhält der Schatten der Person das angemessene Gewicht im Bild. Außerdem stehen mehr Leute mit schiefgehaltenem Kopf vor dem Bild ;-)

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