Landschaftsfotografie: Sehen statt denken

In der Landschaftsfotografie zählt allein das Sehen. Wer zuviel nachdenkt, läuft Gefahr, in die Dokumentarfotografie zu verfallen.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Roland Wagner).

Kommentar des Fotografen:

Das Bild entstand im vergangenen Sommer in den Alabama Hills, einem Gebiet mit einer Unzahl abgerundeter Felsformationen vor der aufragenden Sierra Nevada in Kalifornien. Die Gegend diente bereits als Kulisse zahlreiche Filme (unter anderem: Gladiator). Es gibt einige schön anzuschauende Felsbögen. Dieser hier wird Boot Arch genannt. Das Bild entstand am Abend, da nur zu dieser Tageszeit das Licht von der richtigen Seite kommt. Den Standort habe ich versucht, so zu wählen, dass die Form der Öffnung genau so zu sehen ist, damit sich der Name des Arches erklärt. Als Brennweite wurden 10 mm gewählt. Damit auch der Hintergrund noch einigermaßen scharf ist, wurde die Blende 14 verwendet. Ich freue mich auf eine kritische Betrachtung.

Profi Peter Sennhauser meint zum Bild von Roland Wagner:

Ein verwitterter Steinbogen in einer rundgeschliffenen Felsformation steht in der linken Hälfte dieses Farbbildes vor dem Hintergrund einer Gebirgskette unter einem von Schleierwolken durchzogenen blauen Himmel.

Es ist eine sehr interessante Landschaft, in der Du dieses Bild gemacht hast, und ich schätze mich glücklich, wenige Fahrstunden von diesem Zauberpark für den Landschaftsfotografen zu leben. Gleich ging es den buchstäblich hunderten von Hollywood-Regisseuren, welche die Landschaft zur Kulisse machten – bisweilen spielt sie sogar die Hauptrolle, wie etwa im famosen B-Movie „Tremors“ mit Kevin Bacon (unbedingt ansehen).

In deinem Bild allerdings kommt sie wenig zur Geltung. Die Elemente sind wohl alle da: Der Felsbogen, die rundgeschliffenen Brocken und die Sierra Nevada im Hintergrund. Aber irgendwie wirkt die Anordnung zufällig.

Der Moebius-Arch mit zwei Hintergrund-Elementen (© PS)Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung: Du wolltest den Steinbogen so abbilden, dass sich sein Name erklärt, indem man erkennt, dass das Loch die Form eines Stiefels („boot“) annimmt.

Damit allerdings hast Du Deine Möglichkeiten für eine gestaltete Komposition extrem beschränkt. Und das macht Dein Bild mehr zu einer Dokumentar- als zur Landschaftsfotografie, als die Du sie eingereicht hast. Erstere will einen bestimmten Um- oder Zustand in einem Bild eindeutig beschreiben, letztere folgt rein ästhetischen Kriterien.

Mit Deinem Vorsatz, den Stiefel zu zeigen, hast Du unbewusst den Wechsel zu einem anderen fotografischen Genre vollzogen, in dem andere Fähigkeiten gefragt sind und andere Regeln gelten. Die Mischung der beiden Arten von Fotografie ist einn heikles und schwieriges Unterfangen. Das zeigt sich hier: Ohne Deinen Hinweis auf den Namen des Bogens kämen wenige Betrachter darauf – sie würden den Stiefel noch nicht mal erkennen. Aber ohne den Hinweis auf den Stiefel im Bogen macht die Komposition wenig Sinn.

Wenn es Dir um den Stiefel ging, hättest Du alle andern Aspekte zurückstellen und ausschliesslich den Stiefelausschnitt inszenieren müssen. Das heisst nicht einfach viel näher rangehen – obwohl das ein Weg sein kann. Die Sierra etwa ergibt einen wunderbaren Hintergrund für eine Landschaftsfotografie, hier aber stört sie sogar den Ausschnitt des Felsbogens und verwischt die Form des Stiefels. Hättest Du Dich näher und tiefer an ihn rangemacht, hättest Du den Ausschnitt mit Himmel füllen und dadurch die Form betonen können.

Moebius-Arch vor Sonnenaufgang (©PS)Für eine reine Landschaftsaufnahme mit einer durchgehend starken Komposition hingegen hättest Du besser vom Denken gänzlich aufs Sehen umgestellt. Die Felsen und Bögen faszinieren uns ja weniger wegen der Dinge, die wir in ihre Formen hineininterpretieren können, als wegen der Formen selber – und wenn Du Dich zwischen den Felsen bewegst, fallen Dir tausend Blickwinkel und Perspektiven auf, welche einzigartige Kombinationen aus Lichteinfall-, Linienführung-, Vorder- und Hintergrund bieten.

Ich hatte bisher dreimal Gelegenheit für Shootings in den Alabama Hills. Zweimal abends und einmal morgens; und alle drei Male ist mir aufgefallen, dass die Felsen am plastischsten wirken, wenn sie nicht mehr oder noch nicht im direkten Licht der Sonne liegen.

Bei meinem ersten Besuch habe ich mich ebenfalls vor allem einem Arch gewidmet – ohne allerdings seinen Namen zu kennen. Dem folgend, was ich sah, habe ich eine Komposition gewählt, in welcher Mount Whitney (der höchste Berg der lower US) durch den Bogen und der Lone Pine Peak links daneben zu sehen ist. Es ist „der Klassiker“ der Fotografien aus den Alabama Hills. Die Aufnahme entstand kurz vor Sonnenuntergang, und interessanterweise betont der Schatten im Bogen seine Form, so dass der Name sich deutlich abzeichnet: „Moebius Arch“ heisst er, weil er wie das vom Mathematiker Möebius entdeckte „endlos“-Band geformt ist. Nur habe ich keine Sekunde lang daran gedacht, dies im Bild auszudrücken.

Alabama Hills und Lone Pine Peak, Kalifornien. (©PS)

Die beiden anderen Bilder sind jeweils vor Sonnenaufgang entstanden und zeigen den Lone Pine Peak – noch einmal durch den Moebius Arch, der ohne Schlagschatten stärker zur Geltung kommt, und einmal in einer Übersicht, welche die Tiefe und die Unterschiede der Landschaft im Vorder- und im Hintergrund betonen soll (Sekunden vor den ersten Sonnenstrahlen).

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