Landschaftsschichten: Das Torten-Prinzip

Ein Landschaftsfoto kann auch auf einfachen Mustern oder Schichten basieren.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Matthias Willems).

Kommentar des Fotografen:

Hier gefallen mir die einzelnen Felder, die ein Muster bilden. Dazu finde ich die Farben sehr schön. Aufgenommen mit einer Farbkorrekturen in der Nachbearbeitung

Profi Robert Kneschke meint zum Bild von Matthias Willems:

Am leckersten finde ich Torten, die ganz viele Schichten haben: Teig, Sahne, Früchte, Creme, Quark, Tortenguss. Hmmm. Auch bei diesem Landschaftsfoto kommt das Prinzip raffiniert angeordneter Schichten zum Einsatz:

Wer genau hinsieht, bekommt sieben bis acht Schichten zu sehen – je nachdem, die hauchdünnen Waldfäden am Hintergrund einzeln gezählt werden oder mehr als Garnierung wie die Kirschen auf der Schwarzwälder Kirschtorte.

Die Linien in diesem Foto sorgen dafür, dass das Auge nicht zur Ruhe kommt. Zwar gilt das Prinzip, dass die Elemente in einem Foto möglichst reduziert werden sollten, um ein Bild nicht zu überfrachten, aber auch das ist hier der Fall.

Denn außer Linien und Flächen gibt es nichts zu sehen. Die aber haben es in sich. Die Anordnung der Linien folgt einem Zick-Zack-Muster und führt dazu, dass die Augen das Foto von oben bis unten in eben diesem Zick-Zack-Muster „scannen“ – wie die Kugeln in einer Spielzeug-Rollbahn für Kinder.

Jede dieser Linien begrenzt zugleich eine Fläche, die eine andere Struktur und Farbe hat. Ganz oben das gleichmäßige Himmelsblau. Darunter die hellere, massive Wolkenschicht, die gleichzeitig auch den Eindruck eines ganz leichten Bergmassivs erweckt.

Darunter das Hauptmotiv, die nebeneinander stehenden Bäume, in der Mitte durchsichtiger, am Rande blickdicht. Die Bäume sorgen im Bild auch für die richtigen Größenverhältnisse, damit das Auge ungefähr einschätzen kann, wie groß die Szene wirklich war.

Vor der Baumreihe folgt dann die Wiesenebene mit hellgrünem, kurzem Gras, darunter das Feld, welches ebenfalls noch mal von feinen Linien durchfurcht ist.

Als vorletztes kommt das dunklere, wildere Gras, bis das Bild zuletzt von einer hellen Erdfläche begrenzt wird.

Die Farben sind im Grunde ebenfalls reduziert: Es gibt Blau-, Grün- und Brauntöne. Blau im oberen Drittel und in den restlichen beiden Dritteln wechseln sich Grün und Braun regelmäßig ab.

Klar, der Fotograf hat das nicht alles genau so angepflanzt oder angeordnet. Aber im gebührt die Ehre, diese Motiv, was aus einer anderen Perspektive total fad und öde wirken könnte, als so spannend zu erkennen und auf den Digitalsensor zu bannen.

Ich wette, viele Spaziergänger mit einem ungeübten Auge würden hier achtlos vorüber gehen. Dass Matthias Willems das nicht gemacht hat, ist seine große Leistung.

Nur ein winziger Wermutstropfen bei dem ansonsten perfekten Foto: Als Belichtungswerte wurde 1/500 Sekunde bei ISO 200 angegeben. Auch mit 1/250 Sekunde wäre das Foto scharf geworden, dafür aber der niedrigere ISO-Wert 100 möglich gewesen, der bei einem großen Ausdruck mehr Details erhalten hätte. Und so ein Foto verdient es, groß aufgehangen zu werden!

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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6 Kommentare
  1. R. Kneschke
    R. Kneschke sagte:

    Ich wurde darauf hingewiesen, dass die Nikon D70, mit der dieses Foto gemacht hat, gar nicht auf ISO 100 einstellbar ist. Mein Kommentar zum ISO-Wert hat sich damit erübrigt… ;-)

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  2. Markus Kohlhoff
    Markus Kohlhoff sagte:

    Im ersten Augenblick dachte ich „nun ja, ein Landschaftsbild vom Wegesrand“, aber dann hat es mich doch angesprochen. Neben den o.g. Aspekten finde ich vor allem: es wirkt wohltuend natürlich. Kein auf Stimmung getrimmtes Dämmerungslicht und keine effektheischerischen Dynamikumfänge, sondern die geerdete, „nackte“ Wahrheit – aber die sehr schön komponiert! Gefällt mir sehr gut (auch ohne den philosophischen Überbau ;-)!

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  3. Corinne ZS
    Corinne ZS sagte:

    Das Bild ist ein Hingucker. Ich sehe Baum-Marmeln, die in einer Landschafts-Schale zusammenrollen. Das Bild wiegt sich hin und her und ich höre die Bäume aneinander schlagen. Ich kann es aber auch als Sinnbild der letzten Fragen der Menschheit lesen: Wo endet die Erde und wo beginnt der Himmel? Gibts da einen Übergang für uns Menschen, können wir hinauf? Im Bild gibt’s einen. Die in grün und braun gehaltene straff gezeichnete Erde, darüber der in weiss und blau gehaltene, mit weichen Wolken durchzogene Himmel. Dazwischen stehen die Bäume, die beides verbinden – wie Menschen, die sich vom harten Boden weg in den sanften Himmel hinauf sehnen. Wer mich jetzt erschiessen möchte ob so viel Pathos sei gewarnt: Mit mir ginge auch eine ausgezeichnete Schwarzwäldertortenbäckerin unter.

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Trackbacks & Pingbacks

  1. […] dieses Landschaftsfoto so gelungen macht, ist wieder das Schichten-Prinzip, was ich schon in einer früheren Rezension beschrieben […]

  2. […] ein Elefant und in jedem Feld mit Waldrandbegrenzung ein malerischer Bauernhof stehen muss: Raum, Flächen und Linien können durchaus ganz allein ein Bild ausmachen. Aber dann müssen sie zusammen eine Spannung […]

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