Laub mit Tropfen: Herbst in Draufsicht

In der Landschaft lassen sich faszinierende Details auf immer wieder neue Art fotografisch inszenieren. Ein wesentliches Gestaltungsinstrument ist dabei der Blickwinkel: Die Kamera kann ja auch anders „gucken“ als der Betrachter.

Regentropfen auf Laub Coolpix P510 Aufnahmedaten: 1/40s bei Blende 3 mit 4.3mm Brennweite und ISO 100

Regentropfen auf Laub Coolpix P510 Aufnahmedaten: 1/40s bei Blende 3 mit 4.3mm Brennweite und ISO 100

Lukas Roth aus Karlsruhe schreibt: Ich war im Herbst in der Pfalz wandern und es hatte vorher sehr lange geregnet, so dass alles ziemlich nass war. Es gab fast keine Motive, die mir gefallen hatten und ich war fast schon am Ende meiner Tour, als mir bewusst wurde, dass ich die ganze Zeit die Tropfen auf dem Laub vergessen hatte. Also schoss ich das Bild und daheim, bei der Betrachtung der Bilder, fiel mir auf, dass diese Bild (für mich) perfekt den Herbst ausdrückt. Auf flickr war das Bild dann auch relativ beliebt und ich wollte jetzt einfach mal die Meinung von Profis wie euch dazu einholen :)

Das ist in der Tat ein kräftiges Bild: Herbst, das sagen schon die Farben, dann die Blätter, dann der Regen oder Tau. Gut gesehen!

Deine Farbfotografie zeigt ein Eichenblatt in einer bodendeckenden Schicht von rotgefärbten Buchenlaub. Die Blätter sind augenscheinlich nass, wie an Glanzspuren an einigen Ecken erkennbar ist. Auf dem Eichenblatt haben sich zahlreiche Tau- oder Regentropfen gesammelt. Durch die Lichtbrechung der Oberflächenspannung stechen einige von ihnen in der oberen Blatthälfte als heller Blickfang heraus.

Als bunte Illustration zum Thema Herbst ist an diesem Bild fast nichts herumzumäkeln.

Die Nikon [amazon  B0071L3M56]Coolpix 510 mit dem extremen Superzoom[/amazon]  und einem Blendenbereich von f/3 bis f/5.9 (bei 1000mm KB-Äquivalent!) hat einen Cropfaktor von 5,6. Demnach entspricht Deine Aufnahme bei 4.3mm Brennweite jener von 24mm einer [amazonna  B00LI3UC24]Vollformat-Kleinbildkamera.[/amazonna] Man kann annehmen, dass Du sehr nahe an dem Blatt dran warst.

[bildkritik]

Die offene Blende ist angesichts der geringen ISO-Empfindlichkeit zu erwarten, ebenso die relativ lange Belichtungszeit, die eigentlich nur mit Bildstabi noch aus der Hand tolerierbar ist.

Das alles bedeutet, dass Du technisch Luft nach oben hattest. Ich habe drei Vorschläge, was Du hättest ausprobieren können.

    1. Blickwinkel ändern: Zumindest auf den ersten Blick wirkt es, als ob Du fast senkrecht von oben auf den Waldboden geblickt und das Blatt im 90-Grad-Winkel fotografiert hättest. Diesen Eindruck verstärkt die praktisch durchgehende Schärfentiefe. Nun ist es so, dass wir auf dem Spaziergang im Wald so ein Blatt durchaus genau in dieser Haltung ansehen würden: Wir würden uns hinunterbücken und senkrecht draufschauen. Das heisst wiederum, ähnlich wie bei der Blumenfotografie, dass eine ungewohntere Perspektive auf das Hauptmotiv zusätzliche Spannung schaffen könnte: in einem sehr flachen Winkel, mit einem sichtbaren Wald-Hintergrund vielleicht sogar. Eine längere Brennweite und die bereits offene Blende würden dann auch das Motiv – das Eichenblatt mit den Tropfen – gegenüber dem umgebenden Rot durch Schärfentiefenbegrenzung stärker freistellen. Man kann dazu auf die Knie gehen oder sich auf den Bauch legen – meine Erfahrung ist, dass grade bei enttäuschenden Motivumgängen ein radikaler Wechsel der Perspektive viel neue Inspiration gibt.

      Bildteile in den unscharfen Tiefenbereichen

      Bildteile in den unscharfen Tiefenbereichen

    2. Blende schliessen: Nun werden zu recht einige bemängeln, dass diese Fotografie ganz bewusst eben nichts freistellen, sondern die ganze Blätterschicht in einer Ebene formatfüllend zusammenziehen soll. Tatsächlich ist das ein starker Effekt. Man könnte ihn vollständig konsequent umsetzen, indem man für durchgehende Schärfe sorgt, und zwar durch Abblenden: In dieser Fotografie ragen nämlich einige wenige Blatteile wie das links oben in den vorderen Unschärfebereich hinein. Zugleich werden die etwas weiter entfernten Blätter rechts oben bereits unscharf. Ich bin in dieser Beziehung recht radikal: Wenn ich mit offener Blende fotografiere, dann versuche ich die Freistellung in der Schärfe maximal zu halten, wenn ich die Blende schliesse, ist durchgehende Schärfe eigentlich Pflicht.
    3. Wasser entspiegeln: Ich war mal der Ansicht, ein Polfilter sei nur zur Abdunkelung eines blauen Himmels und zum Entblenden von Wasseroberflächen wie Seen nütze. Das ist falsch: Grade im Wald bei Nässe, wo das wenige Licht aus allen Richtungen kommt, spiegelt und glitzert es, und ein Polfilter kann beim Fotografieren von nassem Laub mit einer leichten Drehung das ganze Bild ändern. Hier hast Du zwar die Misch-Herausforderung, dass die Spiegelung in den Tropfen auf dem Eichenblatt erwünscht, die weissglänzenden Flächen auf den umgebenden Blättern dagegen unerwünscht sind. An dieser Stelle hätte ich deswegen aber den Polfilter (und das Stativ) hervorgekramt und ausprobiert, was sich mit den Tropfen in verschiedenen Lagen machen lässt. Zum Glück gibt es zu Deiner [amazonna  B00NJY2RD2]Nikon Coolpix-Kamera einen Filter-Adapter,[/amazonna] mit dem man Filter von 62mm Gewinde benutzen kann – diese kleine Anschaffung lohnt sich, wenn Du Landschaftsfotografie betreiben willst und dazu Neutralgrau-, Verlaufs- und Polfilter benutzen möchtest.

      Spiegelungen in nassen Flächen könnten mit Polfilter beseitigt werden. Und denkbar wäre ein engerer Beschnitt des Bildes.

      Spiegelungen in nassen Flächen könnten mit Polfilter beseitigt werden. Denkbar wäre ein engerer Beschnitt des Bildes.

Das sind Vorschläge, wie Du vor Ort mit dem Motiv noch etwas weitere Varianten hättest prüfen können. Ich habe gelernt, dass es sich lohnt, sich nicht mit der ersten Version einer Fotografie zufrieden zu geben, wenn man an Ort und Stelle noch anderes ausprobieren kann – und zwar grade dann nicht, wenn dir das Bild ins Auge sticht. Wenn man zu zweit unterwegs ist, lohnt sich auch eine kurze gegenseitige Bildkritik derjenigen Aufnahme, die einem am besten gefällt.

Am vorliegenden Bild würde ich allenfalls noch einen leichten Beschnitt in der unteren Hälfte anbringen, weil das Eichenblatt für meinen Geschmack etwas zu knapp am oberen Bildrand zu liegen kommt.

3 Kommentare
  1. Stefan Jeschke
    Stefan Jeschke sagte:

    Ich habe den engeren Beschnitt von Peter mal horizontal gespiegelt, dadurch passen die hauptsaechlich absteigenden Linien im Bild fuer mich besser zum Sujet (Vergaenglichkeit im Herbst). Dadurch wird fuer mich aus dem „durchstartenden“ Blatt (dynamische Orientierung nach rechts-oben) eher ein „steckendes“ (fallenden Linien nach rechts-unten). Das ist natuerlich nur mein ganz persoenliches Empfinden, andere moegen das anders sehen.

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