Leserfoto – Antiquitätenladen in Frankreich: Momente festhalten

(Bildende) Kunst und Kunstbetrachtung sind im allgemeinen etwas Subjektives.

antik

 

Das Bild entstand in Frankreich in einem Geschäft im „Antiquitätendorf“ Isle-sur-la-Sorgue. Alle waren so beschäftigt, dass ich in relativer Ruhe einige Bilder aufnehmen konnte. Ich hätte etwas weiter zurückgehen sollen, um den sympathischen Franzosen links in Richtung „goldener Schnitt“ zu bekommen.

Das Bild wurde mit einer Canon Mark III aufgenommen, Objektiv Canon EF 50mm f/1.4 USM (Festbrennweite) bei 3200 ISO.

Abgesehen vom Kunstmarkt, wo Geschmack und was sich verkauft von Regeln bestimmt werden, die nicht immer Sinn machen müssen, geht jeder von uns an eigene Bilder und an die Werke anderer von seiner eigenen Warte heran. Es gibt Bilder meinerseits, die ich für das beste halte, was ich bisher fotografiert habe, und die aber Otto-Normal-Betrachter nicht verstehen. Es gibt wiederum andere Aufnahmen, von denen ich einige verkauft habe, die ich aber persönlich eher mittelmäßig finde. Will sagen: was Du in Deinem Foto (an Mängeln) siehst, ist für andere nicht unbedingt vorhanden, dafür gefällt anderes und fällt anderes auf.

Du hast das vorliegende Bild Deiner Aussage nach in einem Antiquitätendorf in Frankreich aufgenommen. Den Kontext, wenn auch nicht unmittelbar das Land, erkennt man durch die Gegenstände, die sich im Bild befinden. Ein von Statur her kleiner, älterer Mann spricht gestikulierend mit einem anderen, wesentlich größeren, der uns den Rücken zukehrt. Das dunkle Hemd und Tshirt des ersteren finden ein visuelles Echo im Polohemd des letzteren, und die Leiter, die der kleinere mit der linken Hand festhält, verleiht ihm mehr optisches Gewicht. Dies wird noch dadurch verstärkt, daß neben ihm ein etwas größerer Verkäufer/Kunde mit einem hellen Hemd steht, der ebenfalls gestikuliert. Der Blick wird automatisch auf diese Stelle gelenkt, der große Mann im Vordergrund, wie auch die Leute um den Mann mit der Leiter herum, sind Kontext, Beiwerk.

Durch die Schwarzweißbearbeitung wird der Dokumentarcharakter dieses Schnappschusses unterstrichen, und trotz des extremen ISO-Wertes ist das Bild nicht unangenehm verrauscht; zumindest fiel es auf meinem Bildschirm bei der vorliegenden Bildgröße nicht sehr auf.

[bildkritik]

Du schreibst, Du habest in aller Ruhe fotografieren können, was man hier sieht. Die Leute nehmen Dich nicht wahr, Du konntest sie natürlich ablichten, was mir sehr gut gefällt. Ich sehe Menschen in ihrer normalen Umgebung, nicht posierend, spontan. Das Bild erzählt eine Geschichte, ich bin regelrecht in diesem Laden, stehe hinter dem Mann auf der rechten Seite und beobachte das Geschehen.

Allerdings scheinst Du Dir im Nachhinein Gedanken gemacht zu haben, wie das Foto hätte anders komponiert werden sollen oder können, der Mann mit der Leiter ist nicht im Goldenen Schnitt. Als Fotograf entscheidest Du, wo Du stehst, und wann Du auf den Auslöser drückst. Bei diesen Lichtverhältnissen in dem Gedränge hätten viele nicht einmal versucht, überhaupt und/oder ohne Blitz zu fotografieren. Die Szene hat Deine Aufmerksamkeit erregt, und Du hast sie so, wie sie sich von Deinem Standpunkt aus darbot, festgehalten.

Regeln der Komposition gibt es aus guten Grund: der Goldene Schnitt wird schon seit Jahrhunderten als Ideal gesehen, weil diese Art der Bildanordnung vom Auge als angenehm empfunden wird. Man muß diese Regeln kennen und anwenden können. Dann allerdings kann man sie gekonnt brechen, wenn das auch nicht immer bewußt geschieht.

Ja, Du hättest hier unter Umständen einen Schritt zurück machen können – da ich den Laden nicht kenne, kannst nur Du beurteilen, was hinter Dir stand. Der Mann mit der Leiter ist leicht aus dem Goldenen Schnitt heraus verschoben (Goldener Schnitt hier rosa, relative Position des Mannes in grün).

Vergleichsfoto Nr.1: Goldener Schnitt

Für mich paßt das zu dem leicht Chaotischen der Szene und fällt nicht negativ ins Gewicht. Was mich eher stört sind die nach links kippenden vertikalen Linien (blau). Der Mann mit der Leiter sieht aus, als fiele er gleich nach hinten um. Ich hätte das korrigiert. Dadurch wird dem Mann hinter dem mit der Leiter allerdings der Arm amputiert, wenn man das Problem mit dem Filter „Objektivkorrektur“ in Photoshop angeht. Ich würde daher Lightroom dafür benutzen oder es manuell in Photoshop beheben (siehe Vergleichsfoto unten), dann bleibt links genug im Bild.

Vergleichsfoto Nr. 2: links zu sehr beschnitten

Vergleichsfoto Nr. 3: kippende Linien korrigiert

Ansonsten ein meines Erachtens gelungener Schnappschuß, der das Geschehen gut eingefangen hat.

 

2 Kommentare
  1. Hans
    Hans sagte:

    Hallo Sofie, hallo Dirk,

    vielen Dank für die Bildbesprechung. Ich finde Eure Anmerkungen spannend und freue mich, etwas von der Atmosphäre in dem Landen eingefangen zu haben.

    Die Anregung mit der Linie habe ich direkt umgesetzt. Ich hatte das gar nicht gesehen.

    Sofie, Du schreibst „Als Fotograf entscheidest Du, wo Du stehst, und wann Du auf den Auslöser drückst“. Mir fällt immer wieder auf, dass ich zu schnell bin und mir zu wenig Zeit nehmen … auch weil ich die Leute mit der Kamera nicht nerven will ;-)

    Grüße Hans

    Antworten
  2. Dirk Wenzel
    Dirk Wenzel sagte:

    Moin Moin vom Krabbenkutter …

    ein Bild welches meine Betrachtungszeit nicht nur verlängert …
    … nein … mit deiner Erläuterung Sofie und Bearbeitungsvorschlag eine intensive Betrachtungszeit den Tag begleitet …

    … beim Betrachten wirken die vielen Arme und Hände sehr unterstützend zur Bildsituation …

    nebst „Beziehungslinien“ und Blickachsen ob im und außerhalb des Bildes …

    … zeigen die Arme und Hände der beteiligten Personen im Bild…

    … bei einer scheinbaren räumlichen Entdeckungstour der Augen im leichten Durcheinander … siehe Tisch im Hintergrund … die Leiter für Auf und Abbau immer dabei …

    fast ALLE geben oder suchen Halt mit Armen und Händen … in diesem Moment … was aus meiner Erfahrung .. wenn es „wuselig und eng“ in einem Verkaufsraum … die Körper kaum platz für Bewegung … dieses Halten an Mensch und Gegenstand etwas Sicherheit in Raum und Situation geben kann …

    … ein für mich wesentlicher… sichtbarer Beitrag im Bild…
    … für eine mir emotionale Wirkung…
    … die diesen Moment einmalig und wohl nicht wiederholbar erscheinen lässt …

    Glückwunsch Hans und DANK für die Besprechung Sofie

    Grüße vom Krabbenkutter an der Seehundbank Dirk

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