Leserfoto – „Himmelsfinger“: Was ist der Bildgegenstand?

Wenn man historische Gebäude fotografiert, konzentriert man sich normalerweise eben auf das Gebäude, und auf seine (unmittelbare) Umgebung. Hier haben Dich die Bäume und ihre visuelle Beziehung zum Dach des Schlosses inspiriert, wie Du schreibst. Hätte ich das Foto ohne die Beschreibung gesehen, wäre mir das nicht unbedingt in den Sinn gekommen. Ja, es gibt einen optischen Bezug, aber der ist nicht genug im Bildmittelpunkt, um einem ins Auge zu fallen. Ein Bild muß aus sich heraus wirken, und für jeden Betrachter ist diese Wirkung eine andere, subjektive.

(c) Karsten Zolk

Zu dem Foto hat mich die korresponierende Form der Kopfschnittlinden mit den Zwiebeltürmen des Schlosses inspiriert. Deren Spitzen ragen wie knorrige Finger in den verhangenen Winterhimmel.
KameramoZudell Canon EOS 5D

Tv (Verschlusszeit) 1/250
Av (Blendenzahl) 20.0
Filmempfindlichkeit (ISO) 1250
Objektiv EF24-105mm f/4L IS USM
Brennweite 47.0 mm.

Was mich an Deinem Bild gereizt hat, war die düstere Stimmung: der Himmel ist wolkenbedeckt, und zusammen mit den kahlen, knorrigen Bäumen hat man den Eindruck, vor einer Kulisse für einen alten Film oder Krimi zu stehen. Die Schwarzweißumwandlung verstärkt das noch. Hier wären alle möglichen Aufnahmen denkbar gewesen, je nachdem, was Dir wichtig ist. Und das ist mir hier nicht klar: was war Dir wichtig? Was wolltest Du dem Betrachter zeigen?

Was ich statt dessen zuerst sah, war ein Bild, dessen Bildgegenstand nicht offensichtlich ist. Vorne links dominiert die Baumgruppe ein Drittel des Fotos (rosa schattiert). Das Schloß ist ebenfalls dominant im Foto, allerdings im Hintergrund (grün schattiert). Du hast mit einer sehr kleinen Blende fotografiert, wodurch Vorder- und Hintergrund gleichmäßig scharf abgebildet wurden. Sie befinden sich in direkter Konkurrenz, was eigentlich optische Spannung erzeugen könnte, hier aber meines Erachtens stört. Es wirkt, als hättest Du Dich nicht entscheiden können, ob Du Dich auf die coolen Bäume oder das Schloß konzentrieren willst.

Vergleichsfoto Nr. 1

Das Schloß ist aus dem Goldenen Schnitt heraus verschoben (hellblau). Der natürliche Horizont ist zwar gerade, aber der optisch im Vordergrund liegende kippt merklich nach links (rosa), wobei gleichzeitig aufgrund Deines Aufnahmestandpunkts der untere Teil des Schlosses von dem davorliegenden Rasen verschluckt wird. Der Himmel ist aber nicht so dramatisch, und die Anordnung der Bäume nicht so, daß dieser Regelbruch hier funktioniert:

Vergleichsfoto Nr. 2

Dein Aufnahmestandpunkt hat auch dazu geführt, daß rechts ein Baumfragment ins Bild ragt, während der untere Teil der Treppe keinen Raum zum Atmen hat (orange):

Vergleichsfoto Nr. 3

Es wirkt, als seist Du dort vorbeigekommen und hättest aus dem Augenblick heraus einen Schnappschuß gemacht, und hinterher kam die Erklärung. Du hast einen guten Ansatz gezeigt, indem Du versucht hast, vom Vordergund zum Hintergrund optisch hinzuleiten – nur die Ausführung ist für mich nicht gelungen.

Du hättest durch die Bäume im Vordergrund fotografieren können, so daß sie die Aufnahme dominieren, mit dem Schloß im Hintergrund. Oder Bäume als visueller Rahmen um einen Teil des Schlosses. Du hättest das Schloß durch die Bäume so flankieren können, daß sie einen optischen Abschluß bilden, ohne das Foto zu dominieren. Oder Du hättest die Bäume so dem Dach gegenüberstellen können, daß die Beziehung unmittelbar klar wird. Aus diesem Grund sollte man sich Zeit nehmen, um das Gebäude herum gehen, mehrere Aspekte des Motivs erforschen. Der Sucher ist Deine Leinwand.

Wenn noch mehr Aufnahmen existieren, würde es mich interessieren, was Du noch eingefangen hast. Und falls nicht, und/oder falls Du die Möglichkeit hast, nochmals an den Ort zurückzukehren, würde ich mir die Zeit nehmen, das Schloß visuell auf die angesprochene Weise zu erkunden.

Ich habe in diesem Vergleichsfoto versucht, das Bild etwas anders zu gewichten, indem ich es entsprechend beschnitten habe. Diese Lösung ist allerdings ebefalls nicht ideal:

Vergleichsfoto Nr. 4

Das Bild sähe dann letztendlich so aus:

Aufnahme mit Beschnitt

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