Leserfoto: Naturfoto in Schwarzweiß – Der Wald vor lauter Bäumen

Optische „Ankerpunkte“ helfen dem Betrachter, Einzelheiten eines Bildes visuell zu erfassen. Wenn diese fehlen, muß man sich auf den Gesamteindruck beschränken.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Erik Müller).

Kommentar des Fotografen:

\“Toter Baum\“, ISO 200, 20 mm, f/6,7, 1/180

Profi Sofie Dittmann meint zum Bild von Erik Müller:

Du hast hier ein schwarzweißes Naturfoto eingereicht, das eine Waldlichtung zeigt. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man, daß mitten auf dieser Lichtung ein toter Baum gen Himmel ragt.

Von der Bildaufteilung her ist das Foto gut getroffen, doch weiß ich nicht, was Du mir hier zeigen wolltest. Daß ich den Baum erst auf den zweiten Blick sehe, macht ihn hier für mich nicht zum Hauptmotiv, denn das ist der Wald um ihn herum. Er ist nicht dominant genug, um Blicke auf sich zu ziehen, und das ist genau der eine Kritikpunkt hier für mich: mein Blick verliert sich in diesem Foto, es gibt nichts, was mich darin visuell festhält, leitet.

Das Gestrüpp im Vordergrund, die Bäume im Hintergrund, und Leere dazwischen, wenn da nicht der einsame Baum wäre, der aber ebenfalls eigentlich Teil des Hintergrundes ist, wenn er auch im Goldenen Schnitt liegt. Er ist nicht prägnant genug, aus dem gleichen Grund, warum etwa ein großer Ast inmitten von vielen kleinen Ästen visuell untergeht.

Ich denke auch nicht, daß dieses Untergehen hier Dein Ziel war, sonst hättest Du den Baum nicht so angeordnet, wie er im Bild ist. Und es anders nachbearbeitet. Das Bild ist so vignettiert, daß der Baum und seine Umgebung heller wirken als die Ränder. Vielmehr nehme ich an, Du wolltest ihn mit seiner Umgebung in Verbindung bringen, einen Kontext herstellen, Kontrast mit den umliegenden lebendigen Bäumen. Das ist grundsätzlich richtig, aber dennoch geht er hier verloren.

Eine Möglichkeit wäre, das Bild ziemlich radikal zu beschneiden, um dem Baum mehr Gewichtung zu geben. Das hätte dann so ausgesehen, ist aber ein vollständig anderes Foto:

Abschließend bleibt zu bemerken, daß Bilder wie dieses für mich immer sehr gut illustrieren, warum gekonnte Aufnahmen bestimmter Motive so schwierig sind. Vielleicht hätte es ein anderes Foto gegeben, wenn man um ihn herumgegangen wäre. Oder näher heran.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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2 Kommentare
  1. Sofie Dittmann
    Sofie Dittmann sagte:

    Ich habe mich eigentlich nicht an dem Titel orientiert, sondern am Foto und Bildaufbau. Nenn es doch einfach „Leere, Lichtung“ oder so. :)

    Ich kenne das Gefühl gut, die Frustration, wenn man etwas vor Augen hat, es die Kamera aber partout nicht so wiedergibt. Das liegt natürlich u.a. an der Tatsache, daß sie eben anders „sieht“.

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  2. Erik Müller
    Erik Müller sagte:

    Zunächst möchte ich mich für Deine Kritik bedanken, auf die ich mit Spannung gewartet habe, und die meine eigenen Einschätzungen völlig bestätigt. Ich hatte lange den richtigen Ausschnitt gesucht, habe mich dann allerdings für den vorliegenden entschieden, obwohl auch der leider nur suboptimal ist.

    Den von dir gewählten Beschnitt hatte ich auch angedacht, den Gegensatz zwischen Wald links und totem Baum rechts fand ich persönlich jedoch zu plakativ und nicht dem entsprechend, was ich mit dem Bild aussagen wollte. Es fehlt auch an Gewicht am rechten Rand. Auch die Senkung des oberen Bildrandes führte nicht zum Ergebnis, da der Baum dann nicht mehr genügend Raum über sich gehabt hätte.

    Grundsätzlich finde ich in sehr vielen meiner Bilder das Thema Einsamkeit und Leere wieder (z.B. auch im Bild Gürtelverkäufer), oft bewusst, aber vielleicht genauso oft unbewusst fotografiert. Und genau deshalb bin ich schließlich an diesem Schnitt hängen geblieben, weil er die Verlorenheit des Baums aber auch seine Gefangenheit am Besten wieder gibt. Ich habe bewusst versucht, ihn in der Umgebung versinken zu lassen, so dass man ihn eher beim zweiten Betrachten bewusst wahrnimmt. Dies ist ein Stilelement, das mir sehr gefällt, weil es zum Nachdenken animiert, auch auf die Gefahr hin, dass, wenn man denn nur schnell drüber schaut, der eigentliche Sinn verloren geht.

    Wahrscheinlich wäre ein anderer Titel, der auf den eigentlichen Sinn des Bildes genauer weist, wesentlich besser für eine Interpretation gewesen, vor allem, da ich ja keinerlei Kommentar vor deiner Kritik geschrieben hatte.

    Danke für deine Anmerkungen, wäre schön, wenn ich mal wieder ausgewählt würde mir anderen Bildern.

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